Die Boten Gottes

Was die Bibel über Engel weiß – ein Interview mit Prof. Dr. Herbert Niehr

Insgesamt 132 Exponate aus fünf Jahrtausenden präsentiert das Diözesanmuseum in Rottenburg unter dem Titel „Engelwelten“. Vom 9. Dezember bis 17. März 2019 sind Objekte unter anderem aus dem Alten Ägypten und dem Alten Orient zu sehen sowie die Vielfalt der „Engelwelten“ in der jüdisch-christlichen Kultur. Professor Dr. Herbert Niehr (63), Inhaber des Lehrstuhls für Biblische Einleitung und Zeitgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, erläutert den Hintergrund im Alten und Neuen Testament. 


Herr Professor Niehr, unter Engeln stellen sich viele heute Menschen mit Flügeln in weißen Gewändern vor. Entspricht dies den biblischen Vorstellungen? 

Prof. Dr. Herbert Niehr: Ja und Nein. Es gibt in der Tat solche Darstellungen, etwa im Buch Daniel, wo ein Mann auftritt und für den Apokalyptiker Daniel etwas erklärt. Oder etwa die Männer im leeren Grab Jesu entsprechen diesen Vorstellungen mit dem weißen Gewand, weniger denen mit den Flügeln. Aber von der Bibel her geht es nicht um die äußere Form. Da begegnen wir sehr unterschiedlichen Gestalten. In den meisten Fällen wird gar nicht ausgesagt, wie die Engel eigentlich aussahen. Wir sind natürlich sehr geprägt durch die christliche Kunst, die uns gewisse Engeldarstellungen an die Hand liefert. Und dann hat man natürlich, weil man das Ganze visualisieren muss, einen Mann oder eine Frau mit einem netten Gesicht und Flügeln und einem entsprechenden würdigen Gewand. Das sind nachträgliche Visualisierungen, die so nicht im Bibeltext stehen. 
Woher kommt das Wort Engel eigentlich und was bedeutet es? 

Niehr: Unser Wort Engel geht zurück auf das lateinische „angelus“, dieses wiederum ist entlehnt aus dem griechischen „angelos“. Wir treffen dieses Wort in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Da übersetzt es das hebräische „malak“, das heißt „der Bote“, der entweder zwischen Göttern eine Botschaft überbringt – das ist gut belegt in vielen altorientalischen Texten – oder – der sich zwischen Gott und den Menschen hin und her bewegen kann, was typisch ist für das Alte Testament. Das hat eine rein funktionale Bedeutung, das Alte Testament sagt nichts über das Wesen der Engel. 

Bei „Boten“ ist gerade in der Weihnachtszeit der Engel bekannt, der Maria verkündet, dass sie den Messias gebären wird. Oder der Engel, der Josef im Traum sagt, dass er mit Maria und dem Kinde nach Ägypten fliehen soll. Aber das sind ja nicht die ersten Begegnungen zwischen Engeln und Menschen. Wie sieht das im Alten Testament aus? 

Niehr: Die Begegnungen im Alten Testament sind vielfältiger Natur. Es kommen zum Beispiel drei Männer zu Abraham, die die spätere Tradition dann als Engel versteht. Oder im Buch Jesaja die Jahwe-Vision im Jerusalemer Tempel. Um Gott herum bewegen sich die Seraphim, diese loben ihn mit dem Dreimal-Heilig und stellen auch den Kontakt zum Propheten Jesaja dar. Der sagt: „Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und wohne unter einem Volk mit unreinen Lippen, und meine Augen haben den König, Jahwe Sebaoth, geschaut.“ Und da bewirkt einer jener Seraphim, dass er mit einer Kohle entsühnt wird. Daher kann er an der himmlischen Ratsversammlung teilnehmen. Dann geht es weiter, zum Beispiel im Buch Tobit. Raphael, der heilende Engel, ist der Wegbegleiter. Oder wir haben im Daniel-Buch den Deute-Engel, der ausgesandt wird, um bestimmte Situationen zu erläutern. 

Die Bibel zeigt uns also Engel als Nachrichtenüberbringer. Wieso spricht dann Gott nicht direkt mit den Menschen, wie er es in anderen Situationen tut? 

Niehr: Wir haben zum Beispiel im Buch Exodus die Aussage, dass Mose auf den Gottesberg geht und direkt mit Gott in Kontakt steht. Das ist für diese literarische Schicht des Alten Testaments kein Problem. Problematisch wird die Sache in dem Moment, wo es nur noch einen Gott gibt. Das ist ja eine lange Entwicklung in der Religionsgeschichte Israels, die an ein gewisses Ende kommt im 2. Jahrhundert vor Christus. Das heißt, man muss jetzt Jahwe in eine weite Ferne entrücken, damit er alleine in einer großartigen Majestät für sich steht. Gleichzeitig stellt sich damit die Frage, wie denn Gott noch in Kontakt sein kann mit der Welt. Und da werden jetzt diese Boten wichtig, die vorher im alten Orient zwischen Göttern Botschaften überbracht haben. Sie überbringen jetzt auch Botschaften Jahwes an die Menschen. Oder aber sie regieren einzelne Völker, im Auftrag Jahwes wie Gouverneure. Wir sprechen da von den Völkerengeln. Michael tritt für Israel ein als Fürsprecher und als Kämpfer. Und auch im Daniel-Buch ist die Rede von Völkerengeln der Meder und der Perser. 

Engel haben heute ja Konjunktur, wie man an der großen Anzahl von Büchern sehen kann. Da ist die Rede etwa von Erzengeln, die den anderen Engeln übergeordnet sind. Sind diese Rangordnungen biblischen Ursprungs oder stammen sie anderswo her? 

Niehr: Die Rangordnung ist nicht biblischen Ursprungs, sondern das ist typische christliche Systematik. Im Hintergrund steht ein Theologe um 500 nach Christus, den wir als Dionysius Aeropagita kennen. Und dieser sieht sich genötigt, angesichts einer zum Teil etwas chaotischen Engellehre ein bisschen Ordnung hereinzubringen. Er fragt: Welche Rangabstufungen gibt es eigentlich? Und da tritt zum ersten Mal der Terminus Erzengel auf. Die aus dem Alten Testament bekannten Gabriel, Raphael und Michael gelten dann als Erzengel und unter ihnen stehen die normalen Engel. Darüber stehen die Cherubim und die Seraphim. Aber das ist ein relativ neues System und findet sich so nicht in der Bibel. Wie überhaupt auch in der Bibel Cherubim und Seraphim nicht als Engel gelten. Das sind keine Boten. Weil man diesen Zwischenbereich – es ist nicht Gott, es ist nicht Mensch – irgendwie theologisch fassen muss, werden sie in der späteren christlichen Tradition in die große Familie der Engel integriert. 
 

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