In einem blumigen Oberteil und mit einer bunten Perlenkette sitzt Valentina Vincis auf der Bank im Hof der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. „Aufpassen, da steht Wasser!“, ruft sie. Sie hält das wankende Gefäß fest und dessen Inhalt davon ab, sich auf den Tisch und die selbstgemalten Kunstwerke darauf zu ergießen. „Teacher, look!“, ein Mädchen zeigt ihr stolz ihr Bild. Vincis bewundert es und legt ihren anderen Arm enger um den kleinen Jungen auf ihrem Schoß, der begonnen hat, herumzutollen. Um sie herum sitzen noch etwa fünf weitere Kinder, die sich lachend und lautstark in einem Mischmasch aus Deutsch und Englisch unterhalten. Sie tauchen ihre Pinsel in Wasserfarben und malen schäumend Herzen, Mäuse, Häuser und wilde Striche aufs Papier.
„Der beste Moment der Woche“
Spielgruppe ist für die Kinder ein Highlight

„Wenn ich hier rausgehe, ist meine Energie komplett aufgebraucht“, lacht Vincis, „aber ich bin auch erfüllt.“ Einmal die Woche kommt die 45-Jährige für zwei Stunden in die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Tübinger Wilhelm-Keil-Straße. Seit vielen Jahren ist der AK Asyl Südstadt dort vor Ort, um Hilfestellung im Alltag zu leisten. In den bunten Containern wohnen etwa einhundert Menschen – sie stammen vor allem aus Syrien, aber auch aus anderen Ländern, wie Afghanistan, der Türkei oder Nigeria. Unter ihnen befinden sich rund zwanzig Kinder – für sie betreut Vincis zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen eine Spielgruppe. Die Kinder haben unterschiedliche Deutsch- und Schulkenntnisse und die Altersspanne zwischen zwei und dreizehn Jahren ist recht groß. „Alle haben verschiedene Bedürfnisse. Deswegen ist es nicht immer leicht“, sagt Vincis.
Einige von ihnen gehen zur Schule, aber nicht alle – denn in ihrem ersten Jahr in Deutschland sind sie von der Schulpflicht befreit. Für manche von ihnen ist die Spielgruppe daher der einzige Termin in der Woche. Außer dem Unterricht haben die anderen meist keine Aktivitäten mehr. Daher ist die Spielgruppe am Donnerstag für sie ein Highlight: „Es ist wunderbar zu spüren, wie dankbar die Kinder sind“, freut sich Vincis.
Ehrenamtliche wirken als Brücke zur Gemeinschaft

Außerdem böte die Spielgruppe den Kindern mehr Kontakt zur deutschen Kultur und sei auch eine Entlastung für die Eltern, so Vincis. In der Interaktion mit den Kindern habe sie die Möglichkeit, die Situation zu überschauen. „An den Kindern merkt man, ob in der Familie etwas schiefläuft“, sagt Vincis. Damit fungierten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen wie eine Brücke zu den Eltern und der Gemeinschaft in der Unterkunft. „Das alles macht es zu einer so sinnvollen Arbeit – für mich ist es der beste Moment der Woche.“
"Das war das Angebot, auf das ich gewartet hatte."

