Seit mehr als einem Jahr sind die Feriendörfer des Familienerholungswerks der Diözese Rottenburg-Stuttgart weitgehend geschlossen. Ausnahmen gab es im Sommer und Frühherbst 2020. Da konnten erholungsbedürftige Gäste die Feriendörfer in Eglofs im Allgäu, Langenargen und Schramberg besuchen. Doch seit November vergangenen Jahres sind die Tore wieder zu. Mit der fortschreitenden Impfung der Bevölkerung gegen das Corona-Virus schöpft auch Andreas Hase, der Geschäftsführer des Familienerholungswerks, wieder Hoffnung, den unter den Auswirkungen der Pandemie besonders leidenden Familien einen Ausgleich in einem der Feriendörfer bieten zu können. Im Interview berichtet er, wie er mit seinem Team die erzwungene Auszeit genutzt hat, über die große Unsicherheit bei Gästen und Mitarbeitenden und ab wann aus seiner Sicht eine Öffnung der Feriendörfer realistisch ist.
Herr Hase, wenn Sie auf das vergangene Jahr zurückblicken, was ist Ihnen am Eindrücklichsten in Erinnerung geblieben?
Der Schock des Stillstands – die Zeit, als niemand wusste, was da tatsächlich auf uns zukommt, war die schwierigste. Für unsere Mitarbeitenden, für unsere Gäste und für unsere eigenen Familien. Als dann die Stornowelle über uns rollte und alle bereits gebuchten Aufenthalte wieder abgesagt wurden – das war sehr bitter. Und ich werde sicherlich nicht die Anrufe von verzweifelten Menschen vergessen, die in dieser Zeit aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mehr wussten, wohin.
Besonders beeindruckend war für mich auch der Zusammenhalt in unserem Team, bei allen Mitarbeitenden, in allen Feriendörfern. Alle hielten zusammen, jeder natürlich mit seinem eigenen familiären Umfeld und den jeweils eigenen Problemen, doch die Gemeinschaft, wie einander geholfen wurde, das Verständnis füreinander, war wirklich außergewöhnlich und hat Mut gemacht. Auch wirtschaftlich war dies für uns natürlich eine enorme Herausforderung und beängstigend, da die gemeinnützigen Familienerholungsstätten anfangs von keinem Rettungsschirm erfasst wurden. Als gemeinnütziger Verein sind wir auf eine ständige Belegung angewiesen – fällt die aus, brechen natürlich die Einnahmen weg, dann wird es schnell schwierig.
Wie sah die Situation in den Feriendörfern konkret aus, Herr Hase? Wie lange hatten Sie geschlossen und wie lange konnten Sie unter welchen Umständen bzw. Auflagen wieder öffnen?
Wir mussten am 18. März 2020 für ungewisse Zeit schließen. Letztlich wurden daraus etwas mehr als zwei Monate und wir lernten zum ersten Mal, mit dieser Ungewissheit umzugehen, der wir ja noch heute ausgesetzt sind. In dieser Zeit wurde auch der Großteil der bereits reservierten familiennahen Belegung außerhalb der Schulferienzeiten abgesagt. Also Familiengruppen, Gemeindefreizeiten, Chorfreizeiten, Rüstzeiten, Trauergruppen, Freizeiten für demenziell Erkrankte und behinderte Menschen, Freizeiten für Alleinerziehende, FSJ-Freizeiten, Seminare und Workshops, aber auch Klassenfahrten, Jugend- und Kindergruppen, Konfirmanden- und Firmfreizeiten, Weiterbildungen, Wandergruppen … einfach alles. Es war drastisch: Fast alles, was über die letzten Jahre hinweg für das Jahr 2020 gebucht worden war, wurde innerhalb kürzester Zeit rückgängig gemacht – wegrasiert. Der Arbeitsaufwand für die Verwaltungen war enorm und hat sehr viel Kraft gekostet, auch psychisch. Nochmal: Ein Riesenkompliment an alle Mitarbeitenden, die das geleistet haben.
Welche Konsequenzen haben Sie in dieser Situation gezogen?
Der Ernst der Lage wurde uns schnell klar und das erste Ziel war natürlich, die Arbeitsplätze zu erhalten; daher haben wir umgehend Kurzarbeit eingeführt. Wir haben Hygienekonzepte erstellt, neue Verpflegungssysteme erfunden, pädagogische Konzepte neu entwickelt und sind aktiv auf soziale Einrichtungen zugegangen und haben unsere Hilfe angeboten – denn unsere Häuser standen ja leer, wir durften keine touristische Unterbringung anbieten. Andere dagegen, beispielsweise Heime oder Frauenhäuser, waren bald überbelegt oder auf der Suche nach Quarantäneunterbringungen. Gleichzeitig wurden wir in der Öffentlichkeitsarbeit aktiv, machten auf die prekäre wirtschaftliche Situation der Familienerholung bei Land und Bund aufmerksam und setzten uns sehr für Zuschussmöglichkeiten ein. Große Unterstützung erfuhren wir hierbei von unserem agilen und gut vernetzten Aufsichtsrat, aber auch vom Diözesancaritasverband mit seinen Fachabteilungen und vielen weiteren Referaten und Verbänden der Diözese.
In dieser Situation war es dann sehr erleichternd, dass wir während der Sommerferien wieder Gäste bei uns begrüßen konnten. Zwar mit neuen Konzepten und Abstand, doch die menschliche Nähe war vielleicht sogar größer als zuvor.
