Brauchtum

Die Glocken fliegen nach Rom

Die Rätschen dienen als Ersatz für die Kirchenglocken, die am Karfreitag und bis zur Osternacht verstummen. Foto: Schwenk

Wenn am Karfreitag und Karsamstag die Glocken verstummen, rufen vielerorts Rätschen zum Gebet. Zum Beispiel in Wißgoldingen.

Am Morgen des Karfreitags und Karsamstags wird es im kleinen Örtchen Wißgoldingen (Gemeinde Waldstetten im Ostalbkreis) richtig laut. In manchen Fenstern gehen die Lichter an, manche schauen raus in die morgendliche Dunkelheit. Denn dann sind die Ministranten mit ihren Rätschen unterwegs. Sie marschieren durchs ganze Dorf und besuchen auch die beiden Außengehöfte.

„Die Leute werden uns hassen“, sagte mal ein Junge, der mit den beiden Oberministranten Ina Riggers und Nils Kübler unterwegs war. Denn die Rätschenwagen, die die 20 Wißgoldinger Ministranten gebaut haben, machen schon einen ganz ordentlichen Krach. „Zudem nehmen wir noch Handrätschen mit“, berichten Ina und Nils.

Start ist immer bei der Kirche St. Johannes Baptist mitten im Dorf. Um 5 Uhr morgens am Karfreitag, wenn es noch dunkel ist, starten die Minis ihre Tour. Ganze zwei Stunden erfüllen sie die Gassen mit dem für die Wißgoldinger vertrauten Klang der Rätschen. Sie rufen zum Gebet und ersetzen an diesen beiden Tagen die Glocken.

„Die Glocken fliegen nach Rom“, schmunzelt Dieter Scheel, Gewählter Vorsitzender des Kirchengemeinderats. So habe man jedenfalls früher gesagt. Die Glocken fliegen nach Rom, um sich den Segen des Papstes für das Osterfest zu holen. Außerdem steckt hinter der Tradition des Rätschens die Stille, die zwischen dem Gloria des Gründonnerstags und jenem des Karsamstags liegt: Jesus geht auf den Ölberg, wird ans Kreuz geschlagen. Die Glocken sollen im Gedenken schweigen.

Was jedoch nicht schweigen darf, das sind die Rätschen in Wißgoldingen. Auch Dieter Scheel kennt die große Tradition schon als kleiner Bub. Er selbst war auch lange Zeit als Ministrant rätschend unterwegs, ebenso seine Kinder. Dass dieser Brauch weitergeführt wird, findet er schön. Und auch für Ina und Nils ist es keine Frage, dass das Rätschen in Wißgoldingen seinen ganz eigenen Platz im Kalender hat. „Es ist für uns Minis immer eine tolle Gelegenheit, etwas gemeinsam zu machen“, beschreiben die beiden. Im Anschluss an das Rätschen am Karsamstag gibt es auch immer ein gemeinsames Frühstück.

Einzig im Frühjahr 2020 ist das Rätschen pandemiebedingt ausgefallen. Alle Wißgoldinger haben die Tradition vermisst und sich gefragt: „Haben die heute nicht gerätscht?“

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