"Sie haben den Platz Nummer eins", erklärt die Mitarbeiterin im Pfarrbüro von Liebfrauen am Telefon. "Und vergessen Sie Ihren Mundschutz nicht", ergänzt sie. Ich habe eigentlich, seit ich mich erinnern kann, jeden Sonn- und Feiertag an einem Gottesdienst teilgenommen, wenn es irgendwie ging - bis Corona kam. Die ersten Wochen nach dem Lockdown und dem Verbot öffentlicher Liturgie schaute ich im Fernsehen und im Internet Eucharistiefeiern an. Das war, wie wenn ich in den letzten Jahrzehnten wegen Krankheit sonntags mal zu Hause blieb und mir so behalf.
Aber Brot und Wein nur am Bildschirm zu sehen und bei der Kommunion, was übersetzt Gemeinschaft bedeutet, alleine auf dem Sofa zu sitzen, kam mir immer unpassender vor. Ich entdeckte ansprechende Videoformate mit Bibeltexten, Predigten und schöner Musik speziell für Internetnutzer. Diese wurden seither meine Sonntagsbegleiter. Als ich dann erfuhr, dass in Ravensburg wieder gemeinsame Gottesdienste unter Auflagen möglich sind, griff ich gleich zum Hörer, um mich anzumelden.
Klebestreifen und Einbahnverkehr
Meine Motivation aber war nicht der Eindruck, dass ich in letzter Zeit geistlich verdurstet wäre. So sehr ich die Eucharistie schätze, so sehr weiß ich auch, dass das Wort Gottes in der Bibel Kraft gibt. Mich trieb eher die Neugier, wie sich so ein Gottesdienst mit Einschränkungen anfühlt. Kann ich als leidenschaftlicher Sänger den Mund halten, wenn die Orgel meine Lieblings-Osterlieder anstimmt? Ist trotz Hygiene- und Abstandsregeln so etwas wie Gemeinschaft mit Gott und den anderen in der Kirche spürbar - gerade bei der Kommunion?
Am Samstagabend steuere ich rechtzeitig vor 18 Uhr auf die Heilig-Kreuz-Kirche auf dem Ravensburger Sonnenbüchel zu, die zur Liebfrauengemeinde gehört. Paare und Einzelpersonen stehen mit genügend Abstand vor dem Eingang, während der Pfarrer mit den Ordnerinnen nochmals die Abläufe durchgeht. Dann dürfen wir rein. Nase-Mund-Maske drauf, Hände desinfizieren - ein inzwischen gewohntes Ritual. Ich betrete den mir vertrauten modernen Kirchenraum, den die Abendsonne in angenehm warmes Licht taucht. Schaffen es die Klebestreifen am Boden, die den Einbahnverkehr regeln, und die rot-weißen Absperrbänder auf den Sitzpolstern, diese Atmosphäre zu zerstören?
Und doch ist da Gemeinschaft
Die Helferin muss etwas suchen, bis sie Platz eins entdeckt und mich hinführt. Es ist dort, wo ich sonst auch sitze, wenn ich in dieser Kirche bin. Beim Blick nach vorne sehe ich die Markierungen nicht, die überall mindestens zwei Meter Abstand garantieren. Würde die Mesnerin, die das Messbuch auf den Altar legt, nicht Mundschutz und Handschuhe tragen, wäre alles wie immer. Als das Glöckchen läutet und die Orgel zu spielen beginnt, sind wir insgesamt etwa so viele Personen wie die Jünger mit Jesus im Abendmahlssaal. Nur hatten die vermutlich eine andere Sitzordnung.
Tatsächlich muss ich mich sehr zusammenreißen, als der Organist alleine das Glorialied singt und mit seinem Instrument begleitet. Aber mehr als mitsummen ist nach den derzeitigen Regeln nicht erlaubt. Ansonsten genieße ich die Dreidimensionalität der Kirche, die Weite, den Klang. Und ich merke, wie begrenzt Bildschirm und Lautsprecher trotz aller Technik sind. Diese Wirkung kommt nicht nur vom leeren Raum, den ich ja auch in den letzten Wochen hätte aufsuchen können. Obwohl ich die anderen Gottesdienstbesucher nicht näher kenne, spüre ich eine Nähe, eine Gemeinschaft.