Diözesanrat

„Ein Weiter-so geht gar nicht“

Dr. Johannes Warmbrunn möchte, dass sich die Kirche wieder auf ihre wichtigste Größe konzentriert: die Größe Gottes. Foto: C. Hass

Der Diözesanratssprecher Dr. Johannes Warmbrunn sagt im Interview, dass der synodale Weg scheitert, wenn er nicht die Tiefe des Glaubens erreicht.

Wie geht es weiter nach dem Synodalen Weg – ganz konkret in der Diözese Rottenburg-Stuttgart? Wo sind Grenzen aber vor allem Möglichkeiten der Weiterarbeit und Umsetzung? Mit genau diesen Fragen beschäftigten sich die rund 100 Teilnehmenden der zweitägige Akademie-Tagung „Wirksame Wegmarken“ in Hohenheim. Mit welchen Wünschen und Erwartungen Diözesanratssprecher Dr. Johannes Warmbrunn in die Tagung ging und wie es jetzt weitergeht, erzählt er im Interview.

Herr Warmbrunn, Sie waren einer der Initiatoren der zweitägigen Tagung. Was war Ihnen wichtig bei der Planung? Was war das Ziel?

Wir müssen auch oder gerade in diesen schwierigen, von Skandalen überschatteten Zeiten nach vorne schauen und unseren Weg aktiv vorwärts gehen. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland war 2019 Anlass für die Bitte der Bischöfe an die Laien, sich gemeinsam auf einen synodalen Weg zu begeben. Gemeinsam mit allen Gläubigen wollten sie Reformen anstoßen. Die Themen: Machtmissbrauch, Sexualmoral, Zölibat und die Rolle der Frau. Wir haben Hoffnungen darin gesetzt, dass entscheidende Impulse aus dem Synodalen Weg hervorgehen, die uns zeigen, wie genau synodal in unserer Kirche weitergegangen werden soll. Denn eins ist klar. Ein „Weiter-so“ geht gar nicht. Die Widersprüche waren und sind zu offensichtlich. Jede übergriffige Gewaltanwendung und jede Missachtung der Opfer stehen unserem kirchlichen Auftrag diametral entgegen. Es geht um das Fundament unseres Glaubens.

Aber immer wieder in den Modus der Anklage und Frustbewältigung zu verfallen, alles nur negativ zu sehen, zu protestieren und sich in politischen Dimensionen immer wieder abzukämpfen, bringt nichts und hilft uns nicht weiter. Die Kirche ist primär eine Glaubensgemeinschaft und keine politische Partei. Es gilt, den Blick zu weiten, größer zu denken – auch spirituell. Das war mein Wunsch und Ziel während der Tagung.

Heißt das, auch die in unserer Kirche üblichen Glaubensbilder zu hinterfragen?

Ja. Gott ist kein alter Mann auf den Wolken und der Heilige Geist keine Taube, die nur uns Menschen beflügelt. Eine Glaubensverkündigung, die Gott süßlich verkitscht oder Gott verzweckt, um daraus einen umfassenden, gar noch spirituell verbrämten Machtanspruch für einige wenige abzuleiten, wird keine Zukunft haben. Zu Recht hat Papst Franziskus den Klerikalismus von Priestern und Laien als „Pest“ bezeichnet. Ja, wir haben kein Wissen über Gott. Aber: Können wir im Glauben an Gott seine allgegenwärtige Nähe spüren, erahnen, ja, können wir uns in Gott geborgen fühlen?

In dieser einen Welt haben wir alle vor Gott die gleiche Würde. Das darf niemals zur hohlen Phrase werden. Die Sakralisierung der Priester, die Vorstellung, Priester seien ständig Vertreter Jesu Christi auf Erden, ist einfach falsch und kann sogar extrem kontraproduktiv wirken. Natürlich hat jeder Priester mit seiner Ordination seine eigene Rolle und eine Leitungsfunktion. Doch muss die Form eine dienende sein, nicht eine Macht ausübende, so nach dem Motto: „Es wird immer gemacht, was ich sage“. Viel mehr geht es ums Zuhören, Erspüren, was die Gläubigen brauchen und darum, sich um deren Bedürfnisse zu kümmern. So kann ein gutes Miteinander entstehen, im dem der Priester nicht  überhöht wird und alle anderen sich vor ihm erniedrigen müssen.

Sie sagten, wir müssen den Blick weiten, größer denken, auch spirituell – also auch in Bezug auf unsere Vorstellung von Gott?

