Am 17. Juni feiert die katholische Betriebsseelsorge in Stuttgart ihr 40-jähriges Jubiläum. Seit September 1983 finden hier die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Landeshauptstadt ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte und Unterstützung im Kampf um gefährdete Arbeitsplätze, gute Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung. „Für uns geht es in der Arbeitswelt nicht nur um Geld und Profit, sondern um die Menschen“, sagt der Betriebsseelsorger Michael Görg.
Arbeitsplatzverlust, Erkrankungen, Leistungsdruck und Mobbing – die Probleme, mit denen Menschen zu Betriebsseelsorger Michael Görg kommen sind vielfältig. Er hört ihnen zu und versucht zu helfen. Der 53-Jährige wird auch von Betriebs- und Personalräten hinzugezogen, wenn größere Veränderungen wie Betriebsschließungen und Entlassungswellen anstehen. So zum Beispiel bei der Schließung der Kaufhof-Filiale in Stuttgart. „In solchen Situationen geht es darum, Kraft zu geben und Hoffnung zu schenken. Gewerkschaften unterstützen die Betroffenen auf einer rechtlichen, wie auf einer menschlichen Ebene“, so Görg. Die Betriebsseelsorge begleitet Menschen durch Krisen in ihrem Job oder in Phasen der Erwerbslosigkeit, kostenlos und unabhängig von deren Glauben und Konfession.
Vom IT-Ingenieur zum Betriebsseelsorger
Dabei kommt der Diakon mit Metallarbeitern, Reinigungskräften, Büroangestellten oder Konzernmanagern in Kontakt. Interessante und lehrreiche Einblicke erhält Görg auch bei seinen Betriebseinsätzen. Als Reinigungskraft in einer Großkantine erlebte er im vergangenen Jahr über vier Wochen den dortigen Arbeitsalltag hautnah mit, konnte sich ein Bild über die Arbeitsbedingungen in der Branche machen und sich intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen austauschen. Profitieren kann Michael Görg auch von seinen Berufserfahrungen in der freien Wirtschaft. 20 Jahre lang war er in der IT-Branche tätig, hat dort als IT-Ingenieur, Kundenberater und Betriebsrat gearbeitet. Vor fünf Jahren wurde er zum Diakon, im Januar 2020 schließlich zum Betriebsseelsorger. „In diesem Beruf kann ich meine Erfahrungen aus der Arbeitswelt und meinen Glauben verbinden, für mich die perfekte Kombination aus Geistlichem und Weltlichem. Ich möchte Teil von Kirche in der Welt sein“, sagt Görg. Er scheint angekommen zu sein, auch wenn sein Einstieg in Coronazeiten alles andere als leicht war.
Ein Netz zwischen Arbeitswelt und Kirche gespannt
Es war auch kein einfacher Start, als Guido Lorenz 1983 der erste Betriebsseelsorger in Stuttgart wurde. Zur Arbeitswelt hatte die Katholische Kirche der Stadt kaum Bezug, es gab weder Kontakte zu den Betrieben, Betriebsräten und Beschäftigten noch zu den Gewerkschaften. Und nicht nur die Menschen aus der Industrie zeigten sich ihm gegenüber anfangs skeptisch, sondern auch Kirchenvertreter, denen sein Wunsch, „am Leben und Kampf der Arbeiterschaft teilzunehmen, zu links, zu solidarisch, zu parteilich“ klang. Der damals 29-Jährige ließ sich von alledem nicht abschrecken. „Ich wollte auf die Arbeiterinnen und Arbeiter zugehen, ihnen ganz persönlich nah sein - immer mit der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit auf den Lippen und der Sache Jesu im Gepäck“, so Lorenz. Er nahm Kontakt zu zahlreichen Betrieben auf, lernte bei mehrwöchigen Betriebseinsätzen als angelernter Arbeiter verschiedene Tätigkeitsfelder und Menschen kennen, gründete und unterstützte Bürgerinitiativen und setzte sich für die 35-Stunden-Woche ein, um auch Erwerbslosen eine Chance auf Arbeit zu ermöglichen. Mit viel Engagement spann er in seinen 37 Dienstjahren ein Netz zwischen Arbeitswelt und katholischer Kirche in Stuttgart, das bis heute trägt.
Jubiläumsfeier am 17. Juni in Bad Cannstatt
Am Samstag, 17. Juni, ab 15 Uhr, findet die Jubiläumsfeier der katholischen Betriebsseelsorge in Stuttgart mit geladenen Gästen in der Wiesbadener Straße 20 in Bad Cannstatt statt. Teilnehmen werden Vertreterinnen und Vertreter aus Kirche und Gesellschaft, Betriebs- und Personalräte, katholische und evangelische Betriebsseelsorger, Bündnispartner, Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter, Mitarbeitende, Ehrenamtliche sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Erwerbslosenkreis. Nach der Begrüßung von Michael Görg und einem Rückblick des ehemaligen Betriebsseelsorgers Guido Lorenz folgen Grußworte von Karin Schieszl-Rathgeb, der Leiterin der Hauptabteilung „Kirche und Gesellschaft“ der Diözese Rottenburg-Stuttgart, sowie vom katholischen Stadtdekan Christian Hermes. „Kirche ist nicht nur eine Sonntagsveranstaltung, sondern tritt für Würde am Werktag und Fairness in der Arbeitswelt ein! Unsere Betriebsseelsorge tut dies in beeindruckender Weise seit 40 Jahren. Sie ist in den Krisen und Herausforderungen da für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gerade auch für die, deren Interessen unter die Räder zu kommen drohen. Und sie ist wichtiger Gesprächspartner auch für Arbeitgeber und Gewerkschaften. Es ist ein Glück, dass es die Betriebsseelsorge Stuttgart gibt“, so Hermes.