Der Regionalleiter der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz initiierte zusammen mit seinem Kollegen Martin Strecker von der dortigen Diakonie das Zentrum in der Friedenskirche. Am 16. Dezember schließt es seine Tore. Gleichwohl ist mit dem MIR ein ganz besonderes Projekt entstanden, indem Kirchen, Kommune und Landkreis Hand in Hand und in kürzester Zeit mit Hilfe einer Vielzahl Ehrenamtlicher nur eines im Blick hatten: den Geflüchteten aus der Ukraine schnell und unkompliziert zu helfen. Rook berichtet im Interview, wie die Idee des MIR angesteckt hat und den Geflüchteten ein herzliches Willkommen vermittelte.
Herr Rook, die Caritas ist einer der Partner des Begegnungszentrums MIR in Ludwigsburg. Wie haben Sie es vor rund einem dreiviertel Jahr geschafft, dieses Projekt so schnell auf die Beine zu stellen?
Sowohl meine Kolleginnen und Kollegen von der Diakonie als auch wir von der Caritas sind sehr nach an der Flüchtlingsthematik dran. Wir betreiben beispielsweise gemeinsam die ökumenische Fachstelle Asyl zur Unterstützung von ehrenamtlichen Asylkreisen, die von unserer Seite aus über den Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfe der Diözese finanziert wird. Zudem sind wir in der Flüchtlingssozialarbeit engagiert. Diese breite Verankerung hat dazu geführt, dass wir schnell bemerkt haben, dass die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine anders verlief. Denn normalerweise kommen Flüchtlinge in Sammelunterkünften unter. Die Geflüchteten aus der Ukraine wurden aber meist in privaten Unterkünften untergebracht. Das ist natürlich erst mal gut, aber das hat auch dazu geführt, dass die Vereinzelung sehr groß war. Die Geflüchteten mussten alle Stellen und Behörden selbst ausfindig machen, die wichtig sind, wenn man in ein neues Land kommt.
Mein Kollege, Martin Strecker, von der Diakonie und ich haben uns in dieser Situation in die Augen geschaut und gesagt: Wir brauchen einen Ort im Landkreis Ludwigsburg, an dem die Geflüchteten ankommen und sich begegnen können. Und so haben wir Ende März, also kurz nach Kriegsbeginn, das Projekt MIR gestemmt.
Wir hatten eine wirklich gute Voraussetzung mit der Friedenskirche in der Ludwigsburger Innenstadt. Diese fungiert auch als Vesperkirche – sprich: Sie hat eine Ausstattung, die einen Cafébetrieb erlaubt und viele andere Nutzungen möglich macht. Zudem ist es eine sehr große Kirche, die neben dem Mittelschiff auch über zwei Seitenschiffe verfügt.
Natürlich haben wir uns trotzdem zu Beginn gefragt: Finden wir genug Personal und Ehrenamtliche und kommen wir an das notwendige Geld, um das alles zu stemmen. Aber wir haben einfach angefangen und dann hat sich alles gefügt – zum Beispiel auch durch die Aktion Caritas4U der deutschen Caritas.
Das MIR hat in kürzester Zeit viele Menschen aus Ludwigsburg und Umgebung dazu gebracht, sich ehrenamtlich zu unterstützen. Wie erklären Sie sich diese große Bereitschaft, miteinander ganz konkret zu helfen?
MIR steht ja für Miteinander, Information und Rast. Dahinter steckt die Idee, einen Ort der Begegnung und der Ankunft zu bieten, und diese Idee hat angesteckt: Deshalb waren viele bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Zudem haben viele aus der Gruppe an evangelischen, aber auch katholischen Ehrenamtlichen, die für die Vesperkirche tätig sind, mitgemacht und ihren Einsatz quasi verlängert.
Lassen Sie mich ein paar Beispiele nenne: Die Bäckerei Katz hat für das Café im MIR von Juni bis zur Auflösung des Zentrums täglich Kuchen und Brezeln zur Verfügung gestellt. Die Rotary Clubs im Landkreis Ludwigsburg haben einen ärztlichen Dienst und im Anschluss eine Ärzteliste bereitgestellt, die sich um die gesundheitliche Versorgung der Flüchtlinge aus der Ukraine kümmern. Wir haben ehrenamtliche Dolmetscher gefunden und konnten so die Sprachschwierigkeiten überwinden.