Aber – wie gesagt: Nach den Sommerferien brach die Belegung wieder weg, da fast alle Gruppenreservierungen storniert worden waren. So ging es sehr schleppend voran, bis wir im November wieder ganz schließen mussten – bis heute.
Die Feriendörfer sind gerade für Familien, die nicht viel Geld haben, ein besonderes Angebot. Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Ihren Gästen – auch und gerade vor dem Hintergrund, dass Urlaubsplanungen momentan noch recht unsicher sind?
Wir haben im vergangenen Jahr von den Familien, die uns besucht haben, große Dankbarkeit erfahren. Freilich gab es Einschränkungen, weil Hygienekonzepte eingehalten werden mussten. Doch das Verständnis dafür war groß und die Menschen waren sehr froh, einige sorglose und entspannte Tage in der Freiheit der Familienferiendörfer verbringen zu können. Die freien Kapazitäten während der Ferienzeit waren schnell ausgebucht, die Nachfrage plötzlich sehr groß. Quasi von Null auf 100 und zurück in sechs Wochen. Achterbahn.
Heute ist die Situation etwas anders. Wir haben den Eindruck, dass sich bei den Familien so etwas wie abwartende Resignation breit gemacht hat. Das Nachfrageaufkommen ist sogar für die Ferienzeiten eher verhalten, wir stellen das gemeinsam auch mit kommerziellen Ferienanbietern fest. Aktuell befinden wir uns beispielsweise in der eigenartigen Situation, dass viele Reservierungen, die für die Pfingstferien getätigt wurden, in den Sommer, den Herbst oder auf nächstes Jahr verschoben werden. Allzu groß ist die Unsicherheit, ob und wann wir wieder für unsere Gäste da sein dürfen.
Haben Sie besondere Angebote bzw. Freizeitbeschäftigungen entwickelt, um den Corona-Stress mit Homeschooling, Homeoffice und Enge in der Wohnung begegnen zu können, wenn die Feriendörfer wieder öffnen?
In der gegenwärtigen Notsituation, in der sich Familien befinden, sind meines Erachtens Familienferiendörfer mit pädagogischer Betreuung mit großem Abstand das Beste, was man anbieten kann. Gäbe es uns nicht schon, man müsste uns jetzt glatt erfinden. Die weitläufigen Areale und großzügigen Ferienhäuser – bereits hier wird klar, dass wir eine sehr sichere Umgebung anbieten können. Darüber hinaus haben wir mit unseren pädagogischen Abteilungen entsprechende Programme entwickelt, die genau bei den aktuellen Bedürfnissen und Defiziten ansetzen. Mit unserer Naturnähe, den Wald- und naturpädagogischen Möglichkeiten, den werteorientierten Angeboten, den altersgerechten Spiel- und Abenteuermöglichkeiten, bieten wir eine große Projektionsfläche, sich selbst und die ganze Familie wieder anders wahrzunehmen, zu erleben und zu erfahren. Momentan arbeiten wir an Hybridkonzepten und werden, sobald wir dürfen, Freizeiten zum Thema Schreib- und Poesiepädagogik anbieten, die zum Teil online und zum Teil in den Feriendörfern stattfinden. Hier gibt es viele Möglichkeiten für Familien, mit den erlittenen Verletzungen in die Heilung zu gehen. Erfahrungsreisen zum eigenen Ich, Entspannungstechniken lernen, Waldbaden und Meditation in der Natur, altersgerechte Programme für die Kinder und schließlich: Gemeinsamkeit wiederfinden.
Zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung entwickeln wir andererseits aber auch fachgerechte Familienfreizeiten, auch hier nehmen wir insbesondere von Corona betroffene Familien in den Blick. Hierfür werden wir als Fachverband der Caritas eng mit den Regionalverbänden zusammenarbeiten, um den Familien professionelle Unterstützung bieten zu können.
Auch liegen den Kultus- und Bildungsministerien von Land und Bund unsere Konzepte vor, um gegen die große Bildungsungleichheit innerhalb der Klassenverbände vorzugehen.
So vielschichtig wie die Probleme sind, so diversifiziert müssen unsere Angebote sein – denn die Familien brauchen jetzt unsere Unterstützung, die der Gesellschaft und die der Kirche.
Wie sieht die wirtschaftliche Situation der Feriendörfer nach dieser langen Schließzeit aus?
Unsere Diözese hat mit der wirtschaftlichen Unterstützung der Feriendörfer im vergangenen Jahr ein starkes Ausrufezeichen für Familien gesetzt und dafür sind wir sehr dankbar. In Zeiten, in denen nicht immer nur Gutes über die Kirche zu lesen ist, muss das auch gesagt werden:
In dieser Not steht die Kirche fest zu den Familien. Und es tut so gut, das zu wissen, denn: Familie ist nicht nur der Anfang von allem, sondern sie ist auch unsere Zukunft.
Daneben haben wir lange und mit großem Einsatz für staatliche Zuschussprogramme geworben. Mittlerweile haben wir ein gutes Auskommen mit den entsprechenden Landes- und Bundesministerien und fühlen uns hier mit unserer natürlich noch immer prekären wirtschaftlichen Situation gesehen und ernst genommen. Auch hier gilt: In Zeiten, in denen Politik viel Kritik einstecken muss, müssen auch die positiven Punkte benannt werden. Die Familienerholung hat bei der Bewältigung der immensen Probleme viel beizusteuern.
Wird das Familienerholungswerk der Diözese Rottenburg Stuttgart diese größte Krise nach dem Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstehen? Ich weiß es nicht. Aber überstehen werden wir sie, da bin ich mir ganz sicher.