Ehrenamt

Der Vergangenheit auf der Spur

Edgar Thelen (r.) und Dr. Jürgen Stapelmann - hier bei der katholischen Kirche St. Magnus - leiten den Geschichtsverein Fischbach ehrenamtlich - Foto: DRS / Waggershauser

Das ökumenische Tandem Edgar Thelen und Jürgen Stapelmann leitet den Geschichtsverein Fischbach am Bodensee ehrenamtlich.

Romantische Weinlokale und Fischrestaurants, malerische Strandpromenaden mit Blick aufs Schwäbische Meer und auf die nahen Alpengipfel, jede Menge alter Kapellen, Kirchen und Schlösser. Das verbinden viele mit dem Bodensee. Zur Stadt Friedrichshafen, die sich etwa über die Hälfte des württembergischen Ufers erstreckt, gehören aber auch Namen wie Ferdinand Graf von Zeppelin und Claude Dornier sowie die Großfirmen ZF und MTU. Diese sind vor allem im Norden der Stadt angesiedelt und im „Westend“, wie Edgar Thelen es nennt. Der 68-Jährige ist im Ehrenamt Erster Vorsitzender des Geschichtsvereins Fischbach.

„Wir sind beide keine Historiker oder Philosophen, sondern Naturwissenschaftler“, erklärt Zweiter Vorsitzender Jürgen Stapelmann, mit dem Thelen eng zusammenarbeitet. Der Beruf hatte sie und ihre Familien vor etwa 45 Jahren von Nordrhein-Westfalen an den Bodensee geführt. Thelen hatte Werkstofftechnik studiert und kam als Entwicklungsingenieur für Schmierstoffe, Reibung und Verschleiß zu ZF, inzwischen ein Weltkonzern der Mobilitätstechnik. Der promovierte Ingenieur Stapelmann entwickelte bei den Dornier-Werken, heute Teil von Airbus, Geräte für Forschung in der Schwerelosigkeit. Beide haben ihre berufliche Tätigkeit inzwischen hinter sich gelassen.

Gemeinsames Interesse an Geschichte der Technik

„Das Auswendiglernen von Zahlen in der Schule war nicht mein Ding“, erinnert sich Edgar Thelen an seinen Geschichtsunterricht. Aber die technischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit auf dem Gebiet der Friedrichshafener Stadtteile Fischbach, Manzell und Spaltenstein machten ihn und Jürgen Stapelmann als zugereiste Ingenieure doch neugierig. Und natürlich die Ereignisse vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Friedrichshafen spielte als Standort der Rüstungsindustrie eine bedeutende Rolle und wurde durch britische Bomben 1944 großflächig zerstört.

Dass die evangelische Kirche an der Heiligenbergstraße im Jahr 1938 überhaupt errichtet werden durfte, verdankt sie einer Urlaubsvertretung im Amt. Hintergrund des Baus sei der Wunsch gewesen, sich von der Schlosskirche und dem dortigen hitlerfreundlichen Pfarrer zu lösen, erzählt Jürgen Stapelmann. Und er zeigt auf das auffällige Kreuz über einer Weltkugel aus Metall. Es sollte auf dem Kirchendach inmitten der Hakenkreuzfahnen rundherum auf den eigentlichen Herrn der Welt verweisen. Die evangelische Gemeinde, in der der heute 76-Jährige lange Jahre aktiv war, sei damals aber auch durch Zuzüge von Dornier-Arbeitern stark gewachsen, so dass der Neubau in diesem Stadtteil gerechtfertigt war.

Erinnerung an NS-Geschichte wachhalten

An der Durchgangsstraße zwischen der alten katholischen Vituskirche und der 1956 eingeweihten Kirche St. Magnus in Fischbach fand vor ziemlich genau zehn Jahren ein Herzensprojekt von Edgar Thelen seinen Abschluss. Gunter Demnig verlegte dort den einzigen Friedrichshafener Stolperstein. Die Stadt hatte sich schon 1933 für judenfrei erklärt. Mit der Eingemeindung von Fischbach im Jahr 1937 wurde jedoch Elsa Hammer, geborene Fellheimer, zur Bürgerin. Ihr Mann war Betriebsleiter bei den rüstungsrelevanten Dornier-Werken, was die Jüdin vor Übergriffen der Nazis schützte. Als Karl Hammer im Juni 1943 plötzlich starb, wurde sie ein paar Tage später von ihrer Villa abgeholt und in Auschwitz durch Giftgas ermordet.

