Bischof

"Hoffnung und Zuversicht, Leben und Handeln"

Neujahrsansprache 2023: "Wünsche, dass Sie jeden Augenblick bereit sind, dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen."

Liebe Damen und Herren!

Unbeschwert zuversichtlich und hoffnungsvoll können wir nicht auf das neue Jahr zugehen. Denn all die Sorgen, Beschwernisse und Ängste, die sich im letzten Jahr und schon vorher, aufgebaut haben, liegen uns schwer auf der Seele.

Wie aber können wir hoffnungsvoll und zuversichtlich bleiben angesichts dessen, was wir erleben? – Krieg in Europa, der nicht zu Ende gehen will: Existenzängste, Vertreibung, Hunger, Kälte, Zerstörung, Tod…

Der bekannte deutsch-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm formuliert in seinem 1968 erschienen Buch „Die Revolution der Hoffnung“ Sätze, die veranschaulichen, welche Bedeutung Hoffnung für unser individuelle Leben, aber auch für das Zusammenleben von Menschen, besonders in krisenhaften Zeiten hat. – Ich darf diese eindrucksvollen Worte vortragen:

Hoffnung – schwach oder stark

„Wer eine starke Hoffnung hat,
erkennt und liebt alle Zeichen neuen Lebens
und ist jeden Augenblick bereit,
dem, was bereit ist, geboren zu werden,
ans Licht zu helfen.

Wer nur eine schwache Hoffnung hat,
entscheidet sich für das Bequeme oder die Gewalt."

Erich Fromm:
Die Revolution der Hoffnung.

 

Liebe Damen und Herren,

„Schwindet die Hoffnung, dann werden wir bequem oder gewalttätig“, so Erich Fromm. – Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit oder gar Gewalttätigkeit – eine Verrohung der Gesellschaft, wie wir sie gegenwärtig erleben, können wir nicht gebrauchen.

Die Stuttgarter Zeitung veröffentlichte zum Jahreswechsel die Ergebnisse einer Befragung über das, was Menschen im Augenblick Mut macht. Der Artikel ist überschrieben mit: „Die Zuversicht schwindet“.

An ein glückliches neues Jahr glaubten nach Angaben des Hamburger Zukunftsforschers Horst Opaschowski nur wenige Menschen in Deutschland. 35 Prozent der repräsentativ Befragten bejahten die Aussage: „Dem kommenden Jahr gehe ich mit großer Zuversicht und Optimismus entgegen. Ich erwarte bessere Zeiten“. Ein Jahr zuvor sahen sich noch 53 Prozent als Optimisten. Heute sind zwei Drittel nicht mehr hoffnungsvoll und zuversichtlich.

„Wer nur eine schwache Hoffnung hat, entscheidet sich für das Bequeme oder die Gewalt.“ Das Wort aus dem Gedicht von Erich Fromm zeigt, was auf dem Spiel steht, wenn die Hoffnung schwindet und die Zuversicht abstürzt.

Krieg in der Ukraine – Krieg in Europa

Ich komme im Folgenden zu dem, was besonders diesen Absturz der Zuversicht bewirkt und den Hauptgrund der angstvollen Stimmung ausmacht: zum Ukraine-Krieg.

Am 24. Februar des vergangene Jahres brach der bis heute mit größter Brutalität geführte völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine aus. Eine kirchliche Mitarbeiterin aus dem Raum Lwiw schreibt an diesem Tag um 7:45 Uhr eine hastig verfasste E-Mail an die Hauptabteilung Weltkirche des Bischöflichen Ordinariats in Rottenburg: „Krieg! Flughafen in Ivano Frankivsk wurde bombardiert! Panik!“

Seit 30 Jahren unterhält unsere Diözese gute Verbindungen in die Ukraine. Umso mehr werden Sie verstehen, welchen Schock die Nachricht bei uns auslöste. Dass wir zusammen mit dem Caritasverband sofort bis heute andauernde Hilfsmaßnahmen einleiteten war selbstverständlich.

Bei einem am 27. Februar veranstalteten großen ökumenischen Gottesdienst in St. Eberhard hier in Stuttgart beteten wir zusammen mit den Ukrainisch-Katholischen Christen in der Diözese um Frieden und für die vom Krieg betroffenen Menschen.

Solidarität auf dem Katholikentag

Im Mai des vergangenen Jahres fand dann in Stuttgart unter dem Motto: leben teilen der 102. Deutsche Katholikentag statt. Immer noch innerhalb der Covid-Pandemie, war der Katholikentag ein Erlebnis von Hoffnung, ein Aufatmen-Können in freudigen Begegnungen, in lebendigen Diskussionen und Gesprächen, in spirituellen Veranstaltungen und nicht zuletzt in wunderschönen, Trost, Freude und Hoffnung schenkenden Gottesdiensten.

