Bischof

Gottesglaube in Corona-Zeiten

Hirtenbrief von Bischof Gebhard Fürst zur Corona-Pandemie an die Gemeinden der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 25. Sonntag im Jahreskreis.

Liebe Schwestern und Brüder,

eine Woche nach Ferienende und Schulbeginn möchte ich mich heute an Sie wenden.

Die Corona-Krise hält uns nach wie vor fest im Griff und beeinträchtigt unser alltägliches Leben empfindlich. Seit März diesen Jahres sind wir weltweit von der Corona-Pandemie betroffen. Viel wird uns in diesen Tagen abverlangt. Verzicht auf Liebgewordenes, Umstellung unseres Alltags, Beeinträchtigung unserer freien Lebensgestaltung, schwere Einschränkungen beim Kirchgang und bei der Feier der Gottesdienste.

Zurückblickend möchte ich Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, zunächst sehr herzlich danken. Die allermeisten Menschen haben sich in den letzten Wochen sehr verantwortungsvoll verhalten. Auch in unserer Diözese. So sind wir bei allen seelischen und körperlichen Belastungen mit Blick auf andere Länder bisher noch vergleichsweise gut durch die schwere Krise gekommen. Aber diese Zeiten sind nicht vorüber.

Unser Zusammenleben in den vom Coronavirus so sehr beeinträchtigen Tagen zeigt uns allen, wie wichtig hilfreiches Miteinander ist. Das aus hygienischen Gründen notwendige Abstandhalten hat bisher nicht dazu geführt, dass wir als Menschen voneinander Abstand genommen haben. Im Gegenteil: Aufmerksamkeit für die Situationen und Bedürfnisse der Mitmenschen, Anteilnahme an ihrem je eigenen Schicksal und gegenseitige Hilfsbereitschaft haben vielerorts zugenommen. Hygienisch bedingte Distanz hat oft eine größere Nähe zueinander und Anteilnahme aneinander bewirkt. Die schmerzlichen Erfahrungen der Isolation von schwer Erkrankten und Sterbenden haben uns alle tief erschüttert. Gott sei Dank haben sich Angehörige, Pfleger, Ärzte und Freunde, aber auch Menschen in kirchlichen Berufen, Pfarrer, Diakone, PastoralreferentInnen und GemeindereferentInnen, besonders viele, viele ehrenamtlich tätige Christinnen und Christen um Menschen in Notlagen gekümmert. Was ich hier an Einfallsreichtum im gegenseitigen Unterstützen gesehen, gehört und erlebt habe, hat mir bei allem Leiden an der Situation doch Trost und Hoffnung gegeben. Kirche war durch engagierte Menschen vor Ort den Menschen nahe.

Liebe Schwestern und Brüder! Bei all dem, was die Corona-Zeit uns allen zumutet, fragen sich viele gläubige Menschen schweren Herzens: Warum hat das alles so kommen müssen? Hat Gott seine Schöpfung, hat Gott seine Geschöpfe, uns Menschen, denn vergessen?

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Es ist nicht einfach, auf diese uns sehr bedrängenden Fragen zu antworten. Aber es ist hilfreich, die Heilige Schrift zur Hand zu nehmen. In der Bibel wird fast überall von den Erfahrungen der Menschen mit ihrem Gott berichtet. In diesen Lebensgeschichten sind nicht nur Glück und Heil, sondern auch Unglück und Unheil allgegenwärtig. Krieg und Streit, Verzweiflung und Ohnmacht, ja die schmerzliche Erfahrung der Menschen von Gottesferne werden ausgesprochen. Aber die biblischen Geschichten bezeugen auch: In all dem haben die Menschen ihre Gottesbeziehung nicht aufgegeben.

Nicht zuletzt die Erfahrungen Jesu mit Gottesnähe und Gottesferne erschüttern uns. Jesus von Nazareth, der Gute und Gerechte, erfährt Augenblicke der Gottesfinsternis in seiner Leidensgeschichte und am Kreuz mit ganzer Wucht. Seine Leiden waren sicher keine Strafen. Sein Aufschrei in der Erfahrung der Kreuzigung ruft nicht ins Nichts hinein. ER fragt GOTT: „Warum hast DU MICH verlassen?“ In tiefster Not gibt Jesus seine Beziehung zu Gott nicht auf. – Wir wissen, was daraus geworden ist: Überwindung des Todes, Auferstehung, neues Leben…

Liebe Schwestern und Brüder! Schauen wir auf Jesus von Nazareth, auf die Menschen in der Bibel, die in der Not Gott nicht verlieren.

Bleiben wir trotz allem Unverständnis, warum das, was wir gegenwärtig durchleben, so geschehen musste und geschieht, Gott verbunden.

Geben wir die Gottesbeziehung nicht auf! Adressieren wir unsere schmerzlichen, vielleicht auch vorwurfsvollen Erfahrungen an Gott. Beten trägt uns!

