Wie sollen sich Pflegende verhalten, wenn Pflegebedürftige Hilfe ablehnen, wenn sie nicht essen oder das Bett nicht verlassen wollen, obwohl es möglich wäre? Was ist zu tun, wenn sich jemand selbst vernachlässigt? Ethische Fragen, oft in Dilemma-Situationen zwischen Autonomie und Selbstbestimmung einerseits, und Fürsorge und Sicherheit andererseits, gehören zum Alltag in Alten- und Pflegeheimen und anderen Hilfebereichen wie etwa der Behindertenhilfe. Solche Fragen im Konfliktbereich von Würde der Betroffenen und eigener Verantwortung zu lösen, wirkt sich für Pflegekräfte oft belastend aus. Mit der Gründung des Netzwerks Ethische Fallbesprechungen (NEFB) vor zehn Jahren ist eine Plattform entstanden, die dazu beiträgt, die ethische Kompetenz in Einrichtungen der katholischen Altenhilfe zu fördern und Fachkräfte im Gesundheitswesen moralisch zu entlasten. Das zehnjährige Bestehen des NEFB war Anlass zu Rückblick und Ansporn, wie Pia Theresia Franke, Vorsitzende des NEFB und Vorständin der Paul-Wilhelm-von-Keppler-Stiftung, bei einem Festakt in Ulm sagte. Es gehe darum, einen mutigen Ausblick in die nächsten Jahre zu wagen: Was kann, was soll, was wird das NEFB noch alles bewegen?
Modellprojekt in Regelbetrieb überführt
Das NEFB ist aus dem Modellprojekt „Ethische Fallbesprechungen und Ethikkomitees in der Altenhilfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart“ (2011 bis 2014) hervorgegangen. Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt durch die Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Riedel von der Hochschule Esslingen. 2014 wurde es als Netzwerk, dem derzeit zwölf Trägerorganisationen der Altenhilfe sowie der Diözesancaritasverband angehören,in den „Regelbetrieb“ überführt. Es wird durch die Hauptabteilung Pastorale Konzeption der Diözese unterstützt. Das Netzwerk verfügt aktuell über 55 Personen, die zur Moderation ethischer Fallbesprechungen ausgebildet wurden; fast jährlich finden Schulungen statt. Seit 2017 organisiert das NEFB auch Fachtage und Exkursionen zu aktuellen Themen wie dem „Umgang mit
Todeswünschen“.
Eine von allen akzeptierte Handlungsoption im Alltag umsetzen
„Oberstes Ziel der ethischen Fallbesprechungen ist es, eine moralische, ethische Entscheidung über die weitere Behandlung einer pflegebedürftigen Person anzuleiten", sagte die NEFB-Vorsitzende. Dies erfordere „den Mut, schwierige Entscheidungen zu reflektieren, und die Offenheit, verschiedene Perspektiven anzuhören". Mit einem strukturierten, transparenten Vorgehen werden die Teilnehmenden pragmatisch angeleitet. „Konkretes Ziel für die Betroffenen eines Dilemmas ist es, eine von allen akzeptierte Handlungsoption im Alltag umzusetzen, um die vom Dilemma ausgehenden Störungen zu beseitigen oder zumindest zu verringern", heißt es im aktuellen NEFB-Bericht.
In den vergangenen zehn Jahren habe dieses Netzwerk wertvolle Arbeit geleistet, „indem es uns ermöglicht hat, ethische Fragestellungen nicht nur im pflegerischen Alltag mit Bedacht und Sorgfalt zu betrachten", sagte Pia Theresia Franke. Diese kontinuierliche Auseinandersetzung sei „nicht nur ein Zeichen für die hohe Qualität unserer Arbeit, sondern auch der Ausdruck eines tiefen Verantwortungsbewusstseins gegenüber den Menschen, die unserer Fürsorge und Sorge anvertraut sind“.