Welche der Figuren am Hochaltar zeigt den heiligen Nikolaus? Pauline und ihre Mutter rätseln noch etwas. Nach einem kleinen Tipp haben sie es: Es ist der zweite Heilige von links, der mit dem Bischofsstab. Sie notieren die Lösung auf dem Blatt mit den Rallye-Aufgaben. „Jetzt muss ich die Kirche noch ablaufen“, sagt die zwölfjährige Pauline. Derweil suchen andere Besucherinnen und Besucher die Seitenaltäre mit der Taschenlampe oder dem Handy-Licht ab.
Bei der „Nacht der Heiligen“ am Vorabend des Allerheiligenfeiertags können sie die Stiftskirche St. Nikolaus auf der Comburg auf eine ganz neue Art entdecken. Die Kirche ist komplett dunkel. Kerzengläser markieren lediglich die Stufen am Altartisch. Der Hochaltar ist in rotes Licht getaucht, die Empore mit der Orgel ist blau angestrahlt. Jonas Miermeister hat die farblichen Akzente gesetzt. Der 15-Jährige unterstützt die Gesamtkirchengemeinde Schwäbisch Hall häufiger mit seiner Lichttechnik.
Heilige durchbrechen gängige Muster
Die Stiftskirche auf der Comburg ist sonst nur im Rahmen von Führungen oder zum Gottesdienst zugänglich. Daher ist die „Nacht der Heiligen“ für einige der Besucherinnen und Besucher eine willkommene, extra Gelegenheit, die Kirche zu besichtigen. Dabei lernen sie drei Heilige genauer kennen. Gemeindereferentin Laura Sünder, Pastoralassistentin Sandra Biebl und Pastoralreferent Wolfram Rösch erzählen zwischen den freien Erkundungen und den von Orgelstücken begleiteten Momenten von deren Leben.
Die Heiligen seien Glaubensvorbilder, deren Leben anders ablief als erwartet, erklärt Laura Sünder. Sie stellt die erste der an diesem Abend als „Musterbrecher“ titulierten Persönlichkeiten vor: Maria Magdalena.
„Am Ostermorgen war ich die Erste, die den Auferstandenen erlebt hat. Ich war diejenige, die den Jüngern als Erste die Frohe Botschaft von Jesu Auferstehung verkündet hat“, lässt Laura Sünder die Heilige erzählen. Im Laufe der Jahrhunderte verwoben sich allerdings die Geschichten mehrerer Frauen, von denen in den Evangelien die Rede ist, mit der Lebensgeschichte von Maria Magdalena, wie die Gemeindereferentin ausführt. So wurde Maria Magdalena zur Sünderin erklärt. Erst in neuerer Zeit wurde der Fehler korrigiert und im Jahr 2016 würdigte Papst Franziskus Maria Magdalena offiziell als „Apostelin der Apostel“.
Heiratsverweigerung sorgt für einen Skandal
Die zweite Heilige, der der Abend gewidmet ist, heißt Thekla. „Sie ist wirklich eine Heilige“, sagt Sandra Biebl. Denn Thekla gehört zu den weniger geläufigen Heiligen. Daher nennt Sandra Biebl ihre Attribute: Feuer, Löwe, Schlangen.
Eine ältere Besucherin streift daraufhin mit dem Lichtkegel ihrer Taschenlampe über die Ausformungen an den Füßen einer Figur am Seitenaltar: „Das könnten doch Feuer und Schlangen sein?“ Sie hat die richtige Figur gefunden.
„Thekla war eine Zeitgenossin von Paulus“, stellt Sandra Biebl die Heilige vor: Nachdem Thekla Paulus gehört hatte, verweigerte sie die Hochzeit mit dem von ihren Eltern ausgesuchten Verlobten, um nach den Glaubensidealen zu leben. „Ein Skandal in der damaligen Zeit“, sagt Sandra Biebl. Thekla wurde zum Tode verurteilt, überlebte aber auf wundersame Weise drei Tötungsversuche: durch Feuer, durch wilde Tiere, durch giftige Schlangen.
Ein Bischof, der Geschenke bringt
Der dritte Heilige wiederum ist wohl bekannt. Er bringt Kindern Geschenke, wurde in früherer Zeit aber auch gerne für pädagogische Drohungen benutzt. So berichtet Pastoralreferent Wolfram Rösch von Sankt Nikolaus.
Es ist die zweite Ausgabe der „Nacht der Heiligen“ – im vergangenen Jahr musste sie wegen Corona ausfallen. Laut Wolfram Rösch soll die Veranstaltung jährlich stattfinden. Denn in der Stiftskirche warten nicht nur weitere Heilige darauf, entdeckt zu werden. Es gibt auch die eine oder andere spannende Ecke, die einbezogen werden kann. So ist eine aus romanischer Zeit stammende, später zugeschüttete Krypta erhalten. An einer Wand dort lassen sich noch Konturen von Heiligen-Fresken ausmachen.