Dr. Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, spricht sich dafür aus, die Rahmenbedingungen für die Freiwilligendienste im neuen Jahr zu verbessern und ihnen die Wertschätzung zukommen zu lassen, die ihnen gebührt. Zugleich nimmt er Abstand von wiederkehrenden Forderungen nach Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs.
"Ich selbst unterstütze nachdrücklich die Freiwilligendienste und werde mich auch weiter dafür einsetzen und dafür werben", sagt der Bischof und fährt fort: "Die etablierten und lang erprobten Strukturen unserer Freiwilligendienste liefern uns bereits die Antwort darauf, wie sich gesellschaftlicher Zusammenhalt und Engagement stärken lassen. Sie gilt es, tatkräftig zu unterstützen und auszubauen."
Breite Informationskampagne statt Dienstpflicht
Freiwilligendienste böten vielfältige Gelegenheiten, nachhaltiges und soziales Lernen einzuüben und die Gesellschaft zu stärken. Dies könne aber nicht über Verpflichtung oder gar Zwang erreicht werden, betont Fürst. Soziales und bürgerschaftliches Engagement müsse in unserer Gesellschaft vielmehr wieder zu etwas Normalen werden und dafür sollten junge Menschen schon in ihrer Schulzeit über die vielen Möglichkeiten eines solchen Engagements informiert werden. Statt über einen Pflichtdienst zu diskutieren, sollte die Politik dafür Sorge tragen, dass alle Schulabgänger über die Formen der Freiwilligendienste informiert sind.
"Darüber hinaus ist es für mich auch von zentraler Bedeutung, dass die Attraktivität und die Rahmenbedingungen der freiwilligen Dienste verbessert werden. Es muss gelingen, mehr Menschen für diesen Dienst am Nächsten zu begeistern", betont der Bischof. "Helfen würde es hierbei, wenn die Zeit im Freiwilligendienst bei einer späteren Ausbildung mit angerechnet und Rentenpunkte anerkannt würden." Nicht angehen könne es jedenfalls, dass sich diejenigen, die sich für die Gesellschaft engagieren, dafür rechtfertigen müssen oder gar Nachteile davontragen.
Freiwilligendienstleistende sind keine billigen Arbeitskräfte
In der Diözese Rottenburg-Stuttgart (DRS) engagieren sich jedes Jahr mehr als 1.300 junge Menschen in den Freiwilligendiensten. Gleichberechtigte Gesellschafter der Freiwilligendienste DRS gGmbH sind der diözesane Caritasverband sowie die Diözese, vertreten durch das Bischöfliche Jugendamt. Auch dessen Leiter Michael Medla betont: "Als Träger für Freiwilligendienste in der Diözese sehen wir eine generelle Dienstpflicht sehr skeptisch. Solidarität erzeugen, um damit gesellschaftlichen Spaltungen entgegenzuwirken und gleichzeitig den Fachkräftemangel in pflegerischen oder pädagogischen Berufen zu bekämpfen, kann ein Pflichtjahr nicht leisten."
Außerdem seien Freiwilligendienstleistende keine billigen Arbeitskräfte und ebenso könne ein solches Engagement- und Orientierungsjahr keinen Ersatz für eine professionelle Tätigkeit bieten, unterstreicht er. "Es braucht dort gut ausgebildetes Fachpersonal."
"Gemeinsinn und Solidarität lassen sich nicht erzwingen"
Diözesancaritasdirektor Oliver Merkelbach ergänzt: "Seit Aussetzung der Wehrpflicht und dem Ende des Zivildiensts wird immer wieder der Ruf nach einem Pflichtjahr für junge Menschen laut. Doch der gut gemeinte Ansatz, der Gesellschaft und den Menschen durch ein verpflichtendes soziales Jahr im wahrsten Sinne einen Dienst zu erweisen, stellt sich bei näherer Betrachtung als Trugschluss heraus. Denn Gemeinsinn und Solidarität lassen sich nicht erzwingen."
Und Oliver Merkelbach weist auf ein weiteres positives Charakteristikum der bestehenden Freiwilligendienste hin, das in einer engmaschigen pädagogischen Begleitung besteht, die es jungen Menschen ermöglicht, sich in ihrem Engagement weiterzuentwickeln, daraus zu lernen und gleichzeitig sich für die Gesellschaft zu engagieren.
Bürokratische Hürden abbauen und Anerkennung regeln
Für Olivia Longin, Geschäftsführerin der Freiwilligendienste DRS gGmbH, liegen die Fakten vor diesem Hintergrund auf dem Tisch: "Die beste Antwort auf die Frage, wie sich gesellschaftliches Engagement in Deutschland stärken lässt, ist schon jetzt in den Strukturen der Freiwilligendienste zu finden. Wenn die Politik dies erkennt und die vorhandenen Dienste stärkt, erübrigt sich jede weitere Diskussion rund um Pflichtdienste."
Es gehe vielmehr darum, den Freiwilligendienst sowohl auf finanzieller als auch auf gesellschaftlicher Ebene stärker zu fördern und anzuerkennen, betont auch Longin. "Zwang kann kein Rezept gegen die Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft sein." Der Zugang zu einem freiwilligen Jahr müsse für alle Menschen gleichermaßen möglich und niederschwellig gegeben sein.
"Es gilt, bürokratische Hürden abzubauen und die Anerkennung für Ausbildung und Studium einheitlich zu regeln", sagt die Geschäftsführerin. Die Vergütung sollte für die Dienstleistenden gesichert sein und alle, die einen Freiwilligendienst leisten möchten, sollten dies auch ganz ohne finanzielle Einbußen und Risiken tun können, pflichtet sie Bischof Fürst bei. Eine staatliche Parallelstruktur zum bereits bestehenden System schade der Sache. "Besser sind Finanzmittel zur Unterstützung der bestehenden zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienste genutzt, um damit mehr Menschen für ein freiwilliges Jahr zu begeistern", sagt sie.
Zum Hintergrund
Die Freiwilligendienste in der Diözese Rottenburg-Stuttgart gemeinnützige GmbH bietet Freiwilligendienste auf der Grundlage christlicher Orientierung für junge Menschen, Erwachsene und Senioren in Baden-Württemberg an. Sitz der gGmbH ist Wernau am Neckar. Zudem gibt es Regionalstellen in Ravensburg, Rottweil und Ulm.
Die Freiwilligendienste sind soziale Bildungsangebote. Sie ermöglichen Lernen durch tatkräftiges Helfen in einer gemeinwohlorientierten Einrichtung und durch begleitende Bildungsseminare.
Zum Angebot gehören: das Freiwillige Soziale Jahr und der Bundesfreiwilligendienst (FSJ/BFD), das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) und der Ökologische Bundesfreiwilligendienst (ÖBFD), der europäische Freiwilligendienst im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps (EFD/ESK) und der Bundesfreiwilligendienst 27+ (BFD 27+).