Hinzu kommt die große Resonanz, auf die das MIR bei den Geflüchteten gestoßen ist. Wir haben bis heute täglich zwischen 60 und 80 Frauen, Kinder und Männer aus der Ukraine, die hier vorbeikommen. Sie erzählen viele bewegende und anrührende Geschichten und so hatten wir alle und gerade auch die Ehrenamtlichen das Gefühl, hier im Sinne des solidarischen Miteinanders ganz direkt, etwas bewegen und zurückgeben zu können.
Die Ludwigsburger Friedenskirche ist die Heimat des MIR und somit ist ein Kirchenraum Treffpunkt für Geflüchtete und Ihre Nöte und Bedürfnisse und auch Ort der Vernetzung. Inwiefern hilft dieser ganz besondere Ort mit der auch spirituellen Atmosphäre hierbei?
MIR steht nicht nur für Miteinander, Information und Rast, sondern ist sowohl in der russischen als auch in der ukrainischen Sprache das Wort für Frieden. Damit ist schon die erste große Überschneidung zur Friedenskirche klar.
Die Geflüchteten haben dabei immer zum Ausdruck gebracht, dass sie das Miteinander und die Rast in der Friedenskirche gefunden haben. Wenn sonst Flüchtlinge in Deutschland ankommen, gehen sie zuerst zu einer Behörde. Bei uns kamen viele zuerst ins MIR und wurden sogar von den Behörden zunächst dorthin geschickt. Sie wurden gastfreundlich empfangen, haben einen Kaffee und Gebäck bekommen, konnten sich hinsetzen und erst mal in Ruhe ankommen.
Das Miteinander und die Rast waren somit in einem Kirchenraum erlebbar. Auf dem Gang einer Behörde funktioniert das naturgemäß einfach nicht.
Was macht das MIR aus Ihrer Sicht zu einem Leuchtturmprojekt, das auch an anderen Orten entstehen könnte?
Mit dem MIR haben wir die Kirche in einer Art und Weise für eine Sache dienstbar gemacht, für die es einen großen Bedarf gab und das in einer gesellschaftlich schwierigen Situation.
Die Kirche hat hier genau das getan, was sie gut kann: Zum einen hat sie einen Raum zur Verfügung gestellt. Des Weiteren hat die Kirche nach wie vor eine hohe Bindungswirkung für Ehrenamtliche. Die sagen „Wenn die Kirche etwas Gutes tut, bin ich gerne dabei.“.
Stadt und Landkreis Ludwigsburg haben uns immer gesagt: Es ist super, was ihr anbietet. Ihr leistet etwas, das wir als Kommune oder Kreis in dieser Form nicht leisten können.
Damit ist die Kirche in der Stadtgesellschaft gut sichtbar, sehr wirksam und höchst relevant geworden.
Nun wird das MIR als Begegnungszentrum aufgelöst. Das Angebot hat sich ein stückweit selbst überflüssig gemacht, könnte man sagen. Können Sie die Gründe erläutern? Zumal ja noch immer weiter Menschen aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen?
Es ist zunächst so, dass die Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine sich geändert hat. Statt in privaten Unterkünften, kommen diese nun doch verstärkt in Sammelunterkünften unter. Diese haben einen anderen Charakter: Die Geflüchteten sind dort zusammen, Sozialarbeit und ehrenamtliches Engagement sind vorhanden. Die Strukturen sind schnell klar und niemand muss für sich einzeln nach etwas suchen. Auch verschieben sich die Flüchtlingszahlen gerade wieder und die Zahl der Geflüchteten aus anderen Ländern ist fast gleichgroß, wenn nicht sogar größer als jene aus der Ukraine.
Darüber hinaus sind jetzt die Regelsysteme wieder am Zug – also die Flüchtlings- und Migrationssozialarbeit. Beispielsweise haben wir mit dem Migrationszentrum in Ludwigsburg Regelstrukturen, die gut funktionieren und wo eine gute Vernetzung vorhanden ist. Deshalb ist nun ein Übergang vom MIR dahin möglich.
Und, ein weiterer, wenn auch nicht ausschlaggebender Punkt: Wir wollten die Friedenskirche nicht überstrapazieren, sondern den Kirchenraum auch irgendwann wieder seiner Gemeinde übergeben. Der Kirchengemeinderat und die Pfarrerin Gisela Vogt haben uns von Beginn an begeistert unterstützt und dafür sind wir mehr als dankbar, denn ohne diese Unterstützung wäre das MIR nicht möglich gewesen.
Das heißt aber nicht, dass wir das MIR nicht wieder zum Leben erwecken können, wenn wir reagieren müssen.