Corona

Diakonie ist der Auftrag Jesu an uns!

Diakon Thomas Brehm aus Oberndorf. Foto: Auge und Ohr

Zuwendung zu den Menschen und Kontakt suchen auch in Zeiten von Corona, das ist die Berufung von Diakon Thomas Brehm.

Ich traf einen bekannten Oberndorfer Rechtsanwalt vor der Tür meines Hausarztes. Er sprach mich an: „Hallo Herr Brehm, lange nicht mehr gesehen. Wie geht’s Ihnen in ihrem Urlaub? Wird es ihnen nicht langsam zu langweilig?“ Ich fragte ihn, wie er auf die Idee kommt, dass ich Urlaub hätte? Er antwortete mir: „Ja in der Kirche läuft doch grad nix!“ Ich bedankte mich sehr freundlich für seine Nachfrage und wir kamen ins Gespräch. Dann erzählte ich ihm von meinem Erleben und von meiner Arbeit:

Ich erlebe die Pandemie in unserer Seelsorgeeinheit „Raum Oberndorf“ im Dekanat Rottweil als eine spannende, widersprüchliche, unmenschliche, sprachlose, traurige, frohe und sehr arbeitsreiche Zeit. Es ist alles dabei, was an Empfindungen möglich ist. Corona deckt gnadenlos den Zustand auf, in dem die Kirche in unserer Raumschaft ist. Es passiert viel: schönes, schlechtes, hilfreiches und zu kritisierendes und mein positives, manchmal auch naives Kirchenbild bekommt immer mehr Risse, die nicht einfach überspachtelt und gekittet werden können. Sie sind da und bleiben.

Risse, bei denen ich nicht nur an die Skandale und Schwierigkeiten der Kirche in Deutschland denke, sondern besonders an die Verletzungen und schwierigen Lebenssituationen, die Menschen zurzeit besonders erfahren. Immer wenn ich bei den Menschen in ihren Lebenslagen bin, umso mehr erfahre ich von trostlosen und traurigen Erlebnissen. Dabei sind alle Altersgruppen betroffen: Alte und Junge, es macht keinen Unterschied! Besonders das Abstand halten, das nur schwer Begleitung und Beziehung zulässt, werden als sehr schmerzlich wahrgenommen. Viele haben Angst, viele fühlen sich allein gelassen. Viele stehen vor den Scherben ihrer Existenz. Besonders wenn ich mit Trauernden Beerdigungen vorbereite und sie in dieser Phase begleite, bekomme ich das Drama der Pandemie besonders zu spüren. Sterbebegleitung ist manchmal unmöglich, Sterben findet im Verborgenen statt. Menschen sind in diesen Situationen überlastet und überfordert, ja traumatisiert. Das macht mich traurig!

Ich habe mich während des letzten Jahres nicht zurückgezogen, ich habe kaum Urlaub gemacht und bin weiterhin fleißig mit Menschen in Kontakt, so gut es eben geht in der Pandemie. Kontakte erlebe ich als sehr wichtig und wenn früher ein Gespräch kurz war, ist heute das Gegenteil der Fall: Menschen möchten sich mitteilen, möchten von ihrem Leben erzählen und das finde ich toll. Auch in den Lockdowns, als alles geschlossen werden musste, haben wir im Pastoralteam individuelle Lösungen von Seelsorge, Begleitungen und Gottesdienstformen besonders für die Altenheime und ans Hausgebundenen gefunden, so wie es je Pandemiephase möglich war.

Es ist auch besonderes passiert. Wir konnten gemeinsam in Epfendorf einen Besinnungsweg aufbauen und feierlich einweihen. Der Kreuzweg in Altoberndorf wurde thematisch neugestaltet. In den Kirchengemeinden entstanden verschiedene spirituelle Rundwege. Für Erstkommunionkinder fanden besondere Veranstaltungen statt. Unsere Firmlinge des letzten Jahres konnten gefirmt werden. In der Tafel arbeiten die Ehrenamtlichen an vorderster Front und nehmen viel Mühe auf sich, die Oberndorfer Bedürftigen zu versorgen. Dort wo viele wegbleiben, da erlebe ich besonders viel Engagement und Einsatzbereitschaft. Das beeindruckt mich!

