Friedensglocken

Eine Martinsglocke als Auftrag, Frieden zu teilen

Weihe der Friedensglocke für St. Martin Beimerstetten: Weihbischof Dr. Gerhard Schneider besprengt die neue Glocke mit Weihwasser. Foto: DRS/Jerabek

Zu Frieden und Versöhnung mahnt eine neue Glocke in Beimerstetten. Weihbischof Gerhard Schneider weihte sie im Rahmen des Friedensglocken-Projekts.

„Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Einen passenderen Bibeltext als den österlichen Gruß und Auftrag Jesu Christi im Evangelium vom Weißen Sonntag (Joh 20,19-31) könnte es für das Friedensglocken-Projekt der Diözese Rottenburg-Stuttgart kaum geben. Denn Frieden zu stiften und für Versöhnung zu arbeiten, ist Christinnen und Christen besonders aufgetragen und Ziel des von Bischof Dr. Gebhard Fürst im September 2021 gestarteten Projekts.

Bei dem Projekt „Friedensglocken für Europa“ geht es darum, Glocken, die im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten im heutigen Tschechien und Polen geraubt worden sind, zurückzugeben und einen Beitrag für das Miteinander der Menschen und Völker Europas zu leisten. Die für diesen Herbst geplante Rückführung der Johannes-und-Paul-Glocke aus Beimerstetten in ihre Heimat Doubrava u Orlové (Dombrau) in Tschechien und die jetzt geweihte neue Glocke für St. Martin sind eine Etappe auf diesem Weg. In einem festlichen Gottesdienst nahm Weihbischof Dr. Gerhard Schneider die Glockenweihe vor.

Schneider erinnerte in seiner Predigt an die bewegende Geschichte der vielen tausend Glocken in Deutschland und den besetzten Gebieten, die während des Zweiten Weltkriegs abgenommen worden waren, um Metallreserven zu sichern, aber auch um sie zum Schweigen zu bringen. Viele wurden vernichtet, aber aus einigen seien am Ende doch keine Waffen geschmiedet worden, erinnerte der Weihbischof: „Wenn diese Glocken läuten – die rückgeführten in ihren Ursprungskirchen und die neu gegossenen wie diese dann hier –, dann rufen sie künftig in ganz besonderer Weise zum Gebet für den Frieden. Gerade jetzt, wo in Europa wieder ein schrecklicher Krieg tobt, ist dieses Gebet so wichtig.“

In jedem Leben gibt es „Martinsmomente"

Mit Blick auf die österliche Botschaft sagte Schneider: „Wer verstanden hat, was die Auferstehung Jesu auch für uns bedeutet, der kann gar nicht anders, als nach Frieden und Versöhnung zu streben.“ Mit Ostern beginne für Christen eine neue Wirklichkeit, „die uns aufzeigt, was alles möglich ist, was Gott in dieser Welt möglich gemacht hat“. Die dem heiligen Martin geweihte neue Glocke – Martinus ist auch Patron der katholischen Kirche von Beimerstetten und der Diözese Rottenburg-Stuttgart – rufe dazu auf, Frieden zu teilen. Der Heilige, dessen berühmte Mantelteilung zum Inbegriff der Solidarität und Nächstenliebe geworden ist, habe gewusst: wenn ich jetzt nicht helfe, dann macht es niemand. „Solche Martinsmomente gibt es auch in unserem Leben“, betonte der Weihbischof. Es gelte, sich immer wieder bewusst zu machen, „was uns Christen möglich ist, wenn es darum geht, Frieden zu schaffen – im Großen, aber vor allem auch im Kleinen“.

„Der Guss einer Kirchenglocke ist wie die Geburt eines Kindes. Die Weihe der Glocke ist wie die Taufe. Der Glockenname ist wie ein Programm für die Menschen einer Gemeinde und Seelsorgeeinheit“, schrieb Andreas Ziesel im Gemeindebrief „ConveniMUS“ der Seelsorgeeinheit Bollingen, Dornstadt, Tomerdingen und Filialen. Besonders mit Blick auf die Vertriebenen, die die Gemeinde mit aufgebaut haben und das Leid der Vertreibung noch in ihren Herzen tragen, sei das Friedensglocken-Projekt ein wichtiges Zeichen der Versöhnung, so der Pastoralreferent.

„Sankt Martin, hilf uns teilen"

Pfarrer Ralf Weber erinnerte an die Bedeutung der Glocken, die zum Gottesdienst einladen zur größeren Ehre Gottes. Bürgermeister Andreas Haas wünschte sich in einem Grußwort, dass der Klang der neuen Glocke den Geist des Friedens und des Miteinanders über St. Martin und Beimerstetten hinaustrage. Glückwünsche der evangelischen Kirchengemeinde überbrachte Pfarrer Hannes Jäkle.

„Sankt Martin, hilf uns teilen“ steht auf der neuen Glocke, die in der Glockengießerei Bachert in Neunkirchen/Baden im traditionellen Lehmformverfahren hergestellt wurde. Die 32 kg schwere Glocke ersetzt die etwa gleich große Johannes-und-Paul-Glocke, die als Leihglocke über 50 Jahre in Beimerstetten zum Gebet gerufen hat und im Herbst von Bischof Fürst in die tschechische Diözese Ostrava-Opava zurückgebracht wird. Acht weitere Kirchenglocken, die während des Zweiten Weltkriegs in Gotteshäusern in den ehemaligen „deutschen Ostgebieten“ hingen und dort von den Nationalsozialisten entwendet wurden, werden in diesem Jahr im Rahmen des diözesanen Friedensglocken-Projekts zurück nach Polen und Tschechien gebracht werden.

Hintergrund

Mit dem Projekt „Friedensglocken für Europa“ hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart im letzten Jahr ein Ausrufezeichen der Versöhnung gesetzt. Bischof Gebhard Fürst brachte 2021 die erste von insgesamt 54 Leihglocken aus den ehemals deutschen Ostgebieten persönlich nach Pišt, das früher Sandau hieß, zurück zum Auftakt des auf sechs Jahre angelegten Projektes. Die Glocke aus dem nur wenige Kilometer von Pišt entfernten Trébom war im Zweiten Weltkrieg ebenso mit tausenden anderen auf dem „Glockenfriedhof“ im Hamburger Sandtorhafen gelandet. Viele wurden eingeschmolzen und für die Rüstungsindustrie verwendet, je nach Kategorie taugten sie aber nicht zur Herstellung von Waffen. Ungefähr 80.000 Glocken wurden zerstört, eingeschmolzen oder zertrümmert. Nach Kriegsende verblieben 1300 Glocken aus den Ostgebieten in Westdeutschland – die politische Situation verhinderte eine Rückführung. Im März 1952 kamen 67 Glocken im Zugwaggon in der Diözese Rottenburg-Stuttgart an und wurden nach und nach auf neu entstehende katholische Gemeinden, viele davon mit Flüchtlingspfarrern, verteilt. Die Herkunft der alten Glocken verlor sich meist im Dunkel der Vergangenheit.

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