Friedensglocken

Ein Abschied als Erinnerung und Auftrag

„Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts": Schwester Faustina Niestroj vom „Friedensglocken"-Team (von links), Dagmar Zwosta, deren Großeltern väterlicherseits aus dem Sudetenland stammten, Pastoralreferent Andreas Ziesel und Waltraud Kiesling, Vorsitzende des Interessen-Kreises Beimerstetten, einem Zusammenschluss von engagierten Gemeindemitgliedern aus der Teilgemeinde Beimerstetten, freuen sich über die gelungene Abschiedsfeier für die Johannes-und-Paul-Glocke. Foto: drs/Jerabek

In einer Wort-Gottes-Feier haben sich die Beimerstetter von der Johannes-und-Paul-Glocke verabschiedet. Sie kehrt demnächst in ihre Heimat zurück.

Drei Gedanken, zwei Glocken, ein Ziel: Der Glockentausch in Beimerstetten im Rahmen des Projekts „Friedensglocken für Europa“ ist zu einer eindrücklichen Feier der Dankbarkeit, der Entschlossenheit und des Glaubens geworden. Nachdem die Johannes-und-Paul-Glocke und die neue Martinsglocke für kurze Zeit nebeneinander hingen, sollen sie schon bald über rund 850 Kilometer Entfernung einen Brückenschlag für das Miteinander der Menschen und Völker Europas „einläuten". Denn die bisherige Beimerstetter Glocke gehört nach Doubrava u Orlové (Dombrau) in Tschechien, wo sie im Krieg von den Nationalsozialisten entwendet wurde, und kehrt nun wieder in ihre Heimat zurück. Und auch mit der neuen Glocke, die als Friedensglocke gegossen wurde, wird ein Ausrufezeichen der Versöhnung gesetzt.

Die neue Heimat mitgestaltet

„Warum schauen wir heute zurück und nehmen von einer Glocke und ihrem Klang Abschied, die vor 240 Jahren gegossen wurde", fragte Pastoralreferent Andreas Ziesel in seiner Predigt - und formulierte drei Gedanken als Antwort: Als Folge des Zweiten Weltkrieges seien viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden, mussten dabei viel Leid ertragen und konnten nur das Nötigste mitnehmen. Trotz vielfacher Traumatisierungen durch Flucht und Vertreibung hätten die Menschen nach ihrer Ankunft nicht resigniert, sondern ihre neue Heimat mitgestaltet.

Damals habe Beimerstetten aus ein paar Bauernhöfen, der evangelischen Kirche und der Bahnhofstraße bestanden; wo heute die katholische Martinskirche steht, sei sumpfiges Gebiet gewesen. Und auch für die alteingesessenen Bewohner sei es nicht einfach gewesen, die Fremden aufzunehmen: Eine vierköpfige Familie hatte 50 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung - heute hat statistisch gesehen eine einzelne Person fast gleich viel Wohnraum - und in vier von fünf Haushalten konnte man von einem Bad oder einer Toilette im Haus, geschweige denn von fließendem Warmwasser oder Zentralheizung nur träumen.

Dankbar zurückschauen, hoffnungsvoll nach vorne

„Ist das nicht ein Grund, nicht nur rückwärts zu schauen, sondern dankbar rückwärts zu schauen", fragte Ziesel, „dankbar für die Integrationsleistung, die die Menschen damals erbracht haben". Aus dieser Dankbarkeit erwachse die Hoffnung, selbst mutig nach vorne zu schauen. Wenn vielen heute die Welt unübersichtlich erscheine und manche danach strebten, „ihr kleines, eigenes, sicheres Reich zu schaffen", könne man doch von der Eltern- und Großelterngeneration lernen, dass Wohlstand und Frieden „allein durch geduldiges und ernsthaftes Ringen aller um den besten Weg" entstehe, lautete ein weiterer Gedanke des Predigers. Jede Person, die sich an diesem Prozess zum Wohl aller beteiligt, bereichere durch sein Wissen und seine Erfahrung die Gemeinschaft. „Dieser gegenseitige Respekt fördert den Frieden."

Mutig vorwärts zu gehen, bedeute aber auch, Dinge, die die Vorfahren falsch gemacht haben oder die sich später als Sackgasse herausgestellt haben, besser zu machen - „und dazu gehört heute für mich auch, voller Dankbarkeit und ohne Groll diese Glocke zurückzugeben". Und schließlich: „Diese Abschiedsfeier ermöglicht uns, unser Herz, unser Vertrauen und unser Verhalten an Gottes Vorbild zu schulen. Es geht darum, dass unser Denken, Fühlen und Handeln einen schönen Dreiklang bilden: Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts", sagte Ziesel.

Historische Wegmarken und persönliche Erinnerungen

In den Fürbitten erinnerten Firmlinge der Gemeinde an historische Wegmarken im „Leben" der Johannes-und-Paul-Glocke, die jetzt nach Tschechien zurückkehrt, etwa an das Gussjahr, das auch das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung war, und verbanden das jeweilige Ereignis mit einer Bitte, etwa um Toleranz und Respekt für die Freiheit des Glaubens oder um den Einsatz für eine auch künftig lebenswerte Welt. In einer poetischen Abschiedsrede gab die Gemeinde der Glocke gute Wünsche auch für den künftigen Wirkungsort mit auf den Weg. Auf einer stabilen Holzkiste in einem Leiterwagen, symbolisch für das Erinnern an Flucht und Vertreibung, aber auch an Aufbruch und Aufbau, wurde die Glocke aus die Kirche gefahren.

Für manche Teilnehmende war diese Abschiedsfeier und das Erinnern an das Schicksal Angehöriger sichtlich berührend. „Je mehr wir miteinander gesprochen und von der Glocke erfahren haben, umso tiefer ging es rein", blickte Pastoralreferent Andreas Ziesel auf die Vorbereitungszeit zu dem Projekt zurück. Da seien plötzlich die persönlichen Geschichten und Erinnerungen lebendig geworden - etwa, dass ein Gemeindemitglied den selben Geburtsort hat wie die Glocke - und auch manche Verletzungen zu Tage getreten, für die es bislang kaum Worte gegeben habe. Hoffnungsfroh zeigte sich Ziesel über den Gemeinschaftsgeist der Firmlinge, von denen etliche neu zugezogen sind.

Schwester Faustina Niestroj vom „Friedensglocken"-Team erinnerte an den Beginn des Projekts im September 2021 in Aichtal-Grötzingen, als Delegationen aus Polen und Tschechien zusammen mit Bischof Dr. Gebhard Fürst den Start gewagt haben. Sie würdigte die „wunderbare Idee, beide Glocken nochmals in den Mittelpunkt zu stellen und sich bewusst zu machen, welche Botschaft sie uns bringen" - zum einen das Zurückschauen in die auch leidvolle Vergangenheit, zum anderen das hoffnungsvolle Zeichen, das den Weg in eine friedvolle Zukunft öffne. In diesen zwei Jahren sind bereits mehrere Glocken zurückgegeben worden. „Bei den Begegnungen haben wir erfahren, was das für die Menschen bedeutet, was das auslöst und wie die ungerechte Geschichte in einem gewissen Sinn auch geheilt wird und zum Guten gewendet wird", sagte Schwester Faustina.

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