Diakonat

Diakone als Speerspitze

Diakone tagen in Stuttgart

Diakon Thomas Nixdorf, Professor Dr. Rainer Bucher und Domkapitular Holger Winterholer (v.li.), der die Hauptabteilung Pastorales Personal in der DRS leitet, bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Ständiger Diakon in Stuttgart. Bild: Eva Wiedemann / Diözese Rottenburg-Stuttgart

Rund 60 Verantwortliche für den Diakonat aus ganz Deutschland haben sich in den vergangenen Tagen in Hohenheim getroffen.

Im Tagungszentrum der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart (DRS) setzten sich die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Ständiger Diakonat in Deutschland mit der aktuellen Situation der Gesellschaft im Allgemeinen und der Lage der Katholischen Kirche  auseinander; und natürlich auch damit, welche Auswirkungen diese rasanten Veränderungen auf die pastorale Arbeit und insbesondere den Diakonat haben.

Täglich ist ein massiver Wandel erlebbar

Professor Dr. Rainer Bucher aus Bonn stellte seinen Vortrag unter den Titel „Wenn nichts bleibt, wie es war“. Er zeigte den Teilnehmenden die revolutionären Umbrüche in Kirche und Gesellschaft auf, die seiner Meinung nach heute viel schneller abliefen als in der Vergangenheit. „Sie erleben alltäglich einen massiven Wandel“, so Bucher. Es sei aber falsch, diese Situation lediglich zu bedauern. Schließlich habe gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie verwundbar der Mensch als Individuum und gesellschaftliche Strukturen insgesamt seien. Denn bis dahin habe die moderne Gesellschaft es weitgehend geschafft, die Gefahren des menschlichen Lebens durch kulturelle und technologische Ordnungsstrukturen in den Griff zu bekommen.

Heute steuert die Biografie die Religion

Bucher stellte die Frage, wie sich die Katholische Kirche in dieser Situation selbst neu „entwerfen“ könne. Gerade, wenn sie nicht mehr „Herrin“ ihrer Mitglieder sei. „Religion steuert nicht mehr Biografie, wie das noch bei meinen Eltern war“, erläuterte Bucher. „Sie lebten noch auf der Basis der normativen Vorgaben der katholischen Kirche.“ Das sei heute nicht mehr so. Vielmehr regiere heute die Biografie die Nutzung religiöser Orte. Diese sie daher situativ und interessensbezogen und das zeige eine völlig neues Nutzungsmuster von Religion auf. Für diesen gesellschaftlichen Veränderungsprozess könne die Kirche im Kern nichts, aber er sei für die Kirche maßgeblich.

Schonungsloses Bild der Kirche gezeichnet

Anders verhalte es sich, wenn es darum gehe, dass die Kirche sich selbst widerspreche. Einerseits habe die katholische Kirche die Menschenrechte als normative Grundlagen der Gesellschaft anerkannt. Andererseits verstoße sie mit der strukturellen Abwertung von Frauen, mit ihrer absolutistischen internen Verfassung und mit ihrer Rechtsordnung, die nicht auf Gewaltenteilung basiere, gegen eben jene Grundlagen, die eigentlich christlich begründet sind. Der Missbrauch mit seiner über Jahrzehnte hinweg andauernden strukturellen Mitleidlosigkeit mit den Opfern verstärke dies umso mehr. Denn damit sei gegen den Schutz von Schwachen und Bedürftigen verstoßen worden. Ein Wert, der  im Christentum zentral sei. „Im Ergebnis verliert die Kirche nicht nur ihre Gegner, sondern auch ihre Anhänger“, zeichnete Bucher ein schonungsloses Bild der Kirche. Diese habe ihren Kredit verspielt oder vielleicht mit dem Synodalen Weg noch eine letzte Chance.

Gefangen in Wettbewerb, Verdinglichung und Schnelligkeit

„Wenn die Religion nicht mehr das menschliche Leben erfüllt, wer bestimmt es dann?“, fragte der Professor und antwortete selbst mit dem Begriff des „kulturell hegemonialen Kapitalismus“. Dabei gehe es um Wettbewerb, Verdinglichung, Monetarisierung, äußere Motivationsanreize, eigene Interessensorientierung und beispielsweise auch Schnelligkeit. Diese kulturellen Auswirkungen des  Kapitalismus‘ würden subtil alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdringen und es gelinge ihnen sogar, sich als eigener Wille des jeweiligen Menschen darzustellen.  „Deshalb braucht es dafür keinen Gehorsam“, schlussfolgerte Bucher. „Wir können nicht aus unserer Kultur aussteigen“, so Bucher. „Deshalb müssen wir den Kontrollverlust, den diese Situation für die Kirche im Vergleich zu früheren Zeiten bedeutet, annehmen.“ In einer solch unsicheren Situation müsse sich die Kirche auf ihren eigentlichen Zweck rückbesinnen. Es gelte, die heutige Existenz „in Wort und Tat, im persönlichen Bereich des menschlichen Lebens wie in gesellschaftlichen und politischen Strukturen mit dem Evangelium zu konfrontieren“.

