Auf 75 Jahre Arbeit für den Frieden hat Pax Christi Rottenburg-Stuttgart Mitte Juli zurückgeblickt. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine forderten die Mitglieder den Aufbau einer staatlichen Struktur gewaltfreier ziviler Verteidigung in Deutschland. Höhepunkt der Diözesanversammlung war ein Festgottesdienst mit Pfr. Dr. Wolfgang Gramer mit anschließendem Rückblick.
Dazu gehörten die in den 1970er-Jahren begonnenen Kontakte zu Christ:innen nach Galiläa in Israel. Heute gibt es einen Freiwilligendienst. Zwei junge Frauen, die diesen Dienst für Pax Christi in Betlehem und im Projekt Oase des Friedens ausüben werden, wurden von der Versammlung ausgesandt. Das berichtet der Pax-Christi-Diözesanverband.
Rückblick und Engagement
Weitere Bereiche der katholischen Friedensbewegung waren, als kleines Zeichen der Unterstützung der Ostpolitik, den Friedhof sowjetischer Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangener in Biberach zu pflegen und den Toten dort Namen zu geben, die Friedensdienste im Kosovo, das Friedensschiff auf dem Bodensee und das Gedenken zusammen mit Pax Christi Frankreich in Arras anlässlich des 100. Jahrestags des Endes des 1. Weltkriegs.
Der Wechsel der ehrenamtlichen Pax-Christi-Geschäftsstelle von Biberach nach Stuttgart in den 1980er-Jahren festigte die Friedensarbeit in Württemberg. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart sorgte für die Anstellung eines hauptamtlichen Referenten für Friedensbildung, der gleichzeitig Pax-Christi -Geschäftsführer ist sowie für eine Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle. Im Hohenheimer Park erinnert seit Samstag eine Baumpatenschaft und die Plakette "Frieden muss wachsen" an den 75. Geburtstag von Pax Christi.
Politische Matinée in der Akademie
"Den Frieden gewinnen!" war die politische Matinée überschrieben. Wie der Verband berichtet, diskutierten in der Akademie der Diözese in Hohenheim fünf renommierte Wissenschaftler:innen Fragen über Aufrüstung und den Ukraine-Krieg, Atomkriegsgefahr und Gewaltprävention, die Friedensbemühungen des Papstes sowie christliche Friedensethik und Pazifismus: Michael Schüßler, Professor für Praktische Theologie an der Universität Tübingen sagte, er befürchte, dass Gewalt und Renationalisierung zukünftig die deutsche und die europäische Politik bestimmten. Es gebe keine Fortschrittserzählung, dass es immer mehr Frieden gebe, so Schüßler, sondern jede Epoche müsse immer neu das Zeugnis von Krieg und Frieden erzählen.
Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine könnte humanitäre Hilfe geleistet werden, betonte die geschäftsführende Direktorin des Friedensinstituts in Freiburg, Karen Hinrichs. Die Umkehrung, der Ukraine würden nur Waffen helfen, sei zynisch und laut Hinrichs in der Logik der Militärs. Es gebe ein Genug an Zerstörung und Selbstzerstörung, so Hinrichs. Sie plädierte dafür, das UNESCO-Anliegen aufzunehmen, überall eine Kultur des Friedens zu entwickeln.
"Zeitenwende" bedeute für ihn, sagte Philosophieprofessor Olaf Müller von der Humboldt Universität Berlin, dass viele Leute nun der Meinung seien, wir lebten in einer Vorkriegszeit und nicht mehr in der Nachkriegszeit. Seiner Ansicht nach sei die Atomkriegsgefahr wieder nähergerückt. Durch Waffenlieferungen verlängere sich die Zeit der Atomkriegsgefahr, so Müller. Am wahrscheinlichsten sei ein Atombombeneinsatz aus Versehen. Er befürchte eine Gewöhnung an die Atomkriegsgefahr.
Konfliktprävention und Gewaltfreiheit
Professorin Hanne-Margret Birckenbach, Friedens- und Konfliktforscherin, berichtete über die Forschung, die seit langem darauf hingewiesen habe, was sich zwischen Ost und West anbahne. Doch Konfliktprävention sei vor allem vom Westen nicht gewollt gewesen, erläuterte die Göttinger Friedenspreisträgerin 2023. Sie erinnerte an die Weizäckerstudie aus den 1980er Jahren, wonach ein Land nur durch absolute Zerstörung zu verteidigen sei. Dabei sei Gewaltfreiheit ein weltumspannendes Konzept, das die UNO verfolge. Für diese Präventionsarbeit müssten endlich Mittel bereitgestellt werden, sagte sie.
Stattdessen würden wir "vorbereitet, uns auf einen ganz langen Krieg einzustellen", kritisierte Gregor Lang-Wojtasik, Pädagogikprofessor an der PH Weingarten. Warum zunächst Zerstörung nötig sei, um dann zu einem Frieden zu gelangen, war für den 55-jährigen Pazifisten noch nie einsichtig. Er bezog sich ebenfalls auf die Friedensagenda der Vereinten Nationen, wie sie in den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen zum Ausdruck kommt.
Mit einer Gedenkminute gedachte die Versammlung des verstorbenen Bischofs Luigi Bettazzi. Er gehörte zu den letzten lebenden Konzilsvätern, trat für eine bescheidene Kirche ein und war von 1978 bis 1985 Präsident von Pax Christi International. Bis vor wenigen Wochen hatte der 99-Jährige noch an Friedensdemonstrationen teilgenommen.