Weltkirche

Hoffen auf die Rückkehr in einer fernen Zukunft

Frauen sitzen in einem Stuhlkreis.

Geflüchtete Frauen bei einem Treffen der Caritas Armenien in Gyumri. Foto: DRS / Stäps

Die Diözese unterstützt Projekte der Caritas Armenien für Binnenflüchtlinge aus Bergkarabach in Gyumri.

Eine Gruppe von weltkirchlichen Stellen verschiedener Diözesen und von Caritas International in Freiburg hat sich nach Armenien aufgemacht: Fünf Tage sind sie im Land unterwegs und besuchen Projekte von Caritas Armenien, die von Caritas International unterstützt werden. Dr. Heinz Detlef Stäps vertritt dabei die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Sie hat das Projekt für Binnenflüchtlinge aus Bergkarabach mitfinanziert. Stäps berichtet von seinen Eindrücken während eines Gesprächs zur psychologischen Unterstützung von geflüchteten Frauen.

Vier Frauen sitzen vor uns, vier verschiedene Familien, vier verschiedene Schicksale. Und doch verbindet sie eine gemeinsame Geschichte: Alle mussten vor den Raketen der Armee von Aserbaidschan aus ihrer Heimat fliehen.

Sie kommen alle aus Bergkarabach, jener Region im Osten von Armenien, die staatsrechtlich zu Aserbaidschan gehört, aber von christlichen Armeniern bevölkert war. 240.000 Flüchtlinge von dort hat Armenien inzwischen bei sich aufgenommen, alleine 120.000 seit dem letzten September. 36.000 Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, waren bereits im Land. Armenien hat aber nur 2,8 Millionen Einwohner.

Valentina erzählt uns, dass zunächst im Sommer 2023 die Verbindungen zwischen Armenien und Bergkarabach von Aserbaidschan blockiert wurden. Bald gab es in den Läden nichts mehr zu kaufen und kein Benzin. Sie hatten zwar Geld, aber sie hatten kaum etwas zu essen. Es war klar, dass man sie aushungern wollte.

Die Vertreibung 2023

Der eigentliche Alptraum, so schildern die vier uns mit zitternden Stimmen, begann dann am 19. September 2023: Die Armee von Aserbaidschan begann mit den Bombardierungen von Bergkarabach. Sie richteten ihre Raketen dabei auf die Ränder der Dörfer und Städte aus. Sie wollten die Bevölkerung nicht vernichten, sondern vertreiben. Anusch lebte mit ihrer Familie aber in der Nähe eines Militärobjekts. Bei dessen Bombardierung wurde sie verletzt und hat nun eine Prothese und muss an Krücken gehen. Nach einigen Tagen in Bunkern und Kellern wurden die Bewohner dann von der eigenen Regierung aufgefordert, das Land zu verlassen. Armenien schickte Busse nach Bergkarabach, um die Menschen abzuholen. Mitnehmen konnten sie nur, was sie in zwei Stunden hastig zusammenpacken und tragen konnten. Ihre Flucht nach Armenien dauerte bis zu 48 Stunden lang, für einen Weg, den man sonst in eineinhalb Stunden zurücklegen konnte. Überall gab es Kontrollpunkte der Armee von Aserbaidschan, aber sie ließen die Fliehenden passieren.

Flucht richtete körperliche und mentale Schäden an

Was sie verbindet ist auch, dass sie selbst oder ihre Kinder gesundheitliche, oft psychische Probleme haben. Der Sohn einer Lehrerin, die uns ihren Namen nicht verrät, hat durch den Stress Diabetes entwickelt und ist nun auf Medikamente angewiesen. Eine andere Frau erzählt uns, dass ihr Sohn so verzweifelt war, dass er einen Selbstmordversuch unternahm. Valentina hat einen Sohn, der an Autismus leidet. Sie sagt: “Wir hatten von Caritas in Gyumri gehört und wussten, dass sie gerade auch bei psychischen Problemen helfen können. Das war der Grund, warum wir nach Gyumri gekommen sind.”

Wir hören, dass es nicht üblich ist, psychische Probleme in Armenien offen anzusprechen, man macht sich verletzlich dadurch. Umso wichtiger ist es, dass Caritas Armenien Kurse für solche Frauen anbietet. Auch für Männer gibt es solche Kurse, aber sie tun sich oft schwerer, sich auf diese Weise helfen zu lassen. Es geht bei den Kursen um die Verarbeitung von Verlust und Trauer, von Streß und Traumata. Wir sind beim ersten Treffen eines solchen Kurses dabei. Rund 30 Mütter sind in einem Stuhlkreis versammelt und werden von einer Psychologin begrüßt. Die Kinder werden währenddessen auf einer Bowlingbahn im Erdgeschoss desselben Gebäudes betreut. Das erste Treffen fängt niederschwellig an. Es geht um Selbstfürsorge. Den Frauen wird gesagt, dass sie auch an sich denken müssen, sich jeden Morgen zunächst 10 Minuten für sich selbst gönnen sollen, bevor sie sich um andere kümmern. Sie erhalten alle einen kleinen Kosmetikbeutel und einen Fragebogen, den sie für sich selbst beantworten sollen: „Ich trinke jeden Tag mindestens zwei Liter Wasser“ steht da zum Beispiel, oder „Ich schlafe jede Nacht zwischen sieben und acht Stunden.“ Es gibt also auch Hausaufgaben. In den nächsten sechs bis acht Wochen wird es jeweils ein solches Treffen geben.

Die Hoffnung auf Heimkehr bleibt

Die Gruppe aus Deutschland ist beeindruckt von den Schicksalen der Frauen, die ihre Häuser zurücklassen mussten; den Schlüssel haben sie neben die Tür gehängt, damit die Angreifer die Tür nicht aufbrechen müssen. Im Internet sahen sie dann auf Fotos, wie ihre gesamte Habe auf der Straße lag, ihre Spuren wurden beseitigt, ihr Andenken getilgt. Trotzdem lässt sie der Gedanke einer Rückkehr nicht los. „Jetzt geht es nicht,“ sagt Valentina, „aber vielleicht irgendwann einmal. Wir hoffen!“

Das Projekt der Caritas erstreckt sich auf vier Provinzen Armeniens und bietet Geldhilfen mittels einer Karte, damit die Menschen den täglichen Bedarf decken können. Sachhilfen gibt es in ländlichen Regionen, wo kaum Supermärkte mit einem breitem Angebot zu finden sind. Die Frauen danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Caritas, aber auch den Unterstützern aus Rottenburg, dass sie bei all den vielen Problemen, die es auf der Welt gibt, auf sie und ihre Geschichte schauen und ihnen helfen.

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