Friedensglocken

Friedensglocken bringen Herzlichkeit zum Klingen

Bischof Dr. Gebhard Fürst segnet vor der Kirche in Żegoty (Siegfriedswalde) die Glocke aus St. Albertus Magnus in Oberesslingen, die nun in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Arkadius Guzy

Freundschaftliche Resonanz erzeugen die Glockenrückgaben der Diözese in Polen. Denn die aktuelle Lage im Osten Europas schwingt mit.

Während seiner mehrtägigen Polenreise im Rahmen des Projekts „Friedensglocken für Europa“ hat Bischof Dr. Gebhard Fürst drei Glocken an ihre Heimatgemeinden zurückgeben. Das Thema Krieg und Vertreibung begleitete seine Delegation dabei nicht nur als Nachhall aus der Vergangenheit.

„Meine Mutter wurde in Elbing geboren“, sagte Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, bei der Pressekonferenz in dieser Stadt. Er erinnerte daran, dass das Ermland die Heimat seiner Eltern gewesen sei. Der Ministerpräsident begleitete die Delegation aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart auf einem Teil der Reise durch den Norden Polens.

Die Glocke aus Straszewo

Die Stadt Elbląg (Elbing) bildete die erste Station, an der die Glocke für Straszewo (Dietrichsdorf) übergeben wurde. Während sie vor der Kathedrale St. Nikolaus auf die Segnung wartete, sagte Jacek Jezierski, Bischof des Bistums Elbing, im Gottesdienst in der Kirche: „Die Glocke war Zeugin einer schwierigen Geschichte, aber auch Zeugin des Friedens und der Hoffnung.“ Er dankte dem Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, für das Projekt „Friedensglocken für Europa“. Fürst erklärte: „Die Glocke hat die gemeinsame Geschichte beider Nationen erfahren und mitgeprägt.“ Die Glocke stifte nun Gemeinschaft, denn „ohne die Glocke wären wir heute nicht hier“.

 

Die Glocke war Zeugin einer schwierigen Geschichte, aber auch Zeugin des Friedens und der Hoffnung.
Bischof Jacek Jezierski

 

Der 300 Kilogramm schwere Klangkörper aus dem Jahr 1719 gehörte zu den schätzungsweise an die 100.000 Glocken, die ab 1940 auf Befehl der Nationalsozialisten aus dem ganzen damaligen Deutschen Reich der Rüstungsindustrie zur Verfügung gestellt werden mussten. Bei Kriegsende blieben davon nur etwa 16.000 Glocken in den Sammellagern übrig und konnten in den Folgejahren ihren Ursprungsgemeinden zurückgegeben werden. Für die ungefähr 1.300 Glocken aus den ehemals deutschen Ostgebieten war dies aus politischen Gründen nicht möglich. Sie wurden ab 1950 leihweise Gemeinden in der jungen Bundesrepublik zugewiesen. So kamen auch Glocken in die Diözese Rottenburg-Stuttgart - und eine Glocke aus dem heutigen Straszewo gelangte nach Oberesslingen.

Nach der Segnung der Glocke fuhr die freiwillige Feuerwehr aus Straszewo mit einem Pritschenwagen vor. Ein Kran der Feuerwehr Elbing hievte die Glocke auf die Ladefläche, um sie sogleich nach Straszewo zu transportieren. Denn dort wartete die ganze Ortsgemeinschaft schon, wie Franciszek Pielak sagte. Der 74-jährige Feuerwehrmann erklärte, dass ein Fest vorbereitet sei, um die Glocke zu empfangen. Eine Abordnung aus dem tschechischen Píšť (Sandau), wohin bereits im Herbst 2021 eine Glocke aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart zurückgebracht worden war, verfolgte die Übergabe in Elbing.