Im Zentrum des Katholikentages veranstalteten wir aus Solidarität mit der Ukraine eine große Friedenskundgebung auf der Bühne des Oberen Schlossgartens. Die Großkundgebung demonstrierte eindrucksvoll den Willen zum Frieden und zur Solidarität der versammelten Christen aus Deutschland mit dem geschundenen ukrainischen Volk. Der Katholikentag mit all den Veranstaltungen und den Hilfsaktivitäten war und ist bis heute ein eindrucksvolles Hoffnungszeichen.

Dieses gemeinsame Zeichen der Hoffnung und der Solidarität aus dem Glauben gehört auch in das so verstörende Jahr 2022. Solche Zeichen der Hoffnung wahrnehmen und daraus leben, hilft gegen Verdrossenheit und Resignation. Solche Zeichen der Hoffnung sind „alle Zeichen neuen Lebens.“

Einsatz und Wille zum Frieden

Wir befinden uns im Weihnachtsfestkreis. Wie kein Fest ist Weihnachten mit den Friedensbotschaft verbunden. Die Geburt des göttlichen Kindes ist begleitet von der Botschaft der himmlischen Boten: „Friede auf Erden“

Die christliche Botschaft macht die Hoffnung in uns stark, dass Friede möglich wird: ein Friede, der den Wiederaufbau des Zerstörten umfasst.

Der synodale Weg der Katholischen Kirche in Deutschland

Ich möchte nun zum Synodalen Weg in Deutschland kommen, der 2019 im Dom in Frankfurt eröffnet wurde und auf dem große Hoffnungen liegen. – Sicherlich ist bisher nicht alles so verlaufen, wie es sich manche gewünscht haben. Aber von einem Scheitern kann keine Rede sein. Wenn wir jetzt im März mit der fünften Vollversammlung den Synodalen Weg in Deutschland abschließen, dann haben wir doch eine Reihe guter, richtungsweisender Texte verabschiedet. Unter anderen den zentralen Text der Forums I: Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag.

Dieser Reform-Text wurde am 3. Februar 2022 mit großer Mehrheit auch aller Bischöfe verabschiedet. Der Beschluss impliziert starke Veränderungen der Machtstrukturen der katholischen Kirche. Dies ist umso beachtenswerter, da nach der MHG-Studie zum Missbrauch in der Katholischen Kirche von 2018 das Machtgefüge der Katholischen Kirche als Grund des Missbrauchs angesehen wurde. Eine nachhaltige Veränderung der Machtstrukturen der katholischen Kirche ist eine notwendige Reaktion auf den Vorwurf, die hierarchische Kirchenstruktur begünstige oder generiere gar sexuellen Missbrauch.

Dass dieses Reformpapier verabschiedet wurde, ist ein großes Hoffnungszeichen. Nun liegt es an der Kirche in Deutschland insgesamt, bereit zu sein, dieses Manifest der Hoffnung auf Strukturreformen in unserer Kirche in Deutschland umzusetzen. Dies kann bei den allermeisten Strukturreformen in den einzelnen Diözesen sofort geschehen. Rom wird dagegen nichts einwenden. Es gibt bereits eine Ortskirche, die schon vor mehr als 50 Jahre mit Zustimmung Roms solche Reformen im Interesse einer synodalen ortskirchlichen Verfassung umgesetzt hat.

Ich lade alle ein, Einfluss zu nehmen und auf der Basis des verabschiedeten Grundtextes eine strukturelle Reform unserer verschiedenen Ortskirchen in Deutschland einzuleiten. Um dadurch wie Erich Fromm formuliert – dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen.

Der Rottenburger Weg als Verfassung einer chiesa synodale

Im Jahr 2020 wurde diese besondere ortskirchliche Verfassung der Diözese Rottenburg-Stuttgart 50 Jahre alt. Die in der katholischen Weltkirche unverwechselbare Verfassung einer Ortskirche umfasst besondere Räte und Gremien, die Partizipation, Mitwirkung und Mitgestaltung durch die von den Kirchenmitgliedern gewählten Frauen und Männern garantieren. Die teilkirchliche Verfassung gibt der Diözese von Rottenburg-Stuttgart ein einmaliges Profil.

In der Zeit des Pontifikats von Papst Franziskus und seiner Bemühung um eine synodale Kirche erfährt diese Verfassung eine ganz neue Aktualität.