Ich bin sehr froh in einem tollen, offenen Pastoralteam arbeiten zu können: Wir stellen uns gemeinsam den Anforderungen der Pandemie und haben vieles neu entwickelt, um den Menschen nahe zu sein. Wir sind in den neuen Medien präsent, feiern Online Gottesdienste, machen spirituelle Impulse und gehen mit großer Flexibilität jeden Tag ans Werk. Ich erlebe bei uns keinen Stillstand, sondern eher Aufbruchsstimmung. Das macht mich froh!

Auf der anderen Seite erlebe ich die Ehrenamtlichen und Mitchristen unserer Seelsorgeeinheit überlastet und auch überfordert. Da wo viele Gottesdienste gefeiert wurden: Was machen wir, wenn gerade keine Gottesdienste gefeiert werden können? Wie kann es weitergehen? Dann fragen immer mehr Menschen die Kirche kritisch an und erleben Kirche als alt, starr und nicht mehr aussagefähig. Da ist viel kaputtgegangen und wenn Corona vorbei ist, dann ist für mich schon jetzt klar, dass es ein einfaches „weiter so“, so wie es immer war, nicht geben wird. Das macht mich nachdenklich!

Die Kirche wird sich verändern. Was kommen wird? Das weiß ich nicht, aber ich habe keine Angst vor dem Wandel. Ja ich freue mich darauf, denn ich bin überzeugt, dass die Kirche nicht zugrunde geht. Es werden sich höchstens gewohnte Strukturen der Kirche radikal verändern. Die Kirche wird ein anderes Gesicht bekommen. Es wird etwas ganz Besonderes geschehen, da bin ich mir ganz sicher! Das macht mich neugierig!

Am Gründonnerstag habe ich im Abendmahlgottesdienst über das Sakrament der Fußwaschung gepredigt. Der Auftrag Jesu: „Was ich an euch getan habe, sollt auch ihr tun“, hat mich wie ein Blitz getroffen. Es ist wie ein Stachel, der sich in mir festgesetzt hat. Ja! Das ist es: Es geht um die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen und es geht um Gotteserfahrungen. Die Frage ist nur: Fragen wir nach Gott? Oder bedienen wir nur Strukturen, die leblos und deshalb auch wertlos sind? Ich glaube, dass es sich lohnt aufzubrechen und Neues zu wagen und das in zwei Dimensionen: Spirituell, um die Begegnungen mit Gott zu erkunden, zu entdecken wo er ist und wie er erlebt wird. Diakonisch, um den konkreten Auftrag Jesu auszuführen.

Diese zwei Dimensionen regelmäßig mit den Menschen in der Seelsorgeeinheit zu reflektieren ist eine große Aufgabe! Unser Auftrag ist, bei den Menschen zu sein und die Menschen glücklich zu machen. Die Menschen möchten Gott erfahren in ihrem Leben, in ihrer Situation. Nicht nur im Gottesdienst, sondern im gemeinsamen Ringen um die richtigen Lebenswege, im gegenseitigen helfen, in der tragenden Gemeinschaft ist Gott da, da ist Gott mitten unter uns. In diesem Sinne geht es um das Leben der Menschen, die ein erfülltes, glückliches Leben haben wollen und wir Christinnen und Christen haben den Auftrag Jesu bekommen, Menschen glücklich zu machen. Dann haben wir Gemeinschaft mit ihm, unserem Herrn. Wenn wir es schaffen, das zu verwirklichen, dann glaube ich fest daran, dass die Kirche sich in einer neuen Form wieder sichtbar attraktiv zeigen wird. Die Menschen werden erkennen, dass es sich lohnt, in der Kirche zu sein. Eine solche Vorstellung macht mir Mut und erfüllt mich jetzt schon mit sehr viel Freude auf das, was kommen wird.  Das lässt mich aufbrechen!

So erzählte ich dem Mann meine Gedanken und was mich als Christ und Diakon umtreibt. Und wir verabschiedeten uns freundlich und nachdenklich!

Diakon Thomas Brehm

Seelsorgeeinheit „Raum Oberndorf“

Der Artikel ist entnommen aus dem Heft „Auge und Ohr“, der Zeitschrift des Rates der Ständigen Diakone in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Rottenburg, 2021. Das ganze Heft ist kostenlos zu beziehen unter expedition-drs.de.

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