Eindrücke von der Reise in Bildern

Zweite Station: Frombork

Die zweite Glocke wurde in Frombork (Frauenburg) vor dem dortigen Dom übergeben. Bischof Fürst segnete die Glocke, die damit aus Aichtal-Grötzingen in ihre Heimat zurückkehrte, zusammen mit Józef Górzyński, Erzbischof des Erzbistums Ermland. In dieser Kirche sei sein Bruder getauft worden, sagte Kretschmann kurz vor der Segnung am Denkmal für die Menschen, die 1945 auf der Flucht starben. Rund 450.000 Ostpreußen hatten im Januar des Jahres versucht sich über das zugefrorene Frische Haff vor der anrückenden Sowjet-Armee zu retten.

„Tief bewegt“ gab Ministerpräsident Kretschmann am Denkmal einen Einblick in seine Familiengeschichte. Auch die Eltern und die drei älteren Geschwister waren damals unter den Flüchtenden. Das jüngste Kind der drei starb an den Folgen der Flucht. Kretschmann legte zusammen mit Bischof Fürst einen Kranz am Gedenkstein nieder.

Nicht nur dort schlugen die deutschen, aber insbesondere auch die polnischen Redner den Bogen zum aktuellen Krieg in der Ukraine. Während der gesamten Reise, die auch Vertreter der deutschen Minderheiten begleiteten, wurde deutlich, wie die Polen mit dem Leid ihrer ukrainischen Nachbarn mitfühlen und wie sehr sie der russische Angriff bewegt.

Dritte Glocke kam zurück nach Żegoty

Die Glockenrückgaben als Friedens- und Freundschaftsgeste entfaltete vor diesem Hintergrund umso mehr Symbolkraft. „In der heutigen von Gewalt geprägten Zeit ist so etwas sehr wertvoll“, sagte Wiesław Tkaczuk, Bürgermeister der Gemeinde Kiwity. Der Ortsvorsteher von Żegoty, Tomasz Gowkielewicz, konnte ihm nur beipflichten. Żegoty, ein 400-Einwohner-Dorf in der Gemeinde Kiwity, war der letzte Ort, an dem während der Reise eine Glocke übergeben wurde.

Aus der Gemeinde St. Albertus Magnus in Oberesslingen fand diese dritte Glocke ihren Weg zurück „an ihre Wurzeln“, wie es Ortsbewohner Zygmunt Wieczorek formulierte. Er berichtete, dass mit der Ankündigung des Projekts auch die Geschichte der Glocke bekannt geworden sei. Im Ort, in den privaten Gesprächen sei ab dem Zeitpunkt viel darüber gesprochen worden.

In Żegoty konnte die Delegation die polnische Gastfreundschaft mit ihrer Herzlichkeit und kulinarischen Fülle ein weiteres Mal genießen. Diese Herzlichkeit beeindruckte auch die mitreisenden Vertreter:innen aus den Gemeinden, die die Glocken zurückgaben - als Ersatz hatte die Diözese Rottenburg-Stuttgart ihnen neue Glocken finanziert.

 

In der heutigen von Gewalt geprägten Zeit ist so etwas sehr wertvoll.
Bürgermeister Wiesław Tkaczuk

 

„Es war sehr bewegend. Man merkte, dass die Rückgabe den Menschen nicht egal war“, sagte Sabine Kunz. Sie repräsentierte zusammen mit ihrer Kirchengemeinderatskollegin Sabine Clephas die Gemeinde Oberesslingen. „Ich finde, es ist ein tolles Projekt“, zog Waldemar Schneider sein Fazit. Er könne es sich gut vorstellen, mit einer privaten Gruppe die Gegend im Norden Polens noch einmal in Ruhe zu erkunden. Schneider war mit seiner Frau und Pfarrer Volker Weber für Aichtal-Grötzingen dabei.

Und vielleicht gibt es mal Gelegenheit für ein Wiedersehen: „Sie sind jederzeit herzlich willkommen“ und „melden Sie sich mal und vergessen Sie uns nicht“, gaben der Bürgermeister und einige Einwohner aus Żegoty der Delegation beim Aufbruch zur Weiterfahrt mit auf den Weg.

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Weitere Eindrücke von der Reise nach Polen gibt's in unserem Dossier

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