Ukraine

Engagement auf 2600 Kilometern

Das Konvoi-Team mit den ukrainischen Flüchtlingen

Das Konvoi-Team und die ukrainischen Frauen und Kinder stellen sich zum Erinnerungsfoto auf. Foto: DRS/Guzy

Ein Netzwerk, Spontaneität und Improvisationsgeschick – wie ein Konvoi der Aktion Hoffnung Menschen aus der Ukraine hilft.

Ein schmaler, rötlicher Streifen zeigt sich überm Horizont. Die Nachtfahrt ist bald überstanden. Als der Hilfskonvoi sich etwa eine Stunde später der oberschlesischen Industriestadt Katowice nähert, strahlt die Morgensonne direkt durch die Windschutzscheiben der Transporter und blendet die Fahrer.

In einer Eigenheim-Siedlung in einem äußeren Stadtteil halten die Fahrzeuge. Es ist Freitag (11. März) kurz nach 7 Uhr am Morgen. Alicja und Norbert Majer empfangen das Konvoi-Team zum Frühstück. Die Fahrerinnen und Fahrer haben bereits rund 960 Kilometer Strecke hinter sich. Am Abend zuvor sind sie mit 13 Transportern in Stuttgart am Bischof-Leiprecht-Zentrum gestartet, beladen mit Kleidung, Grundnahrungsmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs. Das Ziel des 26-köpfigen Trupps unter dem Banner der katholischen Hilfsorganisation Aktion Hoffnung ist die polnisch-ukrainische Grenze bei Krościenko.
 

Eine alte deutsch-polnische Freundschaft

Ab Katowice stehen ihm noch ungefähr 400 Kilometer bevor. Doch jetzt genießen die Frauen und Männer erst einmal die Gastfreundschaft des polnischen Ehepaars. „Natürlich haben die Leute Angst, dass Putin es nicht mit einem Angriff auf die Ukraine bewenden lässt und Polen angreift“, sagt Alicja Majer. Sie schildert, dass täglich drei bis vier Züge mit Flüchtlingen von der ukrainischen Grenze in Katowice ankommen, und berichtet von der großen Hilfsbereitschaft zum Beispiel in Pfarrgemeinden. Aber auch viele Einzelpersonen würden Flüchtlinge bei sich aufnehmen. Eine Nachbarin, die mit dabei ist, äußert deutliches Unverständnis über deutsche Gasgeschäfte mit Russland und das Gebaren eines ehemaligen Bundeskanzlers.

Alicja und Norbert Majer sind seit Jahrzehnten mit Michaela und Wolfgang Schleicher freundschaftlich verbunden. Das Ehepaar aus Leinfelden lenkt einen der Konvoi-Transporter. Wolfgang Schleicher hatte Alicja Majer Anfang der 1980er Jahre in Rom bei einem internationalen Taizé-Treffen kennengelernt. Da es etwa anderthalb Stunden später weitergeht, bleibt aber nicht viel Zeit für ein privates Gespräch.

Die Route folgt bis auf die letzten rund 100 Kilometer der polnischen Autobahn A4. Auf Anzeige-Tafeln über den Fahrspuren erscheint eine Helpline-Telefonnummer für ukrainische Staatsangehörige oder manchmal auch eine Solidaritätsbekundung mit einer freien Ukraine. Je weiter der Konvoi der Aktion Hoffnung Richtung Osten vorankommt, desto öfter trifft er auf andere Transportwagen, die mit mehrsprachigen Zetteln hinter der Windschutzscheibe oder an der Ladeklappe als Ukraine-Hilfstransporte gekennzeichnet sind.

Große Spendenbereitschaft

Die Aktion Hoffnung organisierte ihren Hilfstransport innerhalb einer knappen Woche. Anton Vaas, Vorstand des Vereins, hatte zunächst an zwei Sprinter gedacht. Doch zog die Idee immer weitere Kreise nach sich und löste eine enorme Spendenbereitschaft aus, sodass der Konvoi bis zum Start auf 13 Fahrzeuge anwuchs.

Es war großartig zu sehen, wie in wenigen Tagen so viele Spenden zusammenkamen, dass die 13 Transporter gefüllt werden konnten. Dazu haben sich viele Spenderinnen und Spender gefunden, mit deren Hilfe Sachspenden und Lebensmittel gekauft werden konnten. Auch auf der Spendenkampagne bei betterplace kamen innerhalb von wenigen Tagen über 7.500 Euro zusammen. Die Firma Fischer Edelstahltechnik stellte gleich zwei Fahrzeuge samt Fahrerinnen und Fahrer. Und nur weil die Hilfe von so vielen Seiten kam, konnte sich der Konvoi überhaupt in Bewegung setzen.

