Innerhalb von 37 Minuten sterben 6500 Menschen, die Innenstadt wird komplett zerstört - der Luftangriff am Abend des 4. Dezember 1944 war das einschneidendste Ereignis in der jüngeren Geschichte von Heilbronn. Es wirkt bis heute nicht nur im Stadtbild nach. Der ökumenische „Heilbronner Friedensweg“ erinnert an die Bombardierung während des Zweiten Weltkriegs und will das Gedenken für die heutige Zeit wirksam werden lassen – wegen Corona diesmal als Online-Projekt.
„Frieden ist nicht selbstverständlich, man muss etwas dafür tun“, sagt Lioba Diepgen. Als Dekanatsbeauftragte Kirche und Schule/Schulpastoral im katholischen Dekanat Heilbronn-Neckarsulm gehört sie mit Dekanatsjugendreferentin Jasmin Piontek, der evangelischen Jugendpfarrerin Stefanie Kress und Andreas Winkler von der Baptistengemeinde zum ökumenischen Organisationsteam des „Heilbronner Friedenswegs“.
Lioba Diepgen hält das Netzwerk zusammen, ihr ist der Einsatz für das Gedenken und den Frieden auch persönlich ein wichtiges Anliegen. Es gehe darum, die Mahnung zum Frieden für die heutige Zeit und die heutige, vielfältige Stadtgesellschaft zu übersetzen, wie sie erklärt. Der Friedensweg führte in den vergangenen Jahren am Gedenktag immer zu drei Stationen in der Innenstadt. Diese versinnbildlichten die drei Stichworte „Erleben. Erinnern. Bewegen.“, die über dem Projekt stehen.
An dieser Dreiteilung orientiert sich auch die Online-Version des Friedenswegs. In kurzen Statements berichten Heilbronnerinnen und Heilbronner im Internet, wann sie Frieden erleben. „Unterwegs sein heißt für mich, auch Leben fern meines Alltags zu spüren und Neues – Begegnungen, Natur, Städte, Kulturen – aufzusaugen. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit und Frieden“, schreibt zum Beispiel die aus Heilbronn stammende Schauspielerin Sibel Kekilli. Für Oberbürgermeister Harry Mergel ist der Gaffenberg „ein Ort des Friedens, der Stille und der Ruhe“.
Jeder kann diese Sammlung an Zitaten ergänzen. In den kommenden Tagen kann jeder eine kurze Antwort auf die Frage verschicken, wann er Frieden im Alltag erlebe.
Luftschutzraum als Todesfalle
Das Stadtarchiv hat für das Online-Gedenkprojekt Material zur Verfügung gestellt, das die Ereignisse um den 4. Dezember 1944 und den Luftangriff ausführlich dokumentiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Luftschutzraum „Klosterkeller“, in dem mehrere hundert Menschen durch Kohlenmonoxydvergiftung starben.
Die Dammrealschule veröffentlicht ihren Wunschbaum für die Zukunft der Gesellschaft. Außerdem hält der Friedensweg fest, auf welche Weise sich ein Geschichtskurs des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums kritisch mit der Inschrift der Ehrenhalle in Heilbronn auseinandergesetzt hat.
Zwischen 19.20 Uhr und 19.30 Uhr – etwa dem Zeitpunkt, als vor 76 Jahren die Bombardierung einsetzte – werden am 4. Dezember in der Heilbronner Innenstadt die Kirchenglocken läuten. Dann sind alle aufgerufen, das Friedensgebet für den diesjährigen Gedenktag zu beten. Das Friedensgebet schließt auch Gewalterfahrungen in anderen Regionen der Welt ein und ist wie der „Heilbronner Friedensweg“ selbst für alle Glaubens- und Religionsgemeinschaften offen.
„Mit diesem Friedensweg setzen wir ein Zeichen für Menschlichkeit und ein friedvolles Miteinander“, sagt Mitorganisatorin Jasmin Piontek vom katholischen Jugendreferat. Die evangelische Jugendpfarrerin Stefanie Kress ergänzt: „Dazu gehört auch, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Menschen weltweit bis heute Ähnliches erleben müssen.“