Demokratie

Gegen das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht

Felix Polianski vom "Ulmer Bündnis" ist erst 17 Jahre alt und war einer der Gäste beim Festakt Bündnis für Demokratie und Menschenrechte. Er sagt: "Als Schulsprecher wurde mir bewusst, was für ein Eckpfeiler der Demokratie es ist, dass auch Schüler sich an der Schulpolitik beteiligen dürfen. Gemeinsam können wir viel erreichen. Ich möchte, dass das so bleibt."

Festakt zu „Ein Jahr Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Baden-Württemberg“ mit Vertreter:innen der über 140 Mitglieder.

Das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte in Baden-Württemberg wurde Ende Januar 2024 mit mehr als 70 Partnern in Stuttgart gegründet. Nach der öffentlichkeitswirksamen Aufdeckung von Plänen rechtsradikaler Kreise, systematisch Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben, rollte eine Welle der Empörung und Angst durch das Land. Die Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks „Correctiv“ haben für alle sichtbar gemacht, dass rechtsextremistische und menschenfeindliche Bestrebungen eine Bedrohung für die Menschen in unserem Land und unsere Demokratie sind. Seit der Gründung ist das Bündnis auf fast 140 Mitglieder angewachsen. Regionale Bündnisse sind in Stuttgart, Karlsruhe, Ulm, Tübingen, Kirchheim/Teck, Esslingen und Schwäbisch Hall  entstanden.

„Sind wir ein Bündnis des Widerstandes?“

Am Montag, 27. Januar wurde das einjährige Jubiläum des Bündnisses mit über hundert Gästen aus den Mitgliedsorganisationen im Haus der Katholischen Kirche in Stuttgart gefeiert. „Umweltverbände, Kirchen, Gewerkschaften, Politische Vertreter:innen, Sozialverbände, Unternehmensverbände, Mitglieder der kommunalen Familie – eine Breite, die sich echt sehen lassen kann“, stellte Laura Streitbürger von der AWO Württemberg fest, die zusammen mit Sarah Köhler von der Diözese Rottenburg-Stuttgart durch das kurzweilige Programm führte. Und Sarah Köhler gedachte den Widerstandskämpfern des Nationalsozialismus und fragte die Gäste: „Sind wir ein Bündnis des Widerstandes?“ Auf der Agenda standen der Rückblick und Ausblick in die Geschichte Deutschlands und des Bündnisses für  Demokratie und Menschenrechte, sowie Praxisbeispiele aus den Gewerkschaften, Kirchen und Vereinen. Sie alle zeigen, wie das Bündnis Menschen für die Demokratie gewinnt und ihre Selbstwirksamkeit stärkt. Außerdem stellten die Bündnisse in Stuttgart, Ulm und Karlsruhe ihre bisherigen Aktivitäten vor.

Gemeinsam sind wir viele

Die Landtagspräsidentin Muhterem Aras unterstrich in ihrem Grußwort die Bedeutung einer starken Zivilgesellschaft. Sie warf einen sorgenvollen Blick auf die USA und Österreich und erinnerte ihre Zuhörer daran, dass zwischen dem heutigen, einjährigen Jubiläum des Bündnisses und dem Tag der Befreiung von Auschwitz nur 80 Jahre lägen: „Populisten und Rechtsextreme reden wieder eine Notlage herbei. Neue Polarisierungsunternehmer verunsicherten die Mitte der Gesellschaft. Wir stehen auch in Deutschland wieder an einem historischen Scheideweg. Und weiter: „Der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie stärkt das soziale Miteinander und trägt dazu bei, die gesellschaftlichen Echokammern aufzubrechen. Gemeinsam sind wir viele, um gegen Extremisten und Demokratiefeinde die Stimme zu erheben, die sich überall in der Welt vor einer starken Zivilgesellschaft fürchten. Das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte ist daher an vielen Orten in Baden-Württemberg ein starkes Zeichen der Vielfalt für die Werte des Grundgesetzes. Denn eine Brandmauer, das sollten wir alle sein.“

Aufstehen und zusammenstehen gegen Geschichtsignoranz

Der Generalvikar der Diözese Rottenburg-Stuttgart Dr. Clemens Stroppel sagte in seiner Keynote: „Ich bin froh, dass wir uns vor einem Jahr zusammengetan haben in der ganzen hier versammelten Vielfalt – gegen das sich verbreitende Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Ich kann mich noch gut an den Initial-Anruf von Herrn Andreas Stoch erinnern. Er musste auf offene Ohren treffen. Wir müssen aufstehen und einstehen für Demokratie, für Menschenwürde und Freiheitsrechte, die jedem einzelnen Menschen als Mensch zukommen. Wir müssen aufstehen und standhalten gegen autoritäre und menschenverachtende Bestrebungen. Wir müssen aufstehen und zusammenstehen gegen Geschichtsignoranz und dürfen nicht müde werden, engagiert wachsam zu sein und aktiv zu werden, zuzuhören und zu antworten, hinzuhören und zu argumentieren, Gesprächsräume zu öffnen und zu erzählen, zu erklären, aufzudecken.“ Dr. Stroppel erinnerte in seiner Keynote an den vor 80 Jahren von den Nazis ermordeten Württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz und berichtete von einer aktuellen Studie des „More im Common“ zum gesellschaftlichen Zusammenhalt die zeige, dass autoritäre, nationalistische Politik wieder auf dem Vormarsch sei. Autoritär populistische Parteien gewännen an Zustimmung und der Zuspruch zu parlamentarischer Demokratie nehme ab.

