Auch in einer säkularen Gesellschaft bleiben Glaubensfragen lebendig. Ein geradezu „pulsierender Ort für Religion“ ist für Georg Langenhorst die Gegenwartsliteratur. In der Reihe „Über Gott (und die Welt) sprechen“ legte er dar, wie vielfältig zeitgenössische Autoren und Autorinnen über Gott schreiben. Der Vortrag bildete den Auftakt zu der Kulturreihe, die eine Kooperation zwischen dem Literaturhaus Heilbronn, der Evangelischen Erwachsenenbildung Heilbronn und der Katholischen Erwachsenenbildung Stadt- und Landkreis Heilbronn (KEB) ist.
Langenhorst, der in Tübingen promovierte und habilitierte, ist Professor an der Universität Augsburg. Dort hat er den Lehrstuhl für Didaktik des katholischen Religionsunterrichts und Religionspädagogik inne. Als viel gefragten Referenten stellte Moderator und KEB-Leiter Norbert Hackmann ihn vor. Seit Jahren erforscht Langenhorst die Schnittstellen zwischen Religion und Gegenwartsliteratur. Denn Religion und Sprache sind für den 58-Jährigen „zwei Lebensinteressen“. Mehr noch: „Wie Gottesfragen in der Literatur verhandelt werden, ist ein Seismograf dafür, wie sich Gesellschaft und Kultur verändern“, sagte er.
In seinem sehr anschaulichen Vortrag ließ Langenhorst die Zuhörer und Zuhörerinnen im Heinrich-Fries-Haus die Bewegungen in den kulturell-religiösen Schichten auch in deren eigenen literarischen oder biographischen Erfahrungen nachempfinden, wie die Fragerunde im Anschluss zeigte: Die Wortmeldungen aus dem Publikum ergänzten den Vortrag um eigene Beobachtungen.
Eine Entwicklung in vier Phasen
Langenhorst beschrieb eine Entwicklung, die er in vier Phasen einteilte. Bis in die 1960er Jahre sei Religion Teil des kulturellen Hauptstroms gewesen. Die christliche Glaubenswelt prägte die Autoren und durchtränkte ihre Werke. Es war die Phase der „christlichen Hochliteratur“ mit einem festen Spektrum an Themen und Formen, die sich auch gut ins 19. Jahrhundert eingefügt hätten.
In den 1960er Jahren und mit der Bewegung der 68er brach dieses Gefüge auf: Die Autoren und Autorinnen hinterfragten ihre Gottesbeziehung. Zweifel, Krisen und das Ringen mit Religion schlugen sich in Literatur und Dichtung nieder. In den 1970er und 1980er Jahren folgte laut Langenhorst dann ein großes Schweigen. Religion war kein Thema mehr, oder höchstens nur sehr indirekt. Wer sich dennoch vereinzelt mit Glauben auseinandersetzte, der landete in der Nische christlicher Verlage – und wurde dafür belächelt, wenn er überhaupt vom Feuilleton und vom literarisch interessierten Publikum wahrgenommen wurde.
Und heute? Seit den 1990er Jahren sieht Langenhorst eine spannende, vierte Phase aufziehen. Autoren und Autorinnen werden sich des Themas Religion neu und unbelastet bewusst. Sie nutzen das Vakuum, das durch die abnehmende gesellschaftliche Prägekraft der Kirchen entsteht, wie Langenhorst erklärte. Auch die Auseinandersetzung mit dem Staatsatheismus der DDR nach dem Mauerfall und neuerdings die Begegnung mit dem Islam sind für den Universitätsprofessor Ursachen für die neue Hinwendung zu Glaubensfragen.
Eine frische Sprache
Die literarischen Zugänge sind dabei vielfältig, mal ernsthaft, mal ironisch, mal provokant. „Ihnen nachzuspüren ist reizvoll, um am Puls der Zeit zu bleiben“, sagte Langenhorst. Als Beispiel führte er den Schriftsteller Patrick Roth an, der aus biblischen Motiven eine eigene Mythenwelt schafft. Oder Nora Gomringer: Die Lyrikerin beschreibt in einem ihrer Texte eine Gottesdienst-Szenerie - ironisch-schnoddrig und mit unverbrauchten Bildern. Hinter der lockeren Oberfläche machte Langenhorst aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Religion bei ihr aus.
So kann „der Mehrwert der Poesie für das religiöse Reden fruchtbar gemacht werden“, wie es Anton Knittel zu Beginn der Vortragsveranstaltung formuliert hatte. Knittel, Leiter des Literaturhauses Heilbronn, bezeichnete Religion als einen wichtigen Punkt in der Gegenwartsliteratur.
Die kommenden Lesungen der Reihe „Über Gott (und die Welt) sprechen“ wollen dafür einige prominente Beispiele präsentieren. Die Veranstaltungen sind eine Kooperation zwischen dem Literaturhaus, der Evangelischen Erwachsenenbildung und der Katholischen Erwachsenenbildung. Sie werden von unterschiedlichen Künstlern und Künstlerinnen musikalisch umrahmt - beim Auftaktvortrag spielten Esther Findeisen an der Violine und Rahel Braunwarth am Klavier. Die Reihe will auf das neue Literaturhaus, das im Sommer im Trappenseeschlösschen in Heilbronn eröffnet wird, neugierig machen.