Die einzige Überlebende der Familie Fellheimer, Elsa Hammers Nichte Margit, machte Edgar Thelen in einem Buch ausfindig. Es beschreibt das Schicksal von 10.000 jüdischen Kindern aus Deutschland, die in England Aufnahme fanden. Über Margit Boon, die 2017 hochbetagt starb, erhielt der Geschichtsverein Bilder und weitere Detailinformationen zu Friedrichshafens einziger Jüdin. „Wir wollen auch die Jugend einbeziehen“, benennt Thelen ein Ziel des Vereins. Die beiden Vorsitzenden machen daher für Konfirmand:innen und Firmbewerber:innen am Beispiel der etwa gleichaltrigen Margit die NS-Geschichte konkret. „Stellt euch vor ihr müsst morgen ohne eure Eltern und ohne Sprachkenntnisse in ein fremdes Land“, geben sie den Jugendlichen zu denken.

Als Kirchenmensch in der Gesellschaft

Dass Edgar Thelen sich im Geschichtsverein engagiert, hat auch mit seiner kirchlichen Sozialisation zu tun. In seiner Heimat in der Gegend von Dortmund bereits als Jugendgruppenleiter bei den DPSG-Pfadfindern aktiv, kam er über die katholische Kirchengemeinde St. Magnus in Fischbach zur Kolpingsfamilie. Die Erwachsenen eines von ihm und anderen mit Kindern im selben Alter gegründeten Familienkreises treffen sich übrigens heute noch. Auch sein Amt als Kirchengemeinderat mit zwei Unterbrechungen von 1991 bis heute, davon zwölf Jahre als gewählter Vorsitzender, machte ihn im Stadtteil bekannt. Als Ernst Haller zur Vorbereitung des 2014 gefeierten Jubiläums 1250 Jahre Fischbach Mitstreiter suchte, wurde er bei Edgar Thelen fündig.

Auch Jürgen Stapelmann war bei der Gründung des Geschichtsvereins Fischbach im Jahr 2010 schon dabei. Thelen war zunächst Zweiter Vorsitzender und übernahm mit Ausscheiden und Tod Hallers 2018 den Ersten Vorsitz. Das Heimatbuch anlässlich des Jubiläums ist längst vergriffen. In den letzten Jahren richtete der 95 Mitglieder zählende Verein mit Hinweistafeln und QR-Codes einen technisch-historischen Rundweg ein. Er bezog 15 bestehende Tafeln des Friedrichshafener Geschichtspfads ein und erweiterte sie mit Geldern der Stadt für ehrenamtliches Engagement um zwölf neue. Darunter ein Fliegergedenkstein an Graf Zeppelin, eine Pumpstation für ein Raketentestgelände im Zweiten Weltkrieg oder das Zwangsarbeiterlager Wolga II.

„Das ist zwar jüngere Geschichte, aber es ist ganz wichtig, sie für die Nachwelt bereitzuhalten.“

Das sagt Jürgen Stapelmann auch im Blick darauf, dass die Zeitzeugen weniger werden. Immer wieder schaffen es die beiden Vereinsvorsitzenden in Vorträgen und Aktionen, Menschen mit ihrer Begeisterung für Technik und ihrem historischen Interesse anzustecken und zum Nachdenken zu bringen. Darunter sind auch viele Mitglieder der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden. Bei diesem vielfältigen kirchlichen und gesellschaftlichen Engagement ist es kein Wunder, dass neben den typischen Arbeitervierteln auch die drei Gotteshäuser selbstverständlich Teil des Rundwegs durch Fischbach, Manzell und Spaltenstein sind.

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