Der synodale Prozess der Weltkirche

Der synodale Prozess der Katholischen Kirche in Deutschland ist seit 2021 eingebettet in den synodalen Prozess der Weltkirche. Am 24. Oktober 2022 hat das Sekretariat für den synodalen Prozess der Weltkirche in Rom ein Arbeitsdokument für die kontinentale Etappe des synodalen Weges veröffentlicht. Es trägt den Titel: „Mach den Raum deines Zeltes weit“ (Jes 54,2).

Der synodale Prozess der Weltkirche tritt nun in seine kontinentale Phase ein. Den Auftakt in Europa macht eine offene Synodalversammlung, die vom 5. bis 12. Februar 2023 in Prag stattfindet.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe von namhafter römischer Stelle die Zusage, dass der Rottenburger Weg einer synodalen Diözese mit in den weltweiten synodalen Weg hineingenommen wird. „Genau dieser Weg (des Rottenburger Modells) der Partizipation von allen am Leben der Kirche ist das, was die Weltsynode erwartet von uns“, sagte mir ein für den weltweiten in höchster Verantwortung Stehender.

Nehmen wir diese Entwicklungen als ein starkes Hoffnungszeichen, dass zentrale Dimensionen des Rottenburger Weges in den weltkirchlichen synodalen Prozess der Katholischen Kirche und die finale Beschlussfassung eingehen. Seien wir bereit – um nochmals Fromm zu zitieren – dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen.

Prävention sexuellen Missbrauchs

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Die größte offen klaffende Wunde der katholischen Kirche ist der durch nichts wirklich wiedergutzumachende sexuelle Missbrauch von Kindern und minderjährigen Jugendlichen durch Priester, Diakone, Ordensleute.

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart versuchen wir mit größtem Nachdruck seit zwei Jahrzehnten sexuellen Missbrauch aufzuklären und sexuellem Missbrauch durch Präventionsmaßnahmen vorzubeugen bzw. ihn zu verhindern.

Durch Präventionsmaßnahmen Missbrauch zu verhindern und dadurch, dass wir Strukturen schaffen, in denen sexueller Missbrauch keinen Platz hat und er überall und wie immer möglich verhindert wird, ist eines meiner – und unserer Diözese – obersten Ziele. Dafür haben wir bereits vor 20 Jahren im Januar 2002 die weisungsunabhängige Kommission sexueller Missbrauch eingesetzt. Ergänzt wird sie nun durch die Aufarbeitungskommission und den Betroffenenbeirat, die sich im Jahr 2022 konstituiert haben.

Leider nimmt in unserer Gesellschaft in Deutschland nach neuesten Studien sexualisierte Gewalt gegen Kinder insgesamt zu. Staatliche Quellen sprechen von 40 minderjährigen Opfern pro Tag.

Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang eine Anregung an nichtkirchliche, also an staatliche, gesellschaftliche oder andere Einrichtungen weitergeben. Diesen Vorschlag habe ich bereits bei meiner Neuansprache 2019 unterbreitet. Damals sagte ich: „Ich schlage vor, eine Zertifizierung für Einrichtungen zu ermöglichen, die sich in der Prävention sexuellen Missbrauchs angemessen und kompetent verhalten. Hierzu müssten von einem unabhängigen Gremium von Fachleuten Standards entwickelt werden. Die Zertifizierung würde nach kompetenter unabhängiger Untersuchung bescheinigen, dass in den entsprechenden kirchlichen oder anderen Einrichtungen nach diesen ebenfalls unabhängig entwickelten Standards verfahren und gehandelt wird. Es gibt in anderen Bereichen bereits Vorbilder solcher frei vergebener Zertifizierungen.

Meine Damen und Herren!

Ein fertiges Konzept dieses Präventions-Audits liegt bereits vor. Seither bin ich auf der Suche nach einem unabhängigen Träger eines solchen Audits. – Leider konnte ich trotz einiger vielversprechender Gespräche keinen solchen gesellschaftlichen oder staatlichen Träger finden. Das bedauere ich außerordentlich.

Das hier vorgeschlagene Audit würde eine breite Präventionsarbeit in kirchlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen effektiv, effizient und nachhaltig unterstützen.

In mir lebt die starke Hoffnung, dass dies zeitnah realisiert wird. Ich bitte Sie, wo Ihnen möglich, bereit zu sein, dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen.

Ich begrüße es nachdrücklich, dass in diesen Tagen die Bundesregierung unter Federführung der Bundesfamilienministerin Lisa Paus eine Kampagne gegen Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland startet. Im Hinblick auf den Staat und die politische Verantwortung für Prävention von sexuellem Missbrauch war das längst überfällig!