Diakone zeichnen sich durch besondere Eigenschaften aus

Gerade weil die Diakone „etwas ganz Besonderes“ seien, wären sie für die neue Zeit besonders gut gewappnet. Schließlich habe es ihr Amt über Jahrhunderte nicht gegeben, nun bekleideten es Männer, die verheiratet wären und parallel seien Diakone zwar Kleriker, aber auf der „niedrigsten Stufe“, da sie z. B. keine Eucharistie feiern dürften, so der Professor weiter. „Sie haben also drei herrliche Stigmata.“ Dass die Diakone damit zwischen allen Stühlen säßen, sei kein Manko, sondern eine Chance, mache sie zur Speerspitze einer nachklerikalen Kirche. Dass Frauen nicht zur Diakonin geweiht werden dürften, sei völlig inkonsequent. Zumal die Diakone vor Ort und gerade aufgrund ihrer besonderen Umstände die Freiheit hätten, das zu tun, was das Evangelium vorgebe. „In dieser offenen Situation brauchen wir eine Organisationsform von Kirche, die Situativität, Experimentalität und Freiheit favorisiert. Wir brauchen eine Abkehr vom Habitus der Selbstverständlichkeit von kirchlichen Rollen, eine Abkehr von pastoraler Routine“, forderte Bucher.

Innovative Praxisbeispiele der pastoralen Arbeit aus ganz Württemberg präsentiert

Wie diese Transformationsprozesse begleitet und konkret gestaltet werden können, zeigte der Experte für Personalentwicklung und Organisationsberatung, Meinard Bumiller, im Anschluss auf. Neben Vorträgen wurden auf der Jahrestagung auch innovative Praxisbeispiele aus der pastoralen Arbeit in der DRS vorgestellt. Pastoralreferentin Kistin Kruger-Weiß und Pfarrer Stefan Karbach vom Spirituellen Zentrum „Station S“ in Stuttgart präsentierten ihr vielfältiges niederschwelliges Angebot im Zentrum der Stadt. Damit erreichen sie viele Menschen, die in den Kirchengemeinden nicht andocken und in der „Station S“ die „spirituelle Nahrung" finden, die sie suchen. Dass in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Weite des Katholischen in einem breiten Spektrum gelebt wird, zeigte auch Diakon Martin Fischer von „Homebase", einer katholisch-charismatische Gemeinde in Stuttgart-Neugereut. „Homebase“ spricht viele Menschen unterschiedlichster Herkünfte an, die zur Eucharistiefeier kommen und ihren katholischen Glauben und ihr Gebetsleben vertiefen wollen. Dort wird beispielsweise auch die „ewige Anbetung“ (24 Stunden/7 Tage) gepflegt.

Den Blick über Stuttgart hinaus warf Pastoralreferentin Annegret Hiekisch vom Dekanat Böblingen. Sie sprach über die Quartierspastoral in Sindelfingen, die zu einem großen Teil auch mobil gestaltet wird und berichtete von ihrer Arbeit mit dem so genannten „AnsprechBarMobil". Jörg Gebele, Ingenieur aus Ulm, sprach über die besonderen Chancen als Diakon im Zivilberuf und Ansprechpartner am Arbeitsplatz für vielfältige Nöte seiner Kolleginnen und Kollegen. Eine Exkursion führte die Teilnehmenden der Tagung auf die Großbaustelle Stuttgart 21, wo Diakon und Betriebsseelsorger Peter Maile seine Arbeit vorstellte.

Auf dem Programm der Jahrestagung standen auch der Rechenschaftsbericht der Arbeitsgemeinschaft und Informationen aus der Deutschen Bischofskonferenz, die der Münchner Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg überbrachte. Zudem feierten die Teilnehmenden gemeinsam Eucharistie und lernten die DRS beim Bistumsabend mit Bischof Dr. Gebhard Fürst und Domkapitular Holger Winterholer, dem Leiter der Hauptabteilung Pastorales Personal, näher kennen.

Organisator Thomas Nixdorf freute sich über den erfolgreichen Verlauf der Jahrestagung. Der Diakon ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ständiger Diakonat in Deutschland. „Mir war es wichtig, dass unser Treffen  Anregungen zur Weiterentwicklung des Diakonats liefert und Möglichkeiten bietet, sich intensiv untereinander auszutauschen“, sagte Nixdorf. „Beides ist uns gelungen und das ist ein schöner Erfolg nach drei arbeitsintensiven Tagen in Hohenheim.“

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