Besonders die Psalmen, die Gebetslieder im Alten Testament, lassen uns im Lesen miterleben, wie tiefgläubige Menschen Gott danken, ihn loben, ihn bitten, aber ihn auch wegen seiner von ihnen erlebten Ferne anklagen. Die Psalmen sind eine Schule des Gebets in abgründiger Not. Die lebendige Gottesbeziehung geben wir, wie die biblischen Menschen, nicht auf und halten sie wach, wenn wir Gott nicht vergessen, wenn wir vielmehr zu Gott rufen, also beten.

Es gibt noch eine zweite Dimension, Gott nicht zu verlieren. Die lebendige Gottesbeziehung geben wir nicht auf, wenn wir andere unsere Nähe spüren lassen und diese so erfahren, dass sie nicht allein gelassen sind. Wo meine Nächsten durch mich und mein liebevolles Handeln Gottes heilsame Nähe erfahren, da wird Gott gegenwärtig. So werden wir in unserem Tun, in praktizierter Nächstenliebe zu Gottes-Zeugen.

Woher nehmen wir die Kraft, unseren Nächsten zu lieben und ihm selbstlos zu helfen?  Die Kraft zu lieben wächst uns zu aus der lebendigen Beziehung zu Gott im Gebet. Aber sie wächst uns auch besonders zu aus der Feier der Eucharistie!

Liebe Schwestern und Brüder, unsere Kirche durchläuft eine beispiellos schwierige Zeit. Unsere kirchlichen Versammlungen und Begegnungen leiden darunter schwer. Besonders die sonntägliche Feier der Eucharistie. Bis heute können wir nur mit einer begrenzten Zahl von Gläubigen und unter schwer zumutbaren Bedingungen feiern. Ich freue mich, dass Sie, liebe Schwestern und Brüder, heute zur Feier des sonntäglichen Gottesdienstes gekommen sind. Sie setzen damit ein Zeichen Ihres Glaubens. Ein Zeichen des Glaubens unserer Kirche. Die Feier der Eucharistie ist nicht irgendeine Versammlung. Sie ist auch eine andere Art von Gottesdienst als die übrigen Gottesdienste, so wichtig sie auch sind. Ich nenne hier nur die Wort-Gottes-Feier mit Kommunionempfang. – In der Eucharistie, der Heiligen Messe, feiern wir Tod und Auferstehung Jesu Christi. Sie ist eine heilige, von Gott initiierte Versammlung: eine liturgische Feier in heiligen Zeichen. In ihr wird Gottes Liebe zu uns zeichenhaft gegenwärtig und wirksam. Sie besonders ist die sakramentale Feier der hingebungsvollen Liebe Jesu von Nazareth zu uns. In ihrer Mit-Feier werden Sie, wir alle, als Gläubige hier und heute hineingenommen in den lebendigen, handelnden Christus.

Deshalb, liebe Schwestern und Brüder, freue ich mich und bin dankbar, dass wir als Gottes Volk das Gedächtnis Jesu feiern. Aus seinem Geist wächst uns die Kraft zu, an den Bedrängten aller Art in dieser schlimmen Zeit im Sinne und im Geist Jesu zu handeln.

Warum komme ich in meinem Schreiben an Sie gerade heute darauf zu sprechen?

Liebe Schwestern und Brüder, mich treibt die Sorge um, dass in unserer Kirche in der gegenwärtigen Pandemiezeit das tiefe Geheimnis der Eucharistie banalisiert werden oder gar verloren gehen könnte. Wer die Eucharistie gering schätzt, verliert den lebensstiftenden Kontakt zu ihr. Seien wir also achtsam, dass wir die eucharistische Quelle unseres Glaubens und unserer Kirche, ja unseres ganzen kirchlichen und persönlichen Handelns  gerade in diesen schweren Zeiten nicht verschütten.

Käme uns die Eucharistie abhanden, verlören wir als Kirche die wichtigste Quelle unserer Energie zu lieben.[1] Denn in der Feier der Eucharistie wird der Geist Jesu Christi unter uns lebendig. Der gegenwärtige Christus steckt uns an, in seinem Geist den Nächsten so zu lieben wie sich selbst und ihn heute so zu lieben wie Jesus Menschen geliebt hat.

Seien Sie alle gesegnet!
Ihr Bischof Gebhard Fürst

 

[1] In der feierlich verkündeten Konstitution über die Heilige Liturgie lehrt das Zweite Vatikanische Konzil: Die Liturgie, die Eucharistie, ist der Ursprung, die Mitte, das Zentrum und zugleich das Ziel allen kirchlichen Handelns. (Vgl. Sacrosanctum concilium Art. 10, Lumen Gentium Art. 11)

Übersetzungen des Hirtenbriefs gibt es in Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Kroatisch, Ungarisch und Polnisch. Zum Anhören gibt es den Hirtenbrief auf Soundcloud. Bischof Gebhard Fürst hat ihn selbst eingelesen.

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