Der Dekanatsrat Rems-Murr nahm in seiner Online-Sitzung am 27. Januar kurzfristig das Thema Missbrauch auf die Tagesordnung. Anlass war das Gutachten der Erzdiözese München-Freising. Die seit Jahren anhaltende Krise verschärft sich durch die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens nochmals. Neben weiteren im Zeitraum 1945-2019 verantwortlichen Personen werden auch Kardinal Marx und der ehemalige Papst Benedikt belastet. Die Mitglieder des Dekanatsrates diskutierten betroffen und bewegt über das ungeheure Versagen von kirchlichen Verantwortlichen, die nicht konsequent handelten, indem sie bekannte Missbrauchstäter lediglich versetzten und so wiederum neues Leid im Raum der Kirche ermöglichten. Schockiert, wütend, entrüstet, traurig, beschämt – so beschrieben Vertreterinnen und Vertreter der katholischen Kirche im Landkreis ihr Stimmungsbild und drückten ihren großen Schmerz über das Leid der Missbrauchsopfer und die mangelhaften kirchlichen Reaktionen aus.
Forderung: Fehler eingestehen und Verantwortung übernehmen
Der Dekanatsrat Rems-Murr fordert, dass Fehler eingestanden werden und Verantwortung übernommen wird, auch vom ehemaligen Papst Benedikt. In den Kirchengemeinden und auf allen Ebenen solle alles getan werden, dass sexueller Missbrauch nicht mehr möglich ist. Der Schutz von Kindern sei oberste Priorität, nicht der Schutz des Systems Kirche. Zahlreiche Rätinnen und Räte forderten tätige Reue der Kirche und rasche Änderungen von kirchlichen Strukturen und systemischen Fehlern. Ausdrücklich wurde aber auch bekundet, dass die große und überwiegende Mehrheit von Priestern nicht an Missbrauchsskandalen beteiligt wäre – Pauschalisierungen seien daher nicht angemessen. Dekan Kessler unterstrich, dass nur ein Weg in Wahrheit ein für die Kirche gangbarer Weg sei und sie nur so ihren Auftrag der Verkündigung des Evangeliums glaubwürdig wahrnehmen könne.
Der von einer Rätin geäußerte Satz „Das ist nicht die Kirche, wie wir sie leben wollen!“ wurde vom gesamten Dekanatsrat unterstützt. Es wurde in den Wortmeldungen zudem deutlich, wie schwer und konfliktträchtig es mitunter für engagierte Frauen und Männer in der Kirche sei, weiterzuarbeiten. Viele haben offensichtlich mit den Geschehnissen zu kämpfen und es koste enorm Kraft, durchzuhalten.
Dekan Wolfgang Kessler sieht die Kirche an einem Scheideweg, drückt aber auch die Zuversicht aus, dass die Beratungen des gegenwärtigen synodalen Weges wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Kirche geben werden. Der Stellvertretende Dekan Wolfgang Beck vertraut trotz allem darauf, dass es wieder heller in der Kirche wird.
In der Sitzung wurde auf das bereits bestehende Engagement in der Diözese Rottenburg-Stuttgart hingewiesen. Bereits seit 2002 wurde die Kommission Sexueller Missbrauch gegründet, die entsprechenden Hinweisen nachgeht und Anzeige bei der Staatsanwaltschaft stellt, wenn die Opfer dies wünschen. Im Jahr 2012 wurde darüber hinaus die Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz installiert. Im Jahr 2021 nahm die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Beschäftigte in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ihre Arbeit auf.
Auch die Aktion „Out in Church“, in der sich in den letzten Tagen viele kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland als „queer“ outeten, wurde thematisiert. Der Dekanatsrat solidarisiert sich ausdrücklich mit der Initiative und fordert, dass die sexuelle Identität von Mitarbeitenden keine arbeitsrechtlichen Nachteile nach sich zieht und sich niemand verstecken muss. Kirche solle darüber hinaus einladend sein und sexuelle Vielfalt akzeptieren. Niemand solle in irgendeiner Weise abgewiesen oder ausgeschlossen werden.
Dekan Kessler wies darauf hin, dass das Thema „Segnungen queerer Paare“ auch unter den deutschen Bischöfen intensiv diskutiert wird. Zahlreiche Äußerungen machen dabei deutlich, dass ein Weg gefunden werden muss, der Segnungen ermöglicht. Der Dekanatsrat unterstützt diesen Weg und ist sich zugleich im Klaren darüber, dass nicht alle Kirchengemeindemitglieder im Dekanat so offen über dieses Anliegen denken.