Kirchenkunst

Ein Fest der Malerei

Schauen, was drei unterschiedliche Künstler in einem Trialog auf die Leinwand bringen: Mit diesem Ziel hat sich Norbert Riggenmann, Kunstlehrer und spiritus rector der Künstlergruppe, auf die Idee von Ursula Mayländer-Welte und Bernd Schwander, einen Altar zu malen, eingelassen. Entstanden ist ein faszinierendes Kunstwerk. Foto: drs/Jerabek

„Kommt und seht“: Nichts weniger als ein Sehabenteuer ist der Flügelaltar, der bis 16. November in der Ulmer Wengenkirche ausgestellt ist.

„Kommt und seht“ – die Antwort Jesu auf die Frage seiner Jünger, wo er wohne – ist Leitwort für die Präsentation dieses Kunstprojekts von Ursula Mayländer-Welte, Bernd Schwander und Norbert Riggenmann. Das monumentale Bildwerk in Gestalt eines mittelalterlichen Flügelaltars entstand zwischen 2017 und 2020. Es zeigt auf der „Alltagsseite“ die Gottesmutter mit dem Leichnam Christi; die „Festtagsseite“ ist der Erscheinung Christi zum Jüngsten Gericht gewidmet. „Entstanden ist damit ein Fest der Malerei, das mit überbordender Erzähllust Grundfragen des christlichen Weltverständnisses umkreist“, sagt Dr. Oliver Schütz, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung Ulm-Alb-Donau, die das Werk in Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde St. Michael zu den Wengen präsentiert.

„Verbotene Früchte"

In dieser spannenden Auseinandersetzung von mittelalterlicher Bildtradition und modernem Kunstverständnis fallen auf der „Festtagsseite“ sogleich Adam und Eva im Paradies ins Auge: Eine Schlange flüstert Adam ins Ohr, in der linken Hand hält er die „verbotene Frucht". So weit, so bekannt. Doch die „Früchte“, denen Adam seine Aufmerksamkeit schenkt, sind wie Perlen einer Kette um einen grün umrankten „Baum der Erkenntnis“ aneinandergereiht und verjüngen sich zu grauen Kugeln, die auch Zellen oder Atome sein könnten; am Ende der Kette findet sich ein Molekül mit Anklängen an das Brüsseler „Atomium". Weit ausgestreckt, fast krakenhaft umfassen die Arme dieses gruseligen Baumes auch Embryonen und Feten, die ihrer natürlichen Umgebung beraubt und, wie in Seifenblasen schwimmend, der Verfügungsgewalt der Medizin durch Präimplantationsdiagnostik oder auch Leihmutterschaft ausgeliefert sind: Aus der rechten Hand des Menschen, die sich anschickt, selbst Schöpfer zu spielen, erwächst eine grässliche Schlange.

 

Blankes Entsetzen

An Steven Spielbergs Filmklassiker aus den 1970er-Jahren mag man sich in Anbetracht des geöffneten Mauls eines Hais erinnert fühlen, der auf der rechten Seite des Altars den „Höllensturz", das Inferno, dominiert. Blankes Entsetzen, unsagbarer Schmerz ist den Gestalten ins Gesicht geschrieben, die vom Schlund des Hais aufgesogen werden. Die Seelenwaage des Erzengels Michael im rechten oberen Bildeck neigt sich bedrohlich Richtung Tod und Verdammnis.

Jesus Christus „elektrisiert"

Wie elektrisiert (und elektrisierend) erscheint hingegen Christus in der Mitte des Altars. Die „Lust am Erfinden und malerischen Gestalten", durch das sich der wimmelbild-artig gestaltete Altar auszeichnet, wird nach den Worten des Weißenhorner Kunsthistorikers Dr. Matthias Kunze nirgends so deutlich wie an der „bravourös gemalten Blütenmandorla, die ganz entgegen aller Bildtradition das von einer Punkerfrisur gezierte Haupt des Weltenrichters umfasst, und damit hinter all den Mittelalterbezügen, eine Vision in der Art eines 'Jesus Christ Superstar' aufscheinen lässt". Aus den goldenen Haarspitzen Jesu speist sich die Blütenpracht. Vom Schifflein der Kirche, deren Mitte Christus ist, scheinen sich einige Planken in Gestalt menschlicher Silhouetten abzulösen, während andere Personen das Boot mit seinen teils ratlosen oder schlafenden Insassen mit Mühe zusammenhalten. „Mit seiner malerischen Pracht bietet dieses Altarwerk ein singuläres Sehabenteuer, in das sich eine Fülle unterschiedlichster Fragen und Gedanken knüpft."

INFO

Das Kunstprojekt „Kommt und seht“  ist bis 16. November 2023 in der Wengenkirche St. Michael in Ulm, Wengengasse, ausgestellt. Dazu gibt es eine Reihe von Begleitveranstaltungen. Außerdem ist eine Broschüre mit Texten zum ALTAR-Kunstprojekt erschienen; sie liegt in der Wengenkirche aus. Führungen, auch für Schulklassen, sind auf Anfrage bei der keb Katholische Erwachsenenbildung Ulm-Alb-Donau möglich.

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