Um alle Transporter so zu besetzen, dass sich Fahrer und Beifahrer abwechseln können, wurden nicht nur Haupt- und Ehrenamtliche der Aktion Hoffnung aktiviert, sondern über familiäre und private Netzwerke weitere Helferinnen und Helfer. Manche sind von sich aus dazugekommen. Ein Teilnehmer hatte sich zum Beispiel bereits der Caritas angeboten, weil er einen Lkw-Führerschein besitzt. Er wurde an den Hilfskonvoi weitervermittelt. 

„Auf diese Weise kann ich etwas für die Menschen in der Ukraine tun“, sagt Clemens Kuttruf. Der 23-jährige Student, der ursprünglich aus Heilbronn-Sontheim stammt, opfert für die Fahrt die letzten Tage seiner Semesterferien. Da seine Mutter bei der Aktion Hoffnung arbeitet, war es für ihn mehr oder weniger selbstverständlich, mitzumachen.

Ansagen aus dem Demokratiemobil

Während Clemens Kuttruf einen Van lenkt, achtet sein Beifahrer auf die Anweisungen von Anton Vaas. Dieser sitzt im Demokratiemobil. Das dient als Kommando- und Versorgungswagen des Konvois. Über eine Whatsapp-Gruppe sagt Anton Vaas wichtige Abzweigungen und Abfahrten sowie Rastpunkte einige Kilometer vorher an. Er achtet darauf, dass der Konvoi alle zwei oder drei Stunden eine Raststätte ansteuert und rechtzeitig tankt. Dann können sich die Wagenbesatzungen am Demokratiemobil mit Getränken und Essen versorgen oder sie nehmen Knabbersachen mit, um sich die Zeit bis zur Grenze zu vertreiben.

Der relativ kleine Grenzübergang Krościenko, zugleich EU-Außengrenze, liegt im Südosten von Polen, im Karpatenvorland. Eine dünne Schneedecke bedeckt dort noch Wiesen und Felder. Nach mehr als 1300 Kilometern ist der Grenzübergang am Nachmittag erreicht – und wird zu einer echten Grenzerfahrung: Die polnischen Beamten überprüfen Pässe, Fahrzeugscheine, Fahrgestellnummern. Danach will auch noch ein Zollbeamter einen Blick auf die Ladung werfen. „Ich habe noch nie so eine Grenzkontrolle erlebt“, sagt Clemens Kuttruf. Eine ungewohnte Situation für einen EU-Bürger.

Im Streifen zwischen der polnischen und der ukrainischen Grenzschranke warten Oksana Ostashchuk und P. Vasyl Kopychyn von der ukrainisch griechisch-katholischen Eparchie Sambir-Drohobytsch sowie weitere ukrainische Helfer bereits auf den Konvoi. Schon seit vielen Jahren pflege die Diözese Rottenburg-Stuttgart Hilfskontakte zu der ukrainischen Eparchie, erklärt Oksana Ostashchuk. Sie diene als Kontaktperson. Laut Oksana Ostashchuk gibt es in der Eparchie fünf Zentren, in denen 450 Flüchtlinge aufgenommen wurden. 
 

Umladen zwischen den Grenzen

Von ukrainischer Seite rollen Transporter einzeln in den Zwischenbereich ein. Die Hilfssachen werden gemeinsam umgeladen. Die leeren, deutschen Transporter müssen warten, bis sie den Grenzstreifen verlassen können. Es gibt einen Stau an der Abfertigung. Dann schließt sich noch einmal eine Kontrollprozedur an. Währenddessen sind immer wieder einzelne Frauen mit Kindern und ein bisschen Gepäck zu sehen, die die ukrainische Grenzstation passieren und durch eine Zeltstraße auf die polnische Grenze zulaufen. Auf der anderen Seite werden sie dann in Empfang genommen und in Autos begleitet. 

Bis der Konvoi sich nach und nach auf der polnischen Seite wieder komplettiert, dauert es Stunden. So ist es mittlerweile dunkel geworden und die Temperaturen sind deutlich in den Minusbereich gefallen.

