KAB

„Hinschauen, Einmischen, Aufmucken“

„Hinschauen, Einmischen, Aufmucken“

Svenja Gruß ist seit acht Monaten Diözesansekretärin der KAB und setzt sich u.a. für faire Löhne und Arbeitsbedingungen ein. Bild: privat

Im Interview berichtet die neue KAB-Diözesansekretärin Svenja Gruß über ihre ersten acht Monate im Amt – zwischen Corona, Landtagswahlen und Familie.

Die 46-jährige Gruß hat ihre neue Aufgabe bei der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) in turbulenten Zeiten angefangen. Schließlich bestimmte die Corona-Pandemie von Beginn an nicht nur den Alltag, sondern auch die Inhalte ihrer Arbeit. So setzt sich die KAB beispielsweise bereits seit Jahren für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege ein.

Frau Gruß, was hat Sie in den ersten Monaten im Amt als Diözesansekretärin der KAB am meisten gefordert?

Mich in so viele unterschiedliche Themen einzuarbeiten, denn die KAB in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist ein ganzes Orchester mit Solisten und soliden Instrumenten. Der Takt wird sicherlich durch unseren generellen Einsatz für faire Löhne und Arbeitsbedingungen angegeben. Er geht aber auch über den eigenen Tellerrand hinweg beim Einsatz für faire Handelsbedingungen mit Ostafrika, um Fluchtursachen zu beseitigen, und für ein Lieferkettengesetz, das von tausenden Menschen in unserer Petition unterzeichnet wurde. Mit dem Verkauf von Osterkerzen unterstützen wir ganz aktuell wieder die Partnerschaft mit unseren Freunden in Uganda und entzünden damit ein Licht der Hoffnung. Für Eltern bieten wir Kurberatung, Vor- und Nachsorge, die besonders von Müttern geschätzt wird. Ich habe gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft Müttergenesung für einen Rettungsschirm für Mütter-Kind-Kur-Einrichtungen gekämpft, um diese vor einer pandemiebedingten Schließung zu bewahren.

Meinen ersten Sommer bei der KAB habe ich in Bietigheim-Bissingen erlebt: Mit unserer Kampagne „Pflege braucht Zukunft“, die durch die Corona-Krise noch schneller in die Öffentlichkeit befördert wurde, weil Pflegekräfte plötzlich als systemrelevant galten, sind wir von Tür zu Tür gegangen und haben hunderte von Gesprächen zur  Verbesserung der Arbeitsbedingungen speziell für Pflegekräfte in der Altenhilfe geführt. Denn an der Stelle, wo Pflegekräfte nicht mehr können, weil sie ausgebrannt und mürbe sind, kommt die Zivilgesellschaft ins Spiel, um konkrete Forderungen aufzustellen und diese breit in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Hier habe ich die KAB als Aktionsbewegung kennengelernt, die sich auf den Weg macht, um mit Menschen im Gespräch zu sein und Verbesserungen für die Zukunft zu fordern.

Zu Beginn geht es ja viel darum, die Menschen im Verband kennen zu lernen. Wie ließ sich dies meistern, Frau Gruß?

Leider mussten in den ersten Monaten durch die Pandemie viele Gremiensitzungen und Veranstaltungen ausfallen, was mir das Kennenlernen der Ehrenamtlichen und vor allem der neu gewählten Mitglieder des Diözesanvorstandes, die ich bei ihrer Arbeit vor Ort und in den Bezirken unterstützen möchte, erschwert hat. Die Hürde ins Digitale nehmen nicht alle so leicht und trotzdem versuchen wir über spezielle Schulungen alle mitzunehmen.

Seit Herbst spüre ich einen enormen Digitalisierungsschub, denn „KAB goes online“ erlebe ich täglich: Ein kurzes Meeting zur Abstimmung zwischen Ravensburg und Stuttgart, meine Planungen mit Kooperationspartnern per Video und zahlreiche online Podiumsdiskussionen bestimmen meinen Alltag.

Ich habe in diesen acht Monaten persönlich sehr viel Neues gelernt und bin dankbar für die vielen Menschen, die neu in mein Leben getreten sind.

Sie möchten die christliche Perspektive auf die große politische Bühne bringen, wie Sie zu Beginn gesagt haben. Welche Themen sind hier gerade besonders dringend – auch im Hinblick auf die anstehende Landtagswahl?

Ich setze mich schon immer für soziale Gerechtigkeit ein und fühle mich deshalb bei der KAB zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Immer ist es mir ein Anliegen gewesen, Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, sich ein Ziel zu setzen und gemeinsam dafür zu kämpfen. Denn die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, ist: Was akzeptiere ich und wo muss ich anfangen Widerstand zu leisten? Ganz im Sinne der katholischen Soziallehre, die uns die Methode Sehen – Urteilen – Handeln an die Hand gibt und die ich umgangssprachlich heute auch mit Hinschauen – Einmischen –Aufmucken beschreiben möchte.

