Digitalisierung - Kirche muss sich einmischen

"Wir müssen die Digitalisierung mitgestalten, wenn wir nicht wollen, dass der Mensch zum Smart Object wird." – Bei einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in der Akademie der Diözese in Stuttgart-Hohenheim hat Bischof Gebhard Fürst zum Thema "Arbeit 4.0" klar Position bezogen.

Die Digitalisierung lasse sich nicht aufhalten und sei nicht grundsätzlich negativ zu sehen. Aber es sei die Aufgabe der Kirche, sich stärker einzumischen in ihre künftige Gestaltung: "Die Frage ist, was macht die Digitalisierung mit dem Menschen?" Für diesen sei es sehr bedenklich, wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwömmen, wenn Beschäftigte fast rund um die Uhr per Laptop und Smartphone auch zuhause erreichbar seien, keine Ruhezonen mehr hätten – und sich so mehr und mehr "aus der Gemeinschaft der miteinander Produzierenden ausschließen". Auch den stark diskutierten Einsatz von Pflegerobotern in Krankenhäusern und Altenheimen sah der Bischof kritisch: "Man kann nicht den Mangel an persönlicher Zuwendung durch Roboterisierung kompensieren."

Prof. Dr. Thomas Bauernhansl, Leiter des Institutes für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart sowie des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), rief in der vom Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs, moderierten Diskussionsrunde zu einer positiveren Sichtweise auf das Thema Digitalisierung auf. Wenn es gelänge, "die Digitalkompetenz in allen Bereichen auszubauen", könnten am Ende in Deutschland sogar mehr Arbeitsplätze entstehen, als vor der jetzigen vierten Industriellen Revolution vorhanden waren. Voraussetzung sei aber, dass "unsere Industrie nicht die Trends verschläft". Fakt sei, dass heute alleine der Internetriese Google mehr Geld in Forschung und Entwicklung investiere als der gesamte deutsche Maschinenbau. In einer Zeit, in der sich die weltweite Rechnerleistung alle 18 Monate verdoppele, seien Vernetzung und Wissenstransfer das Gebot der Stunde. Mehr als 60 Prozent aller heutigen Berufe habe ein Automatisierungspotenzial von mindestens 30 Prozent.

Auch der neue Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, Johannes Schmalzl, riet als Vertreter der Wirtschaft dazu, die Digitalisierung nicht nur als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen. Vor der zweiten und der dritten industriellen Revolution im 19. und 20. Jahrhundert habe es gleichfalls massive Ängste vor dem Verlust von Arbeitsplätzen gegeben – "aber es ist ganz anders gekommen". Defizite machte Schmalzl nicht zuletzt bei der Politik aus: "Es reicht nicht, nur den Geldhahn aufzudrehen. Die Politik muss sich inhaltlich stärker mit dem Thema auseinandersetzen und die Digitalisierung gemeinsam mit der Wirtschaft steuern."

Für die Gewerkschaften machte Gabriele Frenzer-Wolf als Stellvertretende DGB-Landesvorsitzende deutlich, dass sich auch die Arbeitnehmervertretungen nicht gegen Arbeit 4.0 stemmten: "Uns interessiert nicht das Ob, sondern das Wie!" Immerhin seien von der Digitalisierung rund 17 Prozent der Arbeitsplätze betroffen in Baden-Württemberg. Beim umstrittenen Einsatz von Pflegerobotern übte die Gewerkschafterin den Schulterschluss mit Bischof Fürst. Pflege bedeute immer menschliche Zuwendung: "Ich frage mich schon, wo beim Einsatz der Roboter die digitale Rendite bleibt…" Nur wenn die Digitalisierung in diesem Bereich am Ende zu einer angemessenen Bezahlung der Pflegekräfte führe, sei sie zum Nutzen der Menschen.

Die Diskussionsveranstaltung "Arbeit 4.0" am Mittwoch im Tagungszentrum Hohenheim gehörte zur Reihe "Nachgefragt – Abendgespräche zu Gesellschaft, Religion und Politik". Der Themenreigen reichte dabei vom globalen Wettbewerb, der massiven Datensammlung vor allem durch große US-Konzerne und logistischen Herausforderungen über Pflegenotstand, bedingungsloses Grundeinkommen und den Internethandel bis hin zur Sonntagsruhe und den Ladenöffnungszeiten an Weihnachten.

Thomas Brandl

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