„In der heutigen von Gewalt geprägten Zeit ist so etwas sehr wertvoll“, sagt Wiesław Tkaczuk. Der Bürgermeister der Gemeinde Kiwity ist überzeugt, dass der „heutige Tag in die Geschichte des Ortes“ eingehen werde. Der Ortsvorsteher von Żegoty, einem 400-Einwohner-Dorf in der Gemeinde, kann ihm nur beipflichten. So entfaltet die symbolträchtige Geste, die sich kurz zuvor an der Kirche in Żegoty abgespielt hat, sogleich ihre Wirkung.
Dort hat Bischof Dr. Gebhard Fürst nach einer traditionellen Herz-Jesu-Andacht eine Glocke gesegnet. Es war die dritte Glocke, die damit während der Polenreise des Bischofs im Rahmen des Projekts "Friedensglocken für Europa" in ihre ursprüngliche Heimatgemeinde zurückkehrte. Die Glocke war während des Zweiten Weltkriegs auf Befehl der Nazis für die Rüstungsindustrie abgehängt worden, entging der Einschmelzung und kam nach dem Krieg in die Gemeinde St. Albertus Magnus nach Oberesslingen. Nun ist sie wieder in Żegoty.
Gedenken an erschossenen Pfarrer
„Gegen Krieg, Gewalt, Zerstörung und Unversöhnlichkeit setzen wir heute ein Zeichen“, sagte Fürst bei der Segnung und Übergabe der Glocke sowie einer Tafel, die die wechselvolle Geschichte der Glocke erklärt. Dabei bezog sich Fürst auf den Krieg in der Ukraine. Das Leid, das dieser Krieg mit sich bringe, mache fassungslos. Nach der Segnung legte der Bischof hinter der Kirche noch einen Kranz am Grab von Paul Schwartz nieder. Der Pfarrer wurde im Februar 1945 von russischen Soldaten erschossen.
Was der Krieg in der Ukraine für die Menschen dort bedeutet, hat die Delegation um Bischof Fürst zuvor am Vormittag aus erster Hand erfahren: Im Caritas-Zentrum des Erzbistums Ermland in Rybaki schilderten drei ukrainische Frauen ihre Fluchtgeschichte. Die Reisegruppe besuchte die Einrichtung, die unter anderem als Flüchtlingsunterkunft dient, zusammen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem Erzbischof des Erzbistums Ermland, Józef Górzyński, und der Generalkonsulin Cornelia Pieper.
Aktuelle Fluchtgeschichten
Unter Tränen berichtete eine Mutter von zwei Töchtern, die sich als Irina vorstellte, dass ihre Flüchtlingsgeschichte bereits 2014 begonnen habe – mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass. Sie habe damals nicht auf die Krim zurückkehren können, woher sie stamme. So habe sie in Kiew begonnen, sich ein neues Leben aufzubauen. Als dann Russland die Ukraine im Februar 2022 angriff, sei ihr jüngstes Kind gerade zwei Monate alt gewesen.
In dem Caritas-Zentrum in Rybaki sind laut Pfarrer Dariusz Sonak, dem Leiter der Einrichtung, aktuell 100 ukrainische Geflüchtete untergebracht: Mütter mit Kindern und ältere Menschen. Bevor die Delegation weiterzog, überreichte Bischof Dr. Gebhard Fürst dem Leiter eine Spende von 1000 Euro.
Nach dem Besuch des Caritas-Zentrums und der Glockenübergabe fährt die Delegation am Nachmittag zu ihrer letzten Station der Reise nach Lidzbark Warmiński (Heilsberg). Dort besichtigt die Reisegruppe die Burganlage. In ihr residierten bis 1795 die ermländischen Bischöfe. Am Montag tritt die Delegation aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart dann die Heimreise an.