Am 8. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. In einer Zeit, in der es in Europa wieder Krieg gibt, spricht Militärseelsorger Thomas Funke aus Stuttgart über seinen Beruf und seine Erfahrungen.
Herr Funke, was bedeutet der 8. Mai 1945 für Sie persönlich?
Der 8. Mai 1945 markiert für mich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und hat für viele Menschen unterschiedliche Bedeutungen. Für einige ist es ein Tag der Befreiung von einem totalitären Regime, während andere die damit verbundenen Verluste und das Leid in Erinnerung behalten. Persönlich dient mir dieser Tag als Anlass, über Frieden, Versöhnung und die Lehren aus der Geschichte nachzudenken.
Spielen Dinge wie Erinnerung an Schuld, Verantwortung und Versöhnung in Ihrer seelsorgerlichen Arbeit bei der Bundeswehr eine Rolle?
Ja, in der seelsorgerlichen Arbeit bei der Bundeswehr spielen Themen wie Erinnerung an Schuld, Verantwortung und Versöhnung eine wichtige Rolle. Diese Aspekte sind entscheidend, um Soldaten bei der Verarbeitung von Erlebnissen und Herausforderungen zu unterstützen. Seelsorger bieten einen Raum für Reflexion und helfen, emotionale und moralische Konflikte zu bearbeiten. Dies fördert nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern auch die Gemeinschaft innerhalb der Truppe.
Und der Zweite Weltkrieg? Spielt der in Ihren Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten eine Rolle, beispielsweise wenn es einen Gedenktag wie in diesen Tagen gibt?
Der Zweite Weltkrieg ist ein bedeutendes Thema in Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten, insbesondere an Gedenktagen. Diese Anlässe bieten sich durch die Umbenennung von Kasernen, Straßen und anderen öffentlichen Orten leider immer weniger, über die Lehren aus der Geschichte und die Bedeutung des Friedens zu reflektieren. Viele nutzen solche Gelegenheiten, um Respekt für die Opfer zu zeigen und die Wichtigkeit von Erinnerungskultur zu betonen.
Bemerken Sie Unterschiede zwischen den Generationen, was das Geschichtsbewusstsein betrifft?
Ja, es gibt bemerkenswerte Unterschiede im Geschichtsbewusstsein zwischen den Generationen. Jüngere Generationen neigen dazu, Geschichte durch digitale Medien und soziale Netzwerke zu konsumieren, was ihre Perspektiven und Interpretationen beeinflussen kann. Ältere Generationen hingegen haben oft eine traditionellere Herangehensweise, die auf gedruckten Quellen und persönlichen Erfahrungen basiert. Diese Unterschiede können zu variierenden Auffassungen über historische Ereignisse und deren Bedeutung führen.
Wie wichtig denken Sie ist die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs noch heute?
Die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges bleibt von großer Bedeutung, da sie uns hilft, die Lehren aus der Geschichte zu verstehen und die Auswirkungen von Krieg und Konflikten zu reflektieren. Sie fördert das Bewusstsein für Frieden, Versöhnung und die Notwendigkeit, ähnliche Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Zudem spielt sie eine zentrale Rolle in der Identitätsbildung und im kollektiven Gedächtnis vieler Nationen.
Und wie wird dies von Ihrer Warte aus von den Soldat:innen gesehen?
Soldaten bilden einen Querschnitt der Bevölkerung und daher gibt es keinen Unterschied zu den Deutungen, die wir in der Gesellschaft vorfinden.
Viele Menschen sorgen sich angesichts des Kriegs in der Ukraine vor einer Rückkehr bewaffneter Konflikte in ihr Leben. Wie geht es dabei den Soldatinnen und Soldaten?
Die Sorgen der Menschen über bewaffnete Konflikte sind verständlich, insbesondere im Kontext des Ukraine-Kriegs. Soldatinnen und Soldaten, die in solchen Situationen dienen, erleben oft hohe emotionale und psychische Belastungen. Es ist wichtig, dass sie Unterstützung erhalten, um mit den Herausforderungen umzugehen, die mit ihrem Dienst und den damit verbundenen Ängsten einhergehen. Die gesellschaftliche Anerkennung und der Dialog über ihre Erfahrungen können ebenfalls zur Bewältigung beitragen.
Was bewegt die Bundeswehrangehörigen dabei besonders?
Über ihre persönlichen Fähigkeiten und die materielle Ausstattung machen sich die allerwenigsten Sorgen, die Frage ist eher wie sich die Gesellschaft in Deutschland im Falle eines drohenden militärischen Konfliktes verhalten wird, möchte man zum Team Freiheit gehören oder zum Team Frieden?
Was macht Ihnen bei all dem Hoffnung?
Der Regenbogen, das Zeichen Gottes mit uns Menschen, das uns daran erinnert, dass Gott die Welt nicht ‚zum Teufel gehen lässt‘ sondern zur Vollendung.
Welche Verantwortung trägt die katholische Kirche Ihrer Ansicht nach heute in dieser Lage?
Angesichts der immer größeren Bedeutungslosigkeit der katholischen Kirche für die Gesamtheit unserer Gesellschaft in Deutschland, geht es in erster Linie darum, jede einzelne und jeden einzelnen Katholiken zu motivieren, sich über den Wert und die Würde der eigenen Freiheit und des menschlichen Lebens klar zu werden und noch wichtiger, welchen Preis bin ich selbst bereit zu bezahlen.
Gibt es etwas, das Sie sich als Militärgeistlicher im Umgang mit den Soldat:innen der Bundeswehr von der Gesellschaft wünschen?
Als Militärgeistlicher wäre es wünschenswert, dass die Gesellschaft ein besseres Verständnis für die Herausforderungen und Belastungen hat, mit denen Soldaten konfrontiert sind. Eine offene Kommunikation und Wertschätzung für ihren Dienst könnten dazu beitragen, das Vertrauen und die Unterstützung zu stärken. Zudem wäre es hilfreich, wenn die Gesellschaft die Themen psychische Gesundheit und Integration nach dem Dienst stärker in den Fokus rückt. Leider wird die Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils aus dem Dokument ‚Gaudium et spes‘ im Kapitel 79, der Soldat als Diener der Freiheit und Sicherheit der Völker, immer weniger gelesen.