Asylrecht ist existenziell gefährdet
Auch Prof. Dr. Daniel Thym von der Universität Konstanz plädierte für eine klare Steuerung der Migration. „Wir hatten vor 20 Jahren noch Handlungsspielräume, die wir heute nicht mehr haben“, sagte der Wissenschaftler. Notwendig sei eine „reformatorische Transformation“, da ansonsten das Asylrecht existenziell gefährdet sei. Es könnte ansonsten bald zu einer Entscheidung zwischen einem Weiter-So und der reaktionären Abschaffung des Asylrechts kommen, wie sie derzeit in den USA praktiziert werde. Zugleich hob Thym die notwendige Differenzierung zwischen der legitimen Debatte über das Schutzniveau und einer grundlegenden Infragestellung des Anspruchs auf Asyl hervor. Thym unterstützte die angekündigten Maßnahmen im Koalitionsvertrag („es wird gemacht, was wir machen können“), räumte aber zugleich ein, dass grundlegende Änderungen rechtlich kaum möglich seien. Entsprechend konzentriere sich die Politik bei der „verzweifelten Suche nach rechtlichen Möglichkeiten“ zum Beispiel auf einen Bereich wie die Familienzusammenführung.
„Vermenschenrechtlichung des Migrationsrechts"
Nele Allenberg vom Deutschen Institut für Menschenrechte (Berlin) warf dem öffentlichen Diskurs über Migration vor, einseitig Ängste zu schüren und warnte vor einer vorschnellen Infragestellung von Grundrechten und dem einkalkulierten Rechtsbruch als politischem Instrument. Das Publikum pflichtete ihr bei: Die „Vermenschenrechtlichung des Migrationsrechts" sei eine große kulturelle Leistung, hieß es in einer Wortmeldung aus dem Kreis der ca. 300 Teilnehmenden. Die erklärte Wertschätzung des Rechtssystems könnte dabei auch ein verbindendes Element von liberalen und konservativen Positionen in der Auslegung der Migrationsrechts sein, hieß es von anderer Seite.
Syrien - Sicherheitslage komplex
Neben der Diskussion grundlegender Fragen des Migrationsrechts ging es auch um konkrete Herausforderungen wie z.B. die Lage in Syrien. Eindrucksvoll berichtete die Journalistin und Sachbuchautorin Kirstin Hellberg von ihrer jüngsten Reise in das Land, wenige Monate nach dem Sturz von Diktator Assad. Insgesamt sei die Sicherheitslage komplex und durch lokale Gewalt und Racheaktionen bedroht. „Die Hauptverantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden: Ohne ein Gefühl von Gerechtigkeit können sich die Menschen nicht aussöhnen“, bilanzierte Hellberg. Anstelle die in Deutschland lebenden Syrer:innen vorschnell zur Ausreise aufzurufen, gelte es, die Exilgemeinschaft durch deren Beziehungen in die Heimat als „Potenzial für die Stabilisierung des Landes“ anzuerkennen. Roland Bank vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) (Berlin) plädierte für die Erlaubnis, sich vorab in Syrien ein Bild der Lage zu machen, ohne den Schutzstatus zu verlieren.
Verurteilung durch das „Weltrechtsprinzip“
Eindringlich bat der syrische Rechtsanwalt Anwar Al-Bunni darum, Syrien nicht sich selbst zu überlassen. Der Menschenrechtsaktivist war in einer Berliner Erstaufnahmeeinrichtung 2014 seinem früheren Folterer begegnet, der später in einem aufsehenerregenden Prozess durch die bundesdeutsche Justiz zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Neben Al-Bunni sollen unter seiner Aufsicht mindestens 4.000 Menschen gefoltert und 58 von ihnen ermordet worden sein. Möglich wurde die Verurteilung durch das „Weltrechtsprinzip“, nach dem in Deutschland seit 2002 auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden können, die im Ausland verübt wurden, auch ohne Deutsche als Täter oder Opfer.
Binnenflüchtlinge aufgrund von Dürren
Diskutiert wurde im Plenum auch das Phänomen der Klimamigration. Für die Arbeit des UNHCR bringe der Klimawandel mit seinen ansteigenden Temperaturen und zunehmenden Extremwetterlagen neue Herausforderungen mit sich, berichtete Friederike Foltz (Berlin). So seien z.B. die bislang verwendeten Zelte oft nicht mehr witterungsbeständig. Auch Dr. Jacob Schewe vom Potsdam Institute for Climate Impact Research verwies auf das Potenzial des Klimawandels, Konflikte auszulösen, die dann ihrerseits die Ursache für Migration seien. Entsprechend sei die Reduzierung der weltweiten Emissionen eine wichtige Maßnahme, um die Zahl an Fluchtbewegungen zu reduzieren. Und so wie es auf dem afrikanischen Kontinent aufgrund von Dürren eine wachsende Zahl an Binnenflüchtlingen gebe, sei bereits jetzt eine europäische Bewegung aus südlichen Ländern nach Mitteleuropa erkennbar – auch wenn sich die betroffenen Menschen oft nicht explizit als Klimaflüchtlinge sehen würden.
Gemeinsames Europäisches Asylsystem
Am Sonntagvormittag wurde nach einem Gottesdienst zunächst auf den aktuellen Stand der Implementierung der GEAS-Reform („Gemeinsames Europäisches Asylsystem“) in Deutschland eingegangen und die damit einhergehenden Bedenken diskutiert. Beate Gminder, amtierende Generaldirektorin Migration und Home Affairs bei der Europäischen Kommission (Brüssel) betonte dabei die Bedeutung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten uns erklärte: „Es funktioniert nur, wenn Außen- und Innenstaaten mitwirken.“ Sie verwies zudem auf die Notwendigkeit, auf Russlands hybride Kriegsführung an der belarussischen Grenze zu reagieren: Geflüchtete würden gezielt an die EU-Grenze gebracht, um Europa dadurch „sicherheitspolitisch zu untergraben“. Wie andere Referierende auch plädierte sie dafür, die Zugangswege legaler Migration zum Beispiel in Indien oder Bangladesch zu erleichtern, räumte aber ein, dass dies ein sehr mühsamer und langwieriger Prozess sei. Auch sei die illegale Arbeit weiterhin ein zu großer Migrationsfaktor, um nach Europa zu kommen und müsse stärker bekämpft werden. Gminder ging auch auf die Verhandlungserfolge für die Behandlung vulnerabler Gruppen, den Zugang zu Verfahrensberatung und das Grundrechtemonitoring ein.
Wiebke Judith von Pro Asyl (Berlin) kritisierte mit Blick auf Länder wie Polen, Österreich, aber auch hinsichtlich der deutschen Pläne die aktuelle Missachtung europäischen Rechts und hinterfragte entsprechend kritisch die grundsätzliche Implementierung und das künftige Zusammenwirken der Europäischen Union im GEAS. Bei aller notwendigen Kritik an der GEAS-Reform (z.B. kürzere Rechtsmittelzeiten oder restriktivere Unterbringungsregelungen) wäre es zumindest ein Fortschritt, wenn sich wenigstens alle europäischen Staaten an das EU-Recht halten würden.