Teil II: Kirche erneuern Der Synodale Weg 2019 – 2021
Demokratie stärken, verkrustete Strukturen und Machtgefüge kritisch anschauen und – wo nötig – Kenntnisse übertragen und aneignen, dazulernen, das hat sich die Katholische Kirche vorgenommen.
Der Synodale Weg, den Bischöfe und Laien gemeinsam gehen werden, ist wichtig für die Zukunft unserer Kirche. Meines Erachtens ist er die einzige Chance zur Erneuerung unserer Kirche nach dem Skandal um sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Kleriker, der unendliches – oft lebenslanges – Leid bei den Opfern angerichtet und die Glaubwürdigkeit der Kirche insgesamt stark infrage gestellt hat.
Am 1. Advent 2019 haben der Vorsitzende der Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx und Karin Kortmann, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, in der Frauenkirche in München die Kerze des Synodalen Wegs entzündet und damit den Synodalen Weg offiziell eröffnet. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart haben wir dies zeitgleich bei der Vollversammlung des Diözesanrats im Kloster Reute getan. Auch Martins-Dom in Rottenburg und in der Konkathedrale in Stuttgart brennen die Kerzen des Synodalen Wegs.
Zur Eröffnung im Advent 2019 schreiben Kardinal Reinhard Marx und der Präsident des ZdK Thomas Sternberg in ihrem gemeinsamen Brief.
„Liebe Schwestern und Brüder, die Freude des Evangeliums in Wort und Tat zu vermitteln, Christus zu bezeugen und Gott zu loben und zu danken, ist Aufgabe des Volkes Gottes. Sie ist allen Getauften übertragen: Gemeinsam sind wir Kirche. Papst Franziskus fordert uns auf, eine synodale Kirche zu werden – unseren Weg gemeinsam zu gehen. Der Synodale Weg soll auch ein Weg der Umkehr und der Erneuerung sein, der dazu dient, einen Aufbruch im Lichte des Evangeliums zu wagen und dabei über die Bedeutung von Glaube und Kirche in unserer Zeit zu sprechen und Antworten auf drängende Fragen der Kirche zu finden.“
Meine Damen und Herren,
der Missbrauchsskandal war der Auslöser für die kritische Situation in der katholischen Kirche und den Entschluss, einen synodalen Weg zu gehen.
Sexueller Missbrauch muss eigens angemessen aufgearbeitet werden und darüber hinaus und mit besonderer Kompetenz Präventionsarbeit geschehen, damit solche verbrecherischen Taten nicht mehr vorkommen in unserer Kirche.
Ich habe Ihnen deshalb eine Publikation zusammengestellt, das in einer der Dezember-Ausgaben dem Katholischen Sonntagsblatt beilag. Es ist eine Gesamtdokumentation unserer Aufklärungs- und Präventionsarbeit im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Dieses Heft haben wir auch heute an unserem Schriftenstand für Sie bereitgelegt.
Mit der Publikation möchte ich ein Zeichen setzen und deutlich machen: Sexueller Missbrauch hat in der Diözese Rottenburg-Stuttgart keinen Platz!
Meine Damen und Herren!
Ich kehre nun zurück zum in der katholischen Kirche anstehenden Synodalen Weg. Für die inhaltliche Arbeit des Synodalen Weges wurden vier Synodalforen mit folgenden Inhalten eingerichtet:
- Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag
- Priesterliche Existenz heute
- Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche
- Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft.
Ich selbst war in den vorbereitenden Sitzungen des Forums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ dabei und werde auch vorbehaltlich der Bestellung der Mitglieder dieser Foren auf der ersten Vollversammlung des Synodalen Weges am 31. Januar 2020 in Frankfurt, weiterhin Mitglied dieses Forums sein.
