Brauchtum

Farbenfroh und bis zu 7.000 Reiter

Jürgen Hohl sitzt vor der Vitrine mit den Zeichnungen Pater Gabriel Bucelins.

Jürgen Hohl in seinem Museum für Klosterkultur in Weingarten - Foto: DRS/Waggershauser

Mit Jürgen Hohl dem Weingartener Blutritt zur Bauzeit der Barockbasilika auf der Spur.

Einen Zeitungsbericht oder ein Foto vom Blutfreitag im Jahr 1724 gibt es natürlich nicht. Die Reiterprozession fand aber bereits 1529 als schon lange bestehende Tradition erstmals schriftliche Erwähnung. So lockte sie wohl auch in dem Jahr, in dem die heutige Basilika am 10. September die Weihe erhielt, zahlreiche Wallfahrer zu Pferd und zu Fuß nach Weingarten. Jürgen Hohl beherbergt in seinem Museum für Klosterkultur am Fuße des Martinsbergs etliche Ausstellungsstücke aus der Barockzeit. Sie lassen erahnen, wie die Menschen vor 300 Jahren das Heilige Blut Christi verehrten.

Im oberen Stockwerk des Museums widmet Jürgen Hohl einen ganzen Raum dem Blutfreitag in Weingarten. „Das ist das älteste bildliche Zeugnis“, sagt der 79-Jährige und deutet auf eine Skizze hinter der Glaswand. Die Kopie einer Federzeichnung von Pater Gabriel Bucelin aus dem Jahr 1642 hat der Heimatkundler und Restaurator nach dem Vorbild der anderen Bilder des Mönchs koloriert. Bucelin stellt sich darauf selbst dar, wie er in ein rotes Velum, einen liturgischen Umhang, gehüllt die Blutreliquie trägt. Vor ihm gehen zwei Ministranten mit Kerzenleuchtern und über ihm schwebt ein schirmartiger Baldachin mit einem Kreuz, aus dem Blut spritzt.

Longinus-Darsteller ritt bei der Prozession mit

An der Spitze der Fußprozession zeigt die Darstellung einen Geistlichen mit der Lanze des Longinus. In der christlichen Tradition sei das der Name für den Hauptmann, der Jesus am Kreuz in die Seite gestochen haben soll, erzählt Jürgen Hohl. Beim Test, ob Jesus bereits tot sei, floss Blut aus der Wunde, berichtet das Johannesevangelium. Dieses sei in der Weingartener Reliquie enthalten. „In der Barockzeit ist der Longinus mitgeritten“, weiß der Museumsleiter. Auch Welf IV. der das Kloster 1056 gründete, und seine Frau Judith von Flandern, die ihm 1094 die Blutreliquie vermachte, wurden am Blutfreitag als historische Figuren hoch zu Ross verkörpert.

Unter der Aufhebung des Benediktinerklosters Anfang des 19. Jahrhunderts leidet Jürgen Hohl bis heute. „Vieles wurde vernichtet oder verscherbelt“, klagt er. Auch die wertvolle Fassung der Blutreliquie habe der württembergische König eingezogen und billigen Ersatz geschickt. Erst in den 1950er Jahren habe Herzog Philipp Albrecht die heutige Reliquie gestiftet, allerdings mit einem Kreuz im byzantinischen Stil. Wie die barocke Reliquie ausgesehen hat, konnte Jürgen Hohl aufgrund einer Tafel rekonstruieren, die die Lehenshöfe des Klosters Mitte des 18. Jahrhunderts über ihren Türen anbringen mussten. Nachbildungen dieses Reliquiars fertigte er mehrfach selbst an.

Die Teilnehmer mit Bohnen gezählt

Die wesentlichen Elemente des Blutritts seien über die Jahrhunderte gleich geblieben, erklärt Jürgen Hohl. Es habe auch vor 300 Jahren Ortsgruppen gegeben, wie eine Saulgauer Standarte aus dieser Zeit belege. Das Rosenkranzgebet gehörte ebenfalls dazu. Mit 7.000 Reitern, die ein Beauftragter im Weiler Trauben mit Bohnen abzählte, hätten die Teilnehmerzahlen damals den Höhepunkt erreicht. Die Fahne, die heute drei Personen durch Stadt und Flure tragen, war einst dreimal größer und benötigte sieben Mann. Zylinder und schwarz glänzender „Bratenrock“ hätten sich jedoch erst vor gut 100 Jahren durchgesetzt, erläutert Brauchtumsexperte Hohl. „Im Barock war die Prozession sehr farbenfreudig.“

Jürgen Hohl - zur Person

Jürgen Hohl wuchs in Weingarten auf und feiert demnächst seinen 80. Geburtstag. Beruflich arbeitete er als Dekorateur, Damenhutmacher, Florist und Friseur. Seine Leidenschaft gilt der schwäbisch-alemannischen Fasnet sowie der Restaurierung und dem Erhalt oberschwäbischer Kulturgüter. Die Sammlung frommer Kunstgegenstände zeigt er im Museum für Klosterkultur in Weingarten. Der bekennende Heiligblutverehrer führt auch eine unerwartete gesundheitliche Verbesserung auf das Gebet zurück. Ursprünglich mit einer Frau verheiratet, machte Hohl im Dokumentarfilm „Die Blutritter“ im Jahr 2004 (Trailer auf YouTube) seine Homosexualität öffentlich. Daraufhin meldete sich sein heutiger Lebenspartner bei ihm. Für sein Wirken für Heimat und Brauchtum wurde Jürgen Hohl mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg.

Programmübersicht Blutfreitag 2024 (Auszug)

Donnerstag, 9. Mai 2024 (Christi Himmelfahrt)

19.15 Uhr: Abendmesse mit dem Basilikachor in der Basilika
20.30 Uhr: Festpredigt durch Ivo Muser, Bischof von Bozen-Brixen
Anschließend Lichterprozession zum Kreuzberg mit gemeinsamer Andacht der Pilger

Freitag, 10. Mai 2024 (Blutfreitag)

7.00 Uhr: Übergabe der Heilig-Blut-Reliquie an den Blutreiter am Kirchenportal,
Gleichzeitig Beginn des Blutritts in der Abteistraße
11.15 Uhr: Empfang der Heilig-Blut-Reliquie im Äußeren Klosterhof, Schlusssegen und Te Deum
11.30 Uhr: Pontifikalamt mit Bischof Ivo Muser

Alle Informationen zum Blutfreitag allgemein und zu den Feierlichkeiten 2024

Programm des Jubiläums 300 Jahre Basilika Weingarten

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