Anfang des Jahres gab Thomas Bareiß bekannt, eine mehrwöchige Auszeit in der Dormitio-Abtei zu nehmen. Als Grund gab er an, infolge seiner Tätigkeit als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium während der Coronapandemie an die Grenze der physischen Belastbarkeit gekommen zu sein. Außerdem hätten persönliche Anfeindungen gegen ihn im vergangenen Bundestagswahlkampf Verletzungen hinterlassen, die es zu verarbeiten galt. Mittlerweile ist Bareiß wieder aus in Jerusalem zurück.
Herr Bareiß, können Sie uns das Erlebte in ein, zwei Sätzen zusammenfassen?
Die Dormitio-Abtei ist ein ganz besonderer Ort, an dem ich im Kreis der Benediktiner Ruhe und Besinnung erfahren konnte. Die Dormitio, von der viel Kraft ausgeht, hat mich sehr berührt, und alle heiligen Stätten hatten eine große Wirkung auf mich.
Vor Beginn Ihrer Auszeit hieß es, Sie suchten einen Ort der Stille, um nachzudenken und zur Ruhe zu kommen. Ist Ihnen das gelungen?
Eindeutig ja. Das Leben im Kloster, die Gebetszeiten und der Rhythmus fand ich wohltuend. Der Alltag mit den Mönchen, die Gespräche aber auch die Stille haben mir persönlich sehr gut getan. Ich habe mich auch sehr intensiv mit den Regeln des Heiligen Benedikt beschäftigt. Die Situation in Jerusalem ist aufgrund des Krieges für viele Menschen nicht einfach. Die Stadt, die seit vielen Jahrhunderten von Pilgern und Touristen lebt, ist derzeit leer und ausgestorben. Trotzdem habe ich vor Ort eine starke Gemeinschaft im Glauben kennenlernen dürfen.
Wie wirkt sich Ihre Zeit in der Abtei auf Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden aus? Stellte sich die erhoffte Verbesserung ein?
Mir geht es gut. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, über Vergangenes und Zukünftiges. Der politische Alltag hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer häufiger werden Amts- und Mandatsträger angefeindet, und ideologische Gruppen radikalisieren sich. Gleichzeitig bekommen die Extremen mehr Gehör und Raum. Das macht mir große Sorgen. Deshalb tut es gut, auch mal aus dem Hamsterrad der Bundespolitik auszusteigen und den eigenen Kompass wieder neu auszurichten.
Sie selbst sind evangelischer Christ. Spielte Ihr persönlicher Glaube bei der Wahl der Benediktinerabtei irgendeine Rolle?
Eine Frage, die mir in den letzten Wochen oft gestellt wurde. Ich fühle mich mit der katholischen Kirche durchaus eng verbunden. Darüber hinaus verbindet mich seit meiner Kindheit mit dem Kloster Beuron viel. Seit einigen Jahren hat sich diese Verbindung durch mein Wirken als Vorsitzender des Vereins der Freunde des Klosters Beuron intensiviert. Wir alle wissen, es gibt Unterschiede zwischen uns katholischen und evangelischen Christen, die man nicht verleugnen sollte. Trotzdem habe ich mich in der Dormitio-Abtei sehr wohl gefühlt. Und um es konkret zu machen, auch die Tatsache, dass ich im Rahmen der täglichen Eucharistiefeier die heilige Kommunion nicht empfangen habe, hat daran gar nichts geändert.
Abt Nikodemus Claudius Schnabel hatte früher seinerseits Verbindungen in die Bundespolitik. Kannten Sie ihn schon vor Ihrem Aufenthalt, und wie war der Kontakt währenddessen?
Wir haben uns erst zu Beginn meiner Reise kennengelernt. Es war meine erste Reise nach Jerusalem und ins Heilige Land. Ich weiß, Abt Nikodemus hat in seiner Berliner Zeit als Berater des Referats Religion und Außenpolitik im Außenministerium eine unschätzbare Arbeit geleistet. Das Verständnis für Religionen ist heute in außenpolitischen Fragen mehr denn je von großer Bedeutung. Umso bedauerlicher ist es, dass diese Fragen in der heutigen Bundesregierung, wenn überhaupt, nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Das ist meines Erachtens ein großer Fehler.
