Martin Günter ist katholischer Pastoralreferent und seit über zehn Jahren Krankenhausseelsorger an der Universitätsklinik Tübingen. Er arbeitet in einem 15-köpfigen ökumenischen Team von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die für das Universitätsklinikum, die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik und das Paul-Lechler-Krankenhaus in Tübingen zuständig sind. Derzeit kümmert er sich ausschließlich um an Covid-19 erkrankte Menschen. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen.
Herr Günter, wie kam es zu der Entscheidung, dass Sie derzeit ausschließlich zu an Covid-19 Erkrankten gehen?
Ich habe die auch in Tübingen steigenden Zahlen von Erkrankten gesehen und gewusst, dass da jemand zu den Menschen rein muss. Seelsorge über das Telefon oder mittels einer Videokonferenz funktioniert bei vielen Patienten nicht. Hinzu kam, dass meine Tochter, die in Österreich studiert, an Corona erkrankte und ich mir vorstellte, wie grausam es wäre, würde sie dort auf einer Isolier- oder Intensivstation liegen, ohne Besuche empfangen zu dürfen. Auch habe ich gesehen, wie das Pflegepersonal in Tübingen darunter gelitten hat, dass die Patienten außer den Ärztinnen und Ärzten, der Pflege selbst und den Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten keinen persönlichen Kontakt zu anderen Menschen haben können. Es sei zunehmend ein stilles Leiden, 24 Stunden am Tag allein im Isolierzimmer zu sein, habe ich oft gehört. Dagegen wollte ich etwas tun und freue mich, dass mein gesamtes ökumenisches Team dieses Anliegen mitträgt und mich für diese Aufgabe von meinen bisherigen Verpflichtungen freigestellt hat.
Seit wann kümmern Sie sich um an Covid-19 Erkrankte und wie lange geht Ihr Einsatz noch?
Seit der dritten Novemberwoche und noch bis Neujahr.
Wie geht es danach weiter?
Dann wird eine evangelische Kollegin übernehmen; je nach der weiteren Entwicklung werden wir uns in dieser Aufgabe in bestimmten Zeiträumen abwechseln.
Die frühere thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat der Kirche ein Versagen während der ersten Corona-Welle bei der Betreuung Sterbender in Pflegeheimen und Krankenhäusern vorgeworfen. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann nachvollziehen, dass es von außen so ausgesehen hat, dass zu wenig getan wurde, obwohl ich aus der Innensicht heraus weiß, wie viele Kolleginnen und Kollegen fieberhaft bemüht waren, Kontakte zu ermöglichen, sie zu halten und sich zu überlegen, wie sie mit der Situation im Blick auf die Patienten gut umgehen können. Da eine solche Situation zumindest in Deutschland noch nie da war, mussten auch wir Seelsorgenden erst nach Wegen suchen. Und man muss auch bedenken, dass es für die weiteren seelsorgerlichen Aufgaben im Krankenhaus Konsequenzen hat, wenn jemand aus dem Team zu Covid-Erkrankten in die Zimmer geht. Andere Risikopatienten dürfen dann parallel nicht mehr besucht werden, weshalb ich im Moment auch keine Rufbereitschaft machen darf. Und wir müssen natürlich auch im Blick auf die vielen anderen Patientinnen und Patienten darauf achten, dass wir als Seelsorgeteam uns nicht gegenseitig infizieren und handlungsfähig bleiben. Im Moment werde ich zum Beispiel auch allen Teamsitzungen nur digital zugeschaltet. Grundsätzlich warne ich vor zu schnellen und zu plakativen Meinungen von außen.