Während die einen Kinder malen, spielen andere mit zwei weiteren Betreuenden Lego, lassen sich von ihnen auf der Schaukel schubsen oder bauen Burgen in einem kleinen Spielzimmer. Auch ein Fußball wurde ausgepackt und trifft fast den Kopf eines malenden Mädchens. Wegen ihrer Zuneigung zu Kindern habe sie mit dieser Arbeit angefangen, so Vincis. Nach einem Abendgottesdienst in St. Johannes, wo sie regelmäßig als Ersatzmesnerin aushilft, fragte der Diakon nach Menschen, die Lust hätten, bei der Spielgruppe zu helfen. „Das war nach der großen Welle der Bereitschaft zur Flüchtlingshilfe – so im Frühjahr des letzten Jahres“, erinnert sich Vincis. Die gebürtige Italienerin hatte sich schon lange überlegt, wie sie Flüchtlingen helfen könnte. „Ich bin damit direkt konfrontiert, weil ich viele Nachrichten aus der Mittelmeerregion konsumiere“, erklärt sie: „Das war das Angebot, auf das ich gewartet hatte.“
Vincis hat inzwischen einen Eimer und zwei Stäbe geholt, die mit Fäden verbunden sind. Seifenblasen stehen bei den Kindern hoch im Kurs. „Valentina, ich will auch!“, ruft ein Junge, taucht die Stäbe in die Flüssigkeit im Kübel und schwingt sie langsam durch die Luft. Fröhlich kreischend rennen zwei kleinere Kinder hinter den schwebenden, schimmernden Blasen her.
Anwesenheit Gottes ist größer als ihr Engagement
Vincis gefällt an der Arbeit, dass der Hintergrund der Kinder so unterschiedlich ist. Damit bringen sie auch verschiedene religiöse Hintergründe mit. Dass sie selbst Christin ist, thematisiert Vincis in der Spielgruppe nicht explizit – allerdings engagiert sie sich auch in der Kirche und ist Koordinatorin der italienischen Gottesdienstgemeinschaft in Tübingen. Auch in ihrer Jungen Zeit sei sie immer ehrenamtlich tätig gewesen – bis auf eine kurze Pause, als sie vor zwanzig Jahren zum ersten Mal für einen Erasmus-Aufenthalt nach Deutschland kam. Jetzt arbeitet sie als Dozentin am Romanischen Seminar der Universität Tübingen. Da sie selbst keine Familie, aber eine Sympathie für Kinder hat, nutzt sie ihre freie Zeit für sie, um etwas zurückzugeben: „Ich habe in meinem Leben viel Glück erlebt“, sagt sie. Ihr Glaube hilft ihr dabei: „Christsein bedeutet für mich, getragen zu werden. Immer – auch, wenn ich nicht daran denke, auch unbewusst“, sagt Vincis. „Es erinnert mich daran, dass ich geliebt bin.“
Diese Liebe gibt sie an die Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft weiter. Sie erscheint in der Energie, mit der sie Spielsachen herrichtet, aufräumt, Kinder trägt, auf dem Dreirad schiebt – und ihnen zum Abschluss der beiden Stunden Schokokekse in ihre ausgestreckten Hände legt. Ihr Engagement sei nicht bewusst mit ihrem Glauben verbunden, meint Vincis, habe aber doch etwas damit zu tun: „Die Anwesenheit Gottes ist größer als mein Engagement. Sie ist da, auch wenn ich es nicht merke – sie ist unter der Haut, sie ist immer dabei. Gott ist wie die Luft, die ich atme.“
Arbeitskreis Asyl Südstadt Tübingen
Der AK Asyl Südstadt Tübingen wurde im Herbst 2014 gegründet. Seit Frühjahr 2015 betreuen die AK-Mitglieder geflüchtete Menschen in einer Gemeinschaftsunterkunft. Sie befindet sich in der Wilhelm-Keil-Straße neben dem Landratsamt.
Der AK besteht aus einer Gruppe freiwillig engagierter Bürger:innen, die geflüchtete Menschen willkommen heißen und im Alltag begleiten und unterstützen, wenn sie dies wünschen. Bei seiner Arbeit orientiert sich der AK am „Leitbild für das freiwillige Engagement für geflüchtete Menschen im Landkreis Tübingen“.
In der Gemeinschaftsunterkunft herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. AK-Mitglieder begleiten Geflüchtete auch weiterhin, wenn sie ausgezogen sind und ein eigenständiges Leben führen. Um neu Hinzugekommenen Integrationsangebote machen zu können, ist der AK immer auf der Suche nach neuen Ehrenamtlichen.