Ja, wir brauchen ein gutes und stimmiges Bild von der unfassbaren Größe Gottes. Ich meine, das ist uns weitgehend verloren gegangen. Den Menschen muss klar vor Augen stehen, dass sie mit Gottes Schöpfung in einem alles umfassenden System leben, in dem sie dennoch niemals ganz unbedeutend sind, auch nicht in dem, was sie denken und tun. Alles, was geschieht, geht aus dem Schöpfungswillen Gottes hervor und alles, was es gibt, wird auch an seinem Schöpfungswirken beteiligt – also auch wir Menschen. Gott ist nicht der allumfassende Maschinist, sondern er lässt uns teilhaben an seinem Schöpfungswirken. So haben wir die Freiheit, alles mitzugestalten und sollen es auch tun, denn wir Menschen haben von allen Geschöpfen der Erde dafür die größten Möglichkeiten. In Gottes Schöpfungswirken gibt es keine Unterscheidung zwischen Materie und Geist, alles ist miteinander verbunden, nicht zuletzt alles, was es in der Natur gibt.

Dieses umfassende Bild für Gott gilt es weiterzuentwickeln und zu kultivieren. Dabei berufen wir uns auf unseren Glauben an den dreifaltigen Gott. Gott, den wir Vater nennen, ist der väterliche und mütterliche Urgrund des Schöpfungsgeschehens, der uns stets verborgen bleiben wird. Der Heilige Geist ist eine alles umfassende Wirkgröße, die den schöpferischen Urgrund und alles in Gottes Schöpfung miteinander verbindet – bis ins kleinste Detail, ständig und ohne Ausnahme. Auch Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, wurde aus dem Heiligen Geist empfangen, so unser Glaubensbekenntnis. Der Heilige Geist ist überall wirksam und beflügelt keineswegs nur uns Menschen. Bilder dieser Größe und dieser Weite Gottes gilt es in unseren Botschaften zu vermitteln. Für mich ist das der Kern unserer frohen Botschaft, das Evangelium. Wenn der synodale Weg diese Tiefe unseres Glaubens nicht erreicht, wird er genauso scheitern wie die zuvor nutzlos verpufften Gesprächsprozesse zwischen Bischöfen und Laien auf Bundesebene. Wir stehen mit unserer Kirche mitten in der Welt, sind untrennbar mit ihr verwoben und haben den Auftrag und die Verantwortung, die Welt im Geist des Evangeliums mitzugestalten.

Was heißt das konkret?

Die Bischöfe wollten gemeinsam mit den Laien etwas bewirken. Hier dürfen wir nicht nachlassen und müssen genau darauf immer wieder bestehen. Es wird immer weniger verständlich, dass in unserer Weltkirche die seit langem überfälligen Schritte hin zu Gleichberechtigung und verantwortlicher Wahrnehmung der jeweiligen Berufung nicht gegangen werden. Was spricht dagegen, in den Kulturkreisen konkrete Schritte zu gehen, in denen sich die Rechtslage mit guten Gründen in diesem Sinne weiterentwickelt hat? Das Miteinander auf Augenhöhe muss durchgängig und überall gelebt werden und nicht nur bei passender Gelegenheit.

Ist das Rottenburger Modell ein solches Miteinander auf Augenhöhe?

Viele Reformanliegen des „Synodalen Weges“ sind in unserer Diözese dank dem „Rottenburger Modell“ bereits umgesetzt. Das Miteinander auf einer guten und belastbaren Ebene funktioniert seit mehr als 50 Jahren. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit unserem Rottenburger Modell gemacht, so dass wir auf unserem synodalen Weg ein gutes Stück weiter sind als die anderen Diözesen in Deutschland. Es kommt aber immer auf die Haltungen und das Verhalten derer an, die in kirchlichen Gemeinschaften die Atmosphäre stimmig gestalten – oder eben nicht. Bei uns nimmt der Bischof an den Sitzungen des Geschäftsführenden Ausschusses und den Vollversammlungen des Diözesanrats so gut wie immer teil. Er sitzt mit den Laien an einem Tisch – und hört sich ihre Anliegen, Bedenken von der ersten bis zur letzten Minute an. In anderen Diözesen wäre das undenkbar! Aber: Wie überall gibt es auch bei uns noch Luft nach oben.

Luft nach oben, also Weiterentwicklung - war die Tagung ein Schritt in diese Richtung?

Bei der Tagung ging es darum, die positiven Botschaften des synodalen Wegs auszuloten und zu hinterfragen, wie sie in der Praxis konsequenter als bisher genutzt werden können. Wie die Teilhabe der Laien in unserer Diözese noch weiter vertieft werden kann. Es ging darum, die gegebenen Möglichkeiten des Kirchenrechts so weit es irgend geht auszuloten.

Wie ist Ihr Fazit?

Gemessen an der Größe Gottes dürften uns all diese Themen, die uns hier und jetzt beschäftigen, eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten. Die Menschen erwarten von uns, dass wir von der Größe Gottes sprechen und uns dementsprechend verhalten. Noch einmal: Unser Denken und Handeln darf nicht wie das einer politischen Partei daherkommen. In unserem Denken und Handeln sollte stets die Größe Gottes erkennbar werden – das ist unsere Kernbotschaft. Natürlich ist mir bewusst, dass wir auch über gesetzliche Regelungen und Vorschriften sprechen müssen, doch dürfen wir bei all dem nicht vergessen, dass es dabei um etwas viel Größeres geht. Und genau deshalb gebe ich nicht auf.

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