Ziel des Forums ist es, Wege zu erarbeiten, dass die Kirche wieder als der Ort erkennbar wird, an dem Menschen zu einer persönlichen Beziehung mit Jesus Christus finden und an dem sie Gottes heilende Kraft in den Sakramenten erfahren; dass sich die Kirche wieder mit ihrer ganzen Kraft für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einsetzt; dass die Strukturen Kirche vom Wirken des Heiligen Geistes geprägt und mit Leben erfüllt werden.
Die Partizipation aller Mitglieder des Gottesvolkes und Gewaltenteilung, die verbindlich wird, ist ein Schlüssel, damit die gemeinsame Teilhabe aller Gläubigen am Sendungsauftrag der Kirche mit Leben erfüllt wird.
Mit welcher Erwartung und Positionierung gehe ich in dieses Forum?
Was will ich erreichen? Ich möchte das „Rottenburger Modell“, die Gestalt einer dialogischen und partizipativen, synodal gefassten Ortskirche in den Reformdiskurs des Synodalen Weges einbringen. Denn viel, was bei uns in der Ortskirche praktiziert wird, kann der Intention dieses Forums in wesentlichen Dimensionen nachkommen.
Die katholische Kirche erscheint den meisten Zeitgenossen als eine streng hierarchisch gegliederte, von oben nach unten strukturierte Kirche, bei der nur der Klerus in allen Fragen und Problemen alleinige Entscheidungsgewalt wahrnimmt.
Hingegen entspricht die Struktur der Gesamtgestalt, ihre besondere Art der Entscheidungsfindung und Verantwortungswahrnehmung in der Ortskirche Rottenburg-Stuttgart nicht diesem Wahrnehmungsbild.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie sehen hier das Bild einer Vollversammlung des Diözesanrates, der aus 122 Mitgliedern besteht.
Das „Rottenburger Modell“ – wie die ortskirchliche Verfassung der Diözese Rottenburg-Stuttgart bei uns genannt wird – basiert auf dem Verständnis von Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils –insbesondere seiner Neugewichtung der Laien beim Sendungsauftrag der Kirche – und dem kirchlichen Recht. Das „Rottenburger Modell“ ist nach Inhalt und Struktur die orts-kirchliche, inhaltlich gefasste und in ihrer Organisation und Struktur praktisch gewordenes Verständnis von Kirche in der Diözese Rottenburg-Stuttgart als Martinsland.
Eine Besonderheit, die uns durch das Rottenburger Modell von allen anderen Diözesen der Weltkirche unterscheidet, ist:
Der vom Gottesvolk der Diözese frei gewählte Diözesanrat hat das Haushaltsrecht.
Konkret bedeutet dies:
Als Kirchensteuervertretung der Diözese, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, hat der Diözesanrat das Haushaltsrecht. Der vom Diözesanrat als Kirchensteuervertretung beratene und beschlossene Haushalt wird zur Rechtsgültigkeit und zur Inkraftsetzung vom Bischof unterschrieben. Der Bischof hat ein Vetorecht gegen den Haushalt. Kann aber vom Diözesanrat mit Zweidrittelmehrheit überstimmt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein weiteres Thema möchte ich in Zusammenhang mit dem Synodalen Weg ansprechen: Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche.
Im Forum des Synodalen Prozesses „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ werde ich nicht Mitglied sein. Aber ich möchte auch hier aus der Erfahrung und Praxis des Rottenburger Modells meine, unsere ortskirchlichen Erfahrungen und Praxis zur Rolle der Frauen in der Kirche einbringen und eine Neu-Positionierung bezüglich des kirchlichen Amtes weitergeben.