Glauben Sie, dass die gemachte Erfahrung Ihre Sicht auf den Politikbetrieb geändert hat?
Ja, das hat sie. Viele Dinge sind mir erst nach meinem Aufenthalt besonders aufgefallen. Der Berliner Politikbetrieb zelebriert oft eigene Rituale. Viele glauben, Berlin sei der Nabel der Welt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es braucht wieder mehr Demut und Bürgernähe. Viele Politiker sprechen eine Sprache, die vor Ort nicht mehr verstanden wird. Das Gendern ist nur die Spitze des Eisbergs. Politik muss wieder glaubwürdig sein, was bedeutet, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und Vertrauen zurückzugewinnen.
Und wird es Auswirkungen auf Ihre künftige Arbeit geben?
In einem politischen Umfeld mit zunehmender Polarisierung und Anfeindungen möchte ich versuchen, durch meine Arbeit wieder mehr Maß und Mitte zu finden. Hierbei ist es mir besonders wichtig, vor Ort zu sein und mich für die Menschen und ihre Alltagssorgen einzusetzen. Das war auch der Grund und mein Antrieb, warum ich vor vielen Jahren angefangen habe, mich politisch zu engagieren.
Auf Ihrem Instagram-Kanal gab es Anerkennung und Respekt nach Ihrer Ankündigung, nun wieder mit voller Kraft und Energie im Einsatz zu sein. Welche Bedeutung messen Sie solchen Bekundungen in der digitalen - aber auch in der analogen Welt - zu?
Ich war sehr erstaunt über die große Anteilnahme. Viele Menschen haben mir geschrieben und mich auf meinem Weg gestärkt. Das große Verständnis für meine Entscheidung und der Rückhalt haben mir, offen gestanden, gutgetan. Überrascht war ich über die vielen Rückmeldungen von Personen, die eine ähnliche Erfahrung und schwierige Zeit durchleben mussten. Auch vollkommen fremde Menschen haben mir sehr nachdenkliche und wohltuende Briefe geschrieben. Das war für mich eine Hilfe. Es tut gut, trotz aller negativen gesellschaftlichen Entwicklungen auch diese große Mitmenschlichkeit und Wertschätzung zu erfahren. Gerade der christliche Glaube kennt sich aus mit Leid und Not. Der Glaube schenkt uns Hoffnung und Gottvertrauen. Ich konnte erfahren, dass man durch einen Moment des Innehaltens, des Glaubens und des Abtauchens – auch in diesen schwierigen Zeiten – gestärkt und mit neuer Kraft hervorgehen kann.
Auch Württemberg und die Diözese Rottenburg-Stuttgart sind reich an Wallfahrtsorten und Klöstern. Gibt es da in Ihrem Wahlkreis einen Ort, den Sie besonders schätzen?
Für mich ist das natürlich die Erzabtei in Beuron, auch wenn dieser Ort zur Erzdiözese Freiburg gehört. Aber es gibt auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart so viele wichtige Orte. Zum Beispiel das Kloster Sießen bei Bad Saulgau mit den dort lebenden Franziskanerinnen, mein Studienort Ravensburg und die im angrenzenden Weingarten liegende Basilika fallen mir da ein. Besonders Oberschwaben hat viele Schätze und ist reich gesegnet mit besonderen Orten. Ich rate jedem einmal den oberschwäbischen Pilgerweg zu gehen, der von dem vor einigen Tagen von uns gegangenen Prälat Franz Glaser sowie von Rita und Egon Öhler und deren Mitstreitern liebevoll ausgearbeitet wurde. Aber auch meine evangelische Tauf- und Konfirmationskirche, die Lamprechtskirche in Meßstetten, ist ein Ort, an dem ich immer wieder gerne einkehre. Für jedermann bieten offene Kirchentüren einen Ort des Friedens und damit eine Zeit des Rückzugs und des Gebets, um Kraft zu tanken.