Auch das ist ein starkes Hoffnungszeichen, dass Kinder besser vor sexuellem Missbrauch geschützt werden.

Kinder - Jugendliche - Junge Erwachsene

In folgendem Abschnitt möchte ich auf Folgen der Covid-Pandemie zu sprechen kommen: Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss bezüglich der Nachwirkungen der Covid19-Pandemie unsere besondere Aufmerksamkeit gelten.

Wie sieht diese Last für die Generation aus, die Verantwortung übernehmen soll und will? – Dass Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie in der Psyche der Jugend dramatische Langzeitspuren hinterlassen, haben verschiedene Studien immer wieder dargelegt. Dass sich gleichzeitig der Blick in die Zukunft unter dem Eindruck von Klimakrise, Krieg und Inflation wird nun zu einer unbequemen Gewissheit. Dass die Wohlstandsjahre in Deutschland vorbei sind, und dass der Verlust von Wohlstand bei jungen Menschen Ängste und Irritationen auslöst, das hat jüngst die aktuelle Trendstudie „Jugend in Deutschland“ gezeigt.

Die Resilienz, die besondere Kraft der Psyche, Belastungen auszuhalten – eine ausgeprägt lebensmutige Haltung – ist erheblich schwächer geworden. Dies ist ein dringendes Warnsignal an unsere Gesellschaft!

Woher nehmen junge Menschen in diesen Zeiten die seelische Kraft, Belastungen auszuhalten und in einer aus geprägt lebensmutigen Haltung zu leben, nicht zu resignieren oder sich zu isolieren? Welchen Grund zu Hoffnung und Zuversicht haben wir jungen Menschen anzubieten?

Ich bin überzeugt: Eine lebendige Beziehung zu Gott, gelebter Glaube, praktizierte Religion, sind große Kraftquellen! Aber gerade in diesem Bereich fällt es der Kirche immer schwerer, junge Menschen zu erreichen.

Sozialer Pflichtdienst oder Freiwilligendienst?

In unserer Gesellschaft beginnt gerade eine Debatte darüber, ob nicht ein Sozialer Pflichtdienst junge Menschen wieder neu für soziales Verhalten sensibilisieren und so Kräfte für den Zusammenhalt freisetzen kann.

Junge Menschen für soziales Verhalten zu sensibilisieren, Sinn für Solidarität und Liebe zum Nächsten zu wecken und so Kräfte für den Zusammenhalt mobilisieren, halte ich für unsere Gesellschaft für überlebensnotwendig. Nicht nur im Blick auf die jungen Menschen, sondern auch in unserem eigenen Interesse – nämlich derer, die wir jetzt Gesellschaft prägen und verantwortlich gestalten.

Als Bischof bin ich dankbar, ein großes Potential von hochqualifizierten und best-ausgebildeten Menschen in unserer Gesellschaft zu sehen. Junge Frauen und Männer, die nicht nur einen Beruf anstreben, sondern ihre Begabungen auch anderweitig, ehrenamtlich einsetzen – im sozialen Bereich, im Klimaschutz, durch ein freiwilliges soziales Jahr oder durch einen weltkirchlichen Friedensdienst, den unser Bischöfliches Jugendamt anbietet.

Die Freiwilligendienste sind herausragende Möglichkeiten, für die Menschen in Gesellschaft und Kirche Verantwortung zu übernehmen.

Die Diözese hat hier interessante Angebote. Die Freiwilligendienste in der Diözese Rottenburg-Stuttgart gemeinnützige GmbH bietet Freiwilligendienste auf der Grundlage christlicher Orientierung für junge Menschen, Erwachsene und Senioren in unserer Region an.

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart engagieren sich jedes Jahr mehr als 1.300 junge Menschen in diesen Freiwilligendiensten, beispielsweise beim Freiwilligen Sozialen Jahr in der Pflege. Ich spreche mich deshalb statt für ein Pflichtjahr nachdrücklich dafür aus, die Freiwilligendienste stark zu machen, ihre Rahmenbedingungen im neuen Jahr zu verbessern und ihnen die Wertschätzung zukommen zu lassen, die ihnen gebührt.

Auch hier gilt: Haben wie eine starke Hoffnung, die bereit ist, dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen!

Friedensglocken für Europa

Von ganz anderer Art eines Zeichens der Hoffnung in diesen unseren Zeiten ist das Projekt „Friedensglocken für Europa“. Auslöser für dieses Projekt war die anlässlich der Renovation des Glockenstuhls im Kirchturm des Rottenburger Doms eher zufällige Entdeckung einer Glocke mit Glockenzier in polnischer Sprache. Wie sich herausstellte, entstammte diese Glocke dem Fundus des im Dritten Reich reichsweit durchgeführten Abhängens von ca. 100.000 Kirchenglocken, um damit Munition und Kriegsgerät herzustellen.