Aufmerksam verfolge ich die Aktion „Maria 2.0“. In vielen Gemeinden haben Frauen auf sehr deutliche Weise auf die Ungleichheit von Frauen und Männern – insbesondere bezüglich auf die kirchlichen Weiheämter – aufmerksam gemacht. In diesen Zusammenhang sind viele Frauen auf mich zugekommen, haben nach den Gottesdiensten auf mich gewartet - wie hier auf dem Bild nach der Bischofsweihe im vergangenen Juli. 1.500 Frauen haben mir Karten zugesandt, auf denen sie ihre Erwartungen und Forderungen formuliert haben. Inzwischen haben viele Gespräche, Begegnungen und Briefwechsel stattgefunden und bei allen, so kann ich es aus meiner Sicht sagen, herrschte eine konstruktive und dialogische Gesprächsatmosphäre.
Die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche stellt sich gerade besonders im Zusammenhang mit der Forderung, den Diakonat für die Frauen zu öffnen. Dass Frauen zu Diakoninnen geweiht werden, ist ein Zeichen der Zeit. Für den Diakonat der Frau gibt es keine lehramtliche Absage. Deshalb habe ich bereits mehrfach öffentlich betont und ich wiederhole mich gerne an dieser Stelle: Diakonat ist möglich und ein „Zeichen der Zeit“! Vieles wurde dazu in den letzten Jahren dazu erforscht. Nun geht es darum, die Ergebnisse der Forschung mutig zu nutzen, um den Diakonat der Frau einzuführen.
In nahezu allen anderen Bereichen sind Frauen in der Kirche vertreten und engagiert. Als hauptamtliche Mitarbeiterinnen sind sie in der Diözese Rottenburg-Stuttgart in sämtlichen Bereichen der Seelsorge und der Verwaltung tätig. Sie nehmen in den verschiedenen Bereichen Führungsaufgaben wahr.
Heute sind in der Sitzung des Bischöflichen Ordinariats vier Frauen vertreten. 25 Prozent, die in höchster leitender Verantwortung stehen, sind Frauen. 30 Prozent Frauen sind Führungskräfte in der Diözesankurie. Die Diözesanleitung des Bischöflichen Jugendamtes in Wernau ist seit Jahren paritätisch besetzt.
Auch der Anteil der Frauen in den verschiedenen Gremien der Diözese ist nicht zu unterschätzen. Im Diözesanrat, der obersten Laienvertretung der Diözese, beträgt der Frauenanteil in der aktuellen Amtsperiode unter den stimmberechtigten Laien 45 Prozent. Ich bitte Sie, dies nicht gering zu achten. Die Partizipation von Laien an der Verantwortung für unser kirchliches Handeln ist wesentlich für unser „Rottenburger Modell“ einer in Mitverantwortung und Mitgestaltung partizipativ, synodal und subsidiär aufgestellten Ortskirche.
Eine große Zahl Frauen nimmt in den Kirchengemeinden Verantwortung wahr: Über 4.700 Frauen sind gewählte Mitglieder der Kirchengemeinderäte. Dies macht einen Frauenanteil von nahezu 53 Prozent aus. Auch im Bereich der pastoralen Dienste und Ämter nehmen Frauen eine wichtige Rolle ein. Diese Dienste und Ämter sind hineingenommen in das synodal und partizipativ strukturierte „Rottenburger Modell“. Derzeit sind in der Pastoral 286 Gemeindereferentinnen und 240 Pastoralreferentinnen tätig. Dies entspricht 86 Prozent beziehungsweise 70 Prozent Frauen in der jeweiligen Berufsgruppe. Zwei Frauen leiten bereits eine Kirchengemeinde gemäß Canon 517,2 des Kirchenrechts. Diese Verantwortungsbereiche möchte ich vermehren und ausbauen. Viele hochmotivierte und gut ausgebildete Frauen leiten am Sonntagmorgen Wort-Gottes-Feiern. Diese Frauen geben der Kirche in der mir sehr wichtigen Liturgie der Wort-Gottes-Feier ein weibliches Gesicht.
Im kirchlichen Bereich erfordert das Thema „Chancengleichheit“ weiterhin besondere Sorgfalt und Sensibilität. Die Kompetenz, die insbesondere Frauen in diese Debatte einbringen, ist unverzichtbar.