»Jesus hat kein Handbuch der Regierungskunst inspiriert […]. Aber dass es eine Politik geben soll, die Gott die Ehre gibt und deshalb den Menschen dient, ist in Jesu Wort grundgelegt – dass es menschenverachtende Politik gibt, die sich gottgleiche Macht anmaßt, allerdings auch« .
Das sind Worte des Neutestamentlers Thomas Söding. Und dass Christentum und völkischer Nationalismus unvereinbar sind, sind Worte der Kirchen 2024. Sie formulieren eine klare politische Haltung, mit der die vier Kirchen Baden-Württembergs Anfang 2024 dieses Bündnisses mitgegründet haben. Zusammen mit Ihnen allen, mit heute fast 140 Bündnismitgliedern.“ (Dr. Clemens Stroppel von der Diözese Rottenburg-Stuttgart)

Grundpfeiler unserer gemeinsamen Werteordnung

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Baden-Württemberg Kai Burmeister forderte dazu auf, bei der anstehenden Bundestagswahl demokratische Parteien zu wählen: „Jede Stimme für eine demokratische Partei ist eine Stimme gegen Rechtsextremismus und für unsere plurale Gesellschaft. Lasst uns gemeinsam alle Kraft dafür einsetzen, die demokratiefeindlichen Kräfte zurückzudrängen. Wir sind die große gesellschaftliche Mehrheit! Alle Mitglieder unserer fast 140 Organisationen zusammengezählt, repräsentieren wir deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Das ist ein großer Gewinn. Denn es geht uns um die Grundpfeiler unserer gemeinsamen Werteordnung: Menschenwürde, Demokratie, unabhängige Justiz und ein Sozialstaat, der Menschen in Not auffängt und ihre Würde bewahrt. Das Treten nach unten, die Herabwürdigung von Menschen in Not, hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Das ist nicht unsere Vorstellung von einem friedlichen und respektvollen Zusammenleben.“

Die Veranstaltung wurde moderiert von Dr. Sarah Köhler, Referentin für Gesellschaftspolitik und Demokratieförderung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Laura Streitbürger von der AWO Württemberg. Das Duo Russo & Putte begleiteten den Festakt musikalisch.

Fundament unserer Gesellschaft

Karin Schieszl-Rathgeb, Hauptabteilungsleiterin Kirche und Gesellschaft und für Fragen der Gesellschaftspolitik und Demokratieförderung zuständig, betont die Wichtigkeit des Zusammenhalts im Bündnis: „Die Würde des Menschen ist das Fundament unserer Gesellschaft. Nach einem Jahr des gemeinsamen Aufbaus geht es nun im Bündnis darum, konkrete Zeichen für Demokratie und Menschenrechte zu setzen. Nächstenliebe heißt für uns, den Schwächsten eine Stimme zu geben und entschieden gegen Hass und Ausgrenzung aufzustehen. Dieses Bündnis zeigt, wie stark wir gemeinsam sein können.“

Über das Bündnis:

Das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte ist ein breites zivilgesellschaft-liches und überparteiliches Bündnis aus Organisationen, Kirchen und Religions-gemeinschaften, Verbänden, Gewerkschaften, Landkreisen, Städten und Gemein-den, Vereinen und Parteien in Baden-Württemberg. Das Spektrum reicht von migrantischen Verbänden, über den Sport, die Naturschutzverbände, die queere Community bis hin zu den Heimat- und Trachtenverbänden.

Die Bündnispartner bekennen sich zu unserer freiheitlich demokratischen Grund-ordnung und ihren wesentlichen Elementen: der Menschenwürde, dem Demokra-tieprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsprinzip. Demokratie- und menschenfeindliche Haltungen sowie extremistische Einstellungen lehnt das Bündnis entschieden ab. Die Vielfalt der Beteiligten macht uns stark: von kleinen Initiativen vor Ort bis hin zu überregionalen Partnern, die sich gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft einsetzen. In dieser Breite und Größe dürfte das Bündnis einmalig in Baden-Württemberg sein. Zudem ist das Bündnis langfristig angelegt, anders als ähnliche Bündnisse in der Vergangenheit, die sich vor allem anlassbezogen zusammengefunden hatten.

Weitere Nachrichten

Bischof
Bischof Dr. Klaus Krämer besucht die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) und feiert mit Rabbiner Yehuda Puschkin Schabbat.
Weiterlesen
Tod und Trauer
Porträtfoto
Die Spiritualität hat inzwischen einen festen Platz in der hospizlichen Begleitung Sterbender - Interview mit Dr. Margit Gratz.
Weiterlesen