Wir beschlossen die 1940 von den Nazis in Oberschlesien im heutigen Polen aus dem Kirchturm der Kirche von Kleinlandsberg – auf polnisch: Gorzow Slaski – geraubte Glocke an deren Ursprungsort zurückzugeben. Die übergroße Freude der Menschen auf beiden Seiten bei der Rückgabe und dem ersten Wiedererklingen der Glocke in ihrer ursprünglichen Kirche beim gemeinsamen Gottesdienst beeindruckte mich sehr!

Dieses Erlebnis führte zum Entschluss, nach weiteren von den Nazis geraubten und in der Diözese Rottenburg-Stuttgart noch vorhandenen geraubten Glocken zu forschen.

Im vergangenen Jahr haben wir bereits Glocken aus vier Gemeinden in unserer Diözese nach Polen und Tschechien zurückgeführt. In diesem Jahr werden wir das Projekt Friedensglocken für Europa mit zwei Terminen von Glockenrückgaben weiterführen.

Am 24./25. Juni werde ich mit einer Delegation aus der Diözese nach Polen in die Erzdiözese Ermland in die Stadt Fromborg fahren, um dort die aus der dortigen St.-Nikolaus-Kirche geraubte Glocke bei einem feierlichen Gottesdienst der Kirchengemeinde zurückzugeben. Dort wird sie zukünftig als dem Frieden in Europa geweihte Glocke läuten.

Zudem werden drei weitere im Zweiten Weltkrieg geraubte Glocken in die Diözesen Ermland, Elbing und Bromberg zurückgebracht.

Die Rückführung von fünf historischen Glocken nach Ostrau, dem Sitz der Diözese Ostrau-Troppau in Tschechien wird Ende September 2023 stattfinden. Geraubte Glocken kehren zurück und werden zu klingenden Botschafterinnen von Versöhnung. Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass dort, wo starke Hoffnung lebt, Menschen Frieden stiften können.

Das Hoffnungsgeschehen schlechthin: Die Geburt Jesu Christi

Die vielen kleinen und großen Zeichen der Hoffnung, die wir auch erleben, werden noch überwölbt durch das einmalige Hoffnungsgeschehen, das wir am Weihnachtsfest feiern: die Geburt Jesu, des Gotteskindes.

Christen glauben: In der Geburt des Menschen Jesus, in dem Gott wohnte und der zu uns kommt, um unser Leben zu teilen und das verloren geglaubte zu finden und zu retten, ist ein alles veränderndes Hoffnungsgeschehen ins Leben und ins Zusammenleben der Menschen gekommen. In dieser Qualität des Gottesglaubens der christlichen Religion, ihrer Motivations- und Orientierungskraft liegt ein unschätzbares Hoffnungspotential.

In der Weihnachtsgeschichte zeigt sich wie eng die Geschichten damals mit den schlimmen Geschichten von Menschen heute verbunden sind. Das göttliche Kind wird mitten in den menschlichen und allzu menschlichen Bedingungen geboren – wie viele andere Kinder heute auch. Die Weihnachtsgeschichte bezeugt: Gott wird Mensch mit all dem was unser Menschsein ausmacht. Er steht damals wie heute in Jesus Christus uns Menschen nahe und trägt und motiviert uns zur Liebe zum Nächsten.

Liebe Damen und Herren, diese starke Hoffnung hat das Christentum, Menschen zu bieten, immer, aber in diesen unseren Tagen besonders: Gott ist mit uns!

Wer dieses Angebot ergreift, dem wächst selbst ein enormes Hoffnungspotential, eine wirkmächtige Hoffnungsenergie zu. Wer dieses Angebot ergreift und sich zu eigen werden lässt, der wird zum Träger der starken Hoffnung, von der Erich Fromm spricht:

„Wer eine starke Hoffnung hat,
erkennt und liebt alle Zeichen neuen Lebens
und ist jeden Augenblick bereit,
dem, was bereit ist, geboren zu werden,
ans Licht zu helfen.

Wer nur eine schwache Hoffnung hat,
entscheidet sich für das Bequeme oder die Gewalt."

 

Liebe Damen und Herren,

ich wünsche Ihnen eine starke Hoffnung in diesen schweren Zeiten, dass Sie Zeichen neuen Lebens erkennen und lieben und jeden Augenblick bereit sind, dem, was bereit ist, geboren zu werden, ans Licht zu helfen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Jahr 2023!

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