Die Warterei lässt Zeit, um sich einen Überblick über die Situation im grenznahen Raum zu verschaffen. Dort sind Zelte aufgebaut. Helfer bieten den Flüchtlingen aus der Ukraine kostenlos Kaffee, eine Mahlzeit oder eine Aufwärmmöglichkeit. Der Flüchtlingsstrom sei jetzt nicht mehr so stark wie noch vor wenigen Tagen, weil es kälter geworden sei, erklärt einer von ihnen. Die Warnweste weist ihn als Freiwilligen der Caritas aus.
 

Hilfsangebote auf polnischer Seite

Gegenüber dieses „Passenger Service Point“ steht ein einzelnes Zelt. Das Rollbanner davor zeigt das Emblem der Malteser. Ein junger Mann telefoniert hinter dem Zelt. Estonia, also Estland, ist auf seinem Abzeichen am rechten Oberarm zu lesen. „Wir bieten medizinische Versorgung“, erklärt er. Er lerne Krankenpfleger. Alle zehn Tage wechsle die Besetzung des Medizin-Zeltes. Für ihn sei es gerade der erste Tag.

Vor dem Malteser-Zelt wärmen sich Frauen und Kinder an einem Feuerkorb. Es sind die Flüchtlinge, die der Konvoi der Aktion Hoffnung auf dem Rückweg mitnehmen soll. Sobald einer der leeren Konvoi-Transporter zurück auf polnischem Territorium ist, können sie einsteigen.

Sie komme aus Sumy erzählt eine Mutter mit zwei Kindern. Die Stadt liegt im Nordosten der Ukraine, nicht weit entfernt von der Grenze zu Russland. Drei Tage sei sie unterwegs gewesen. Bekannte hätten sie mit dem Auto zur Grenze gebracht. Der Mann musste bleiben. Auf der Rückfahrt wird sie bei Dresden aussteigen, dort hat sie Freunde. Denn die Ukrainerin hatte Anfang der 2000er Jahre in Dresden einige Zeit studiert.

Im Transporter wartet sie wie die Fahrerinnen und Fahrer darauf, dass der ganze Konvoi endlich versammelt ist. Die Warterei zerrt an der Geduld, zumal nach einer Nacht auf der Straße. Müdigkeit wird spürbar. So willigen auch diejenigen, die noch am Nachmittag fürs Durchfahren plädiert hatten, in einen Übernachtungsstopp ein.
 

Weiterfahrt im Feuerwehrauto

Alicja Majer organisiert ein Hotel, etwa zweieinhalb Stunden von der Grenze entfernt. Kurz nach 23 Uhr biegen die Konvoi-Fahrzeuge auf dessen Parkplatz ein. Um 6 Uhr geht es am nächsten Tag (Samstag 12. März) weiter. Viele Autos mit ukrainischem Kennzeichen sind auf der polnischen A 4 Richtung Westen auszumachen.

Auf einem Rastplatz erzählt eine Mutter, die in einem anderen Konvoi-Wagen sitzt, dass die regelmäßigen Alarme seit Beginn des russischen Angriffs das Verhalten ihrer Kinder veränderten. So habe der jüngste Sohn Angst vor Geräuschen.

Während der Rückfahrt zeigt die Ukrainerin aus Sumy ihren Newsfeed auf dem Smartphone. Sie scrollt Bilder von zerstörten Häusern und von Bombenkratern durch. Sie selbst habe aus dem Fenster russische Panzer an ihrem Haus vorbeifahren sehen. Per Handy kontaktiert sie ihre Freunde, damit sie sich mit dem Konvoi an einer Raststätte bei Dresden treffen.

Für die anderen 22 ukrainischen Frauen und Kinder geht die Fahrt bis zur Raststätte Sindelfinger Wald bei Stuttgart weiter. Als der Konvoi gegen 22 Uhr dort ankommt, warten drei Transporter der Feuerwehr Tiefenbronn auf die Flüchtlinge. Sie bringen die Frauen und Kinder zum Zielort, dem Feriendorf des Familienerholungswerks der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Schramberg. Steffi Fischer hatte diese Übergabe am Tag zuvor kurzfristig aus dem Konvoi heraus über den Feuerwehrmann Christian Gall organisiert. Damit entlastet die Feuerwehr den erschöpften Konvoi-Trupp. Nach 2600 Kilometern Gesamtstrecke haben die Fahrzeug-Teams nur noch ein Ziel: das eigene Bett.
 

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