Medizin

Der Mensch darf nicht alles, was er kann

Foto: Stefanie Oeben/drs.de

Der Mensch darf in der vorgeburtlichen Diagnostik nicht alles tun, zu was er technisch fähig wäre, sagte Bischof Dr. Gebhard Fürst im St.-Elisabethen-Klinikum.

Die sozialen Folgen wären verheerend. Darin war sich Bischof Gebhard Fürst mit Dr. Anette Schneider, Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums der St.-Elisabeth-Stiftung, und PD Dr. Andreas Artlich, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche, bei einer Diskussion im St.-Elisabethen-Klinikum einig. Die Gesellschaft müsse vielmehr lernen, mit Behinderten umzugehen, forderten Bischof und Ärzte einhellig.

„Hilfen am Lebensanfang. Ist alles erlaubt, was machbar ist?“ lautete das Thema, dem sich Bischof und Ärzte widmeten. „Ein genauso breites wie sensibles Thema, das Medizin, Ethik und Theologie gleichermaßen herausfordert“, stellte Dr. Gebhard Fürst fest. „Wir müssen auf die Grundorientierung achten“, betonte er.

Ein Embryo ist kein Zellhaufen,
sondern Mensch von Anfang an.

Diese ist für den Bischof  klar definiert. „Ein Embryo ist kein Zellhaufen, sondern Mensch von Anfang an.“ Vom Zeitpunkt der Befruchtung an sei er Träger der Menschenwürde. Ob behindert oder nicht: Als das schwächste Glied der Kette sei das ungeborene Kind besonders zu schützen.

Sowohl mit den Ärzten auf dem Podium als auch mit der überwiegenden Mehrheit der 80 Zuhörer in der Halle des Klinikums bestand diesbezüglich Konsens. Womit auch das daraus Folgende nicht umstritten war: Kürzlich wurde ein mütterlicher Bluttest zugelassen, der es ermöglicht, bei einem ungeborenen Kind sehr früh in der Schwangerschaft ein Down-Syndrom zu diagnostizieren.

Wie geht die Gesellschaft mit Behinderten um?

Er habe unlängst mit einem 64-Jährigen mit Down-Syndrom bei einer Feier ein anregendes und wertvolles Gespräch geführt, erzählte Dr. Artlich. Undenkbar für den Kinderarzt, dass ein solches Leben zukünftig noch im Mutterleib beendet würde, nur weil ein Test ein unerwünschtes Ergebnis erbracht hat.

Vielmehr sei die Frage zu stellen, wie die Gesellschaft mit Behinderten umgeht, unterstrich Dr. Artlich. Wenn man auf dem Spielplatz hinter vorgehaltener Hand hört, dass Kinder mit Behinderungen und Entwicklungsauffälligkeiten doch heutzutage „vermeidbar“ seien, dann fehle es am richtigen Verständnis und an sozialem Verantwortungsgefühl.

Von Inklusion
sind wir noch weit entfernt.

Dr. Anette Schneider bestätigte das. „Ich erlebe Familien oft in großen Nöten“, berichtete sie und fragt: „Wie gelingt es, Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zu integrieren?“ Ihr bitteres Fazit: „Von Inklusion sind wir noch weit entfernt!“

Aufklärung beginnt bei betroffenen Familien. „Die Beratungsstellen sind stark frequentiert“, weiß Bischof Fürst. Er fordert die Ausweitung der Kapazitäten sowohl bei kirchlichen als auch bei staatlichen Stellen.

Es komme auch auf die Art der Beratung an, merkte Dr. Artlich an. Vielfach sei sie zu sehr auf Risiken und Probleme fixiert. Er selbst versuche in seiner Sprechstunde, den Eltern einen „Eindruck“ von der oftmals guten Integration behinderter Kinder in ihrem sozialen Umfeld zu vermitteln, wisse aber auch: „Sie stehen enorm unter Druck.“

Bischof befürchtet eine Selektion

Für Schwangere über 35 Jahrem zahlen die gesetzlichen Krankenkassen den Test auf Trisomie 21. Bischof Fürst ist strikt dagegen. Dr. Artlich hält diese Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses dagegen für gerechtfertigt. Wenn der Test von Privatpatienten in Anspruch genommen werden darf, müsse er auch für Kassenpatienten verfügbar sein. Eine Zweiklassenmedizin dürfe es in dieser Frage nicht geben. Das Problem sei ein anderes: „Der Test sollte erst gar nicht zugelassen sein!“

Bischof Fürst befürchtet derweil noch viel Schlimmeres. Tests zur Gesundheit eines Embryos könnten nur der Anfang sein. Schon bald würden auch Möglichkeiten gefunden, Intelligenz und Aussehen vorhersagen können.

Eine Selektion drohe, sodass nur noch die gewünschten, die gesunden, intelligenten und schönen Kinder zur Welt kommen dürften. „Das ist keine Schwarzmalerei. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich in diese Richtung entwickelt“, warnte der Bischof. Eine „ungeheure Fremdbestimmung“ drohe den ungeborenen Kindern.

Das ist keine Schwarzmalerei.

„Grundsätzlich technisch machbar, ein Horrorszenario“, urteilt Dr. Artlich und beruhigt zugleich. Hierzulande regle seit 2016 das Gendiagnostikgesetz, was erlaubt ist und was nicht. Akute Gefahr drohe aus einer ganz anderen Richtung.  Neue Therapieverfahren würden die Kosten im Gesundheitswesen exorbitant steigen lassen.

Für Mukoviszidose gebe es schon ein mutationsspezifisches Therapieverfahren. „Die Mukoviszidose, wie wir sie heute kennen, stirbt aus.“ Für andere Krankheiten würden Verfahren entwickelt, die vielleicht 15.000 oder 50.000 Euro im Monat kosten könnten.

Verwurzelung in der christlichen Tradition

Dr. Artlich: "Das können wir so nicht bezahlen. Wir müssen einen offenen und schmerzhaften Diskurs führen: Wer kriegt was?“ Nur traue sich an dieses komplexe und emotionsbehaftete Thema niemand – insbesondere keine Politiker - heran. „Ich sehe das ebenso dramatisch“, pflichtete der Bischof dem Kinderarzt bei. „Wir haben diese Problematik schon 2005 diskutiert.“

Nach  2018, 2016 und 2012 war es bereits das vierte Mal, dass der Bischof zu einem Forum für Ärzte und medizinisch Interessierte ans St.-Elisabethen-Klinikum gekommen war. „Die Hülle hat sich gewandelt“, spielte Geschäftsführer Dr. Sebastian Wolf auf die Neubauten an, „aber es gibt Konstanten wie die Verwurzelung in der christlichen Tradition.“

Deshalb passe gerade dieses Gesprächsformat des Bischofs zum Klikum. Die offene Halle sei geradezu Sinnbild für Offenheit des Dialogs zwischen Theologie und Medizin.

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