Von Menschen in der Nachfolge Christi begleitet zu werden, habe ich selbst in meiner Jugend beim BDKJ erlebt und wurde dadurch als Persönlichkeit geprägt.

Katholisch-sein empfinde ich als Heimat und ich will Menschen und ihre Ideen zum Blühen bringen, denn das ist meine christliche Identität.

Die KAB versteht sich als Wächterin und legt den Finger immer wieder in Wunden: Sei es beim Sonntagsschutz, wenn es um die Einhaltung des Anlassbezuges für verkaufsoffene Sonntage geht, oder aktuell machen wir auf den dringend Bedarf für eine gesetzliche Regelung für das Arbeiten im Homeoffice aufmerksam, denn die erhebliche  Ausweitung des mobilen Arbeitens braucht einen klar geregelten und verbindlichen Rechtsrahmen. Wir schauen genau hin.

Auf der großen politischen Bühne habe ich mittlerweile Erfahrungen sammeln dürfen, die von der ersten Online-Podiumsdiskussion im Wahlbezirk Bietigheim-Bissingen bis zur landesweiten Online-Podiumsdiskussion mit den sozialpolitischen Sprechern aller Landtagsfraktionen ein Meilenstein für mich und mein Team waren.

Welche Herausforderungen wird sich die KAB Ihrer Meinung nach primär stellen müssen, wenn die Corona-Pandemie überwunden ist?

In den meisten Diskussionen sind sich die Akteure darüber einig, dass sich Arbeits- und Lebensbedingungen nachhaltig verbessern, dass wir unsere Umwelt schützen und für den Zusammenhalt der Gesellschaft aktiv werden müssen. Hierzu brauchen wir eine Vision vom guten Leben. Diese Transformation schaffen wir nicht alleine.

Wir müssen alle mitnehmen und uns auch außerhalb der katholischen Organisationen auf neue Beziehungen mit jungen Akteuren einlassen.

Hier gehören wir mit dem Thema Nachhaltigkeit bereits zu einem großen Netzwerk, in dem ich mit den Kollegen zusammen tolle Ideen für Seminare verwirklichen kann. Denn für diese Mammutaufgabe braucht es viele, die miteinander nachdenken und einen Wandel in Gang setzen.

Natürlich hoffe ich, dass der Katholikentag 2022 in Stuttgart schon in die Nach-Corona-Zeit fällt. Diese Chance will ich ergreifen, um die gesellschaftlichen Themen, an denen wir als KAB dran sind, noch mehr Menschen vorzustellen, sie für das Handeln zu begeistern und für gemeinsamen Aktionen zu gewinnen.

Als Mutter von vier Kindern sind Sie täglich gefordert, die so genannte Work-Life-Balance zu meistern. Wie gelingt Ihnen das bzw. haben Sie Tipps, die wir uns von Ihnen abschauen können?

Das gemeinsame Abendessen ist uns wichtig und dafür wird auch mit einem gewissen Aufwand abwechselnd gekocht. Um ein Gegengewicht zu den vielen Stunden im Homeoffice und im Homeschooling vor dem PC zu setzen, gehört eine Runde gemeinsames Spielen nach dem Abendessen zum Standardprogramm. Ob Uno, Stadt-Land-Fluss oder Verstecken im Dunkeln – mir ist es immer wichtig mit meiner Familie, neben den ganzen Pflichtaufgaben und notwendigen Absprachen, Spaß miteinander zu haben und ungezwungen wertvolle Zeit zu erleben. Denn da blühen wir alle gemeinsam auf!

Zur Person:

Svenja Gruß kommt aus dem Landkreis Ludwigsburg, ist verheiratet und Mutter von vier Kindern zwischen 15 und 22 Jahren. Zudem kümmert sie sich um eine Pflegetochter aus Eritrea. Nach einer Ausbildung zur Industriekauffrau hat sie Sozialpädagogik studiert. Schon früh hat sie sich in der Katholischen Kirche engagiert – unter anderem als BDKJ-Dekanatsleiterin in Ludwigsburg. Nach dem Studium arbeitete Gruß unter anderem bei der Beratungsstelle Frau und Beruf, als Jugendreferentin und für den Sozialdienst katholischer Frauen. Zuletzt leitete sie die Mutter-Kind-Gruppe Mirjam für benachteiligte junge Mütter und führte als Ehrenamtskoordinatorin 25 Familienpatinnen beim Sozialdienst katholischer Frauen e.V. in Stuttgart.

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