Das katholische Dekanat Ehingen-Ulm lud jüngst zu einem Abend zur Philosophie Martin Heideggers ein. Im Programm der Geschäftsstelle sollte damit eine Brücke zu suchenden, fragenden und zweifelnden Menschen geschlagen und ehrenamtlich Engagierte zur tieferen Besinnung auf ihr Tun und Machen angeregt werden. Im gut gefüllten Steinhaussaal in Ulm sprach Dekanatsreferent Wolfgang Steffel über zwei Werke Martin Heideggers: „Sein und Zeit“ und „Vom Ereignis“. Klaus Hendel gab am Abend vier selbst verfasste poetische Einwürfe, die die Gedanken Heideggers alltagsnah beleuchteten.
In einer Annäherung verdeutlichte der Referent, dass Philosophie für den Glauben öffnen könne, weil dieser Antwort gebe auf die Bodenlosigkeit, die die Philosophie aufweise, ja aufreiße: Glaube besetze dann eine Leerstelle, die die Philosophie hinterlässt. „Philosophie kann auch für den Glauben öffnen. Und wer schon im Glauben steht, kann sich durch Fragen, die die Philosophie stellt, neu öffnen und weitergehen auf dem Weg zur Wahrheit“, so Wolfgang Steffel. Philosophie könne den Glauben öffnen, indem sie die Bequemlichkeit störe, indem sie aufstöre und verstöre. „Die größte Gefahr für das Denken besteht darin, dass es für uns keine Fragen mehr gibt, und unsere höchste Not ist es, dass es keine Not mehr gibt“, wurde Martin Heidegger zitiert.
Danach wurden zentrale Bestimmungen Heideggers erwogen, der den Menschen als „Geworfenheit, Verfallen, Wirbel, bodenloses Schweben, Absturz“ charakterisiert. Dies sind Kennzeichen des Menschen in Angst vor dem sicheren und doch zeitlich unbestimmten Tod, dem er als „Sein zum Tode“ entgegengeht, zugleich aber auch Beschreibungen eines Menschen, der unbewusst dahinlebt und unter dem Druck dessen, was „man“ vermeintlich tun und machen muss, noch nicht zur Eigentlichkeit gelangt ist. Diese Bodenlosigkeit darf nach Heidegger nicht durch vorschnellen Trost, vorgetäuschte Sicherungen, Flucht in Illusionen oder billige Antworten aufgefangen, sondern muss ausgehalten werden: um der Wahrheitsliebe willen. Wolfram Ellenberger sagt dazu in seinem Bestseller „Zeit der Zauberer“: „Philosophie zeigt sich in dem bleibenden Willen, sich in den Sturm des radikalen Fragens zu stellen; in dem suchenden Mut, gerade dort einen bodenlosen Abgrund zu gewahren, wo man einst ein sicherndes Fundament wähnte und erhoffte.“
Wolfgang Steffel betonte, dass es im Glauben gerade auch auf Formen, Rituale und gute Gewohnheiten ankomme, die als Skelett der Seele den Menschen stützen. Heidegger ist dagegen gegenüber dieser kulturellen Seite des Glaubens sehr kritisch und lässt so den Menschen ohne Trost und ohne Halt zurück. Der Halt sei indessen wesentliches Merkmal des Glaubens, betonte Steffel. Wer auf Gott hin loslasse, werde von ihm gehalten! Ein bloßer „Selbsttrost“, wie er bei Heidgger anklinge, sei letztlich eine Selbstvertröstung auf das Diesseits. „Der Glaube wagt den Schritt vom Selbsttrost zur Hoffnung auf Gott“, so Steffel weiter, der anschließend Elemente des österlichen Lebensraums entfaltete. In der Hoffnung darauf werde dem Menschen die Angst vor dem tod-sicheren Tod genommen.
Hier klingen Motive an, die auch Heidegger in seiner weiteren denkerischen Entwicklung im Rahmen seiner sogenannten „Kehre“ berücksichtigte. Im dem Buch „Beiträge zur Philosophie, Vom Ereignis“ wandelt sich die Angst vor dem Nichts in eine religiöse Scheu vor dem Geheimnis des Seins. Heidegger spricht vom Wunder des Fragens und der Besinnung. Der Mensch wird zum Wächter für die Stille. Dagegen stehe der unablässige Jahrmarkt von Erlebnissen und eine trübe Hetzjagd durch den lautesten Lärm. Heidegger beklagt eine zunehmende Abstumpfung gegen die Einfachheit einer Besinnung und den Mangel an Ausdauer im Fragen. Wolfgang Steffel bezeichnete dies als notwendige Gewissenserforschung im Blick auf den häufigen Aktionismus in der Kirche.
Von Heidegger wird erzählt, dass er beim Besuch von Kirchen und Kapellen auf Wanderungen stets Weihwasser genommen und eine Kniebeuge gemacht habe. Angesprochen darauf, ob dies für einen Philosophen nicht inkonsequent sei, habe Heidegger gesagt: „Geschichtlich muss man denken. Und wo soviel gebetet worden ist, da ist das Göttliche in einer ganz besonderen Weise nahe.“