Friedensglocken

Friedensglocken bringen Menschen zusammen

Friedensglocken für Europa. Bild: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Tobias Döpker

Nach der Ankunft in Ostrava/Ostrau verabschieden sich Mitglieder der Delegation aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart von „ihren“ Glocken. Bild: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Tobias Döpker

Delegation aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart reist ins Bistum Ostrau-Troppau nach Tschechien.

Ein „großer Triumph des Friedens über Unrecht und Krieg“ ist nach den Worten des Rottenburg-Stuttgarter Weihbischofs Dr. Gerhard Schneider die Rückkehr von fünf Kirchenglocken, die während des Zweiten Weltkriegs für Rüstungszwecke abgehängt worden sind. Diese Glocken, die fortan als Friedensglocken erklingen, „stehen für das Gegenteil, was die Nationalsozialisten wollten: Sie stehen nicht für Krieg, sondern für Frieden; sie stehen nicht für Hass, sondern für den gemeinsamen christlichen Glauben vieler Völker; sie bringen die Menschen in Tschechien und Deutschland nicht auseinander, sondern zusammen – was für eine wunderbare Wendung“, sagte Schneider bei einem Pontifikalamt, das der Bischof von Ostrava-Opava (Ostrau-Troppau), Martin David, mit Vertreterinnen und Vertretern aller zehn beteiligter Kirchengemeinden feierte.

Alle Glocken dokumentiert

Die Reise von Christen aus Beimerstetten (Alb-Donau-Kreis), Hemmingen (Landkreis Ludwigsburg), Roigheim (Landkreis Heilbronn), Schwenningen (Landkreis Villingen-Schwenningen) und Tübingen-Lustnau in die Tschechische Republik fand im Rahmen des von Bischof em. Dr. Gebhard Fürst initiierten Projekts „Friedensglocken für Europa“ statt. Dabei geht es um die sogenannten „Leihglocken", die im Zweiten Weltkrieg zu tausenden aus den deutschen Ostgebieten zur Rüstungsproduktion nach Westen verbracht wurden; durch das Kriegsende entgingen dort aber einige der geplanten Einschmelzung und kamen in den fünfziger Jahren in neu entstandene Kirchengemeinden, auch im Gebiet der heutigen Diözese Rottenburg-Stuttgart. Nachdem das Team um Diözesanmusikdirektor Prof. Dr. Hans Schnieders alle noch vorhandenen Glocken dokumentiert und Kontakt mit den betroffenen Kirchengemeinden aufgenommen hatte, brachte Bischof Fürst 2021 und 2023 die ersten Glocken nach Tschechien und Polen zurück.

Symbol für Frieden

Die Rückkehr der Glocken ist Symbol für Hoffnung, Völkerverständigung und Frieden. Im Mittelpunkt der Reise vom 12. bis 15. April stand deshalb die Begegnung mit Menschen aus den Gemeinden, aus denen die Glocken stammen: Doubrava (Dombrau), Věřňovice (Willmersdorf), Třanovice (Trzanowitz), Oldřišov (Odersch) und Třebom (Thröm). Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und mit vielen emotionalen Momenten bereiteten tschechische Kirchengemeinden ihren Gästen und ihrer Glocke einen herzlichen Empfang und ein festliches „Ahoj“, wie ein vertrauter Gruß im Tschechischen lautet.

Älteste Zeitzeugin des Ortes

Bewegt schilderte etwa Helmut Šafarčík seine Erinnerungen an das Abhängen der Kirchenglocken in seiner Heimatgemeinde Oldřišov (Odersch) am 18. April 1942: Sein Großvater habe sich bei den deutschen Soldaten erfolgreich dafür eingesetzt, die 586 Kilogramm schwere Glocke nicht einfach vom Kirchturm zu werfen, sondern vorsichtig herunterzulassen –  man könne ja nie wissen, ob sie nicht doch eines Tages zurückkehre, habe er gesagt. Was sonst kaum jemand für möglich gehalten hätte, ist eingetreten, so dass Pfarrer Petr Knapek die 101-jährige Marie Halfarová als älteste Zeitzeugin des Ortes zu der an einem Holzgestell in der Kirche aufgehängte Glocke führen konnte. „Es ist mir eine große Ehre, heute hier sein zu dürfen und die Glocke mit einem Hämmerchen anzuschlagen“, sagte die rüstige Dame, für die die Glocke einst zur Taufe, zur Erstkommunion und Firmung und auch zur Hochzeit geläutet hatte, bevor sie weggenommen wurde. Jetzt, nach so langer Zeit, läute die heimgekehrte Glocke umso schöner, fand sie. Wie in Oldřišov (Odersch) erinnert künftig auch in Doubrava (Dombrau), Věřňovice (Willmersdorf), Třanovice (Trzanowitz) und Třebom (Thröm) eine Gedenktafel an die Geschichte der „Friedensglocken für Europa“ und hält die Mahnung zum Frieden wach.

Freundschaftliche Kontakte

Von ihren Glocken nochmals Abschied genommen haben bei der Begegnungsreise die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchengemeinden aus Württemberg. Mit Wehmut, aber auch Freude habe man die Glocke zurückgegeben, sagte Anette Matrei aus Aichtal-Grötzingen, das 2021 in dem Projekt „Friedensglocken für Europa“ durch die erste Rückführung eine Pionierrolle eingenommen hatte und nun über freundschaftliche Kontakte nach Píšt‘ (Sandau) verfügt. Solche bahnen sich auch zwischen Roigheim und Třanovice (Trzanowitz) an: „Unser Wunsch ist es, dass es weitere Besuche zwischen unseren Gemeinden gibt“, sagte Wolfgang Kalb, Mitglied des Kirchengemeinderats. Eine vierköpfige Gruppe verbrachte einen ganzen Tag in der Partnergemeinde.

„Wer hätte gedacht, dass die Geschichte dieser Glocken ein so gutes und gesegnetes Ende findet“, resümierte Weihbischof Schneider am Ende der Begegnungsreise, die weiter Schule machen soll. Auch für den Ostrauer Bischof Martin David gibt es vor dem Hintergrund jüngster Kriege – auch in Europa – keine Alternative zur Versöhnung und zu einem gemeinsamen Weg: „Möge uns der Klang der Friedensglocken daran erinnern, dass wir Träger des Friedens in der Welt sein sollen“, sagte er im Rahmen einer Begegnung zwischen deutschen und tschechischen Christinnen und Christen in Opava (Troppau). „Möge unser Herz mit dem Frieden Christi wie eine Glocke erklingen.“

Videoreportage zur Reise nach Tschechien

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