Corona

Ich brauche jemanden zum Reden

Eine ergraute Frau um die 60 stützt ihren Kopf mit der linken Hand und hält mit der rechten ein Telefon ans Ohr. Ihre Augen sind geschlossen. Die Mundpartie kann als Lächeln oder Weinen interpretiert werden.

Symbolbild: Hebi B. auf pixabay.com

Die Telefonseelsorge Oberschwaben-Allgäu-Bodensee stützt während der Pandemie einsame und psychisch belastete Menschen.

Franziska drückt nachdenklich die Tasten des Telefons. 0800/1110111, das ist die Nummer der Telefonseelsorge. Als Geschiedene lebt sie alleine. Franziska leidet unter Multipler Sklerose, der Ex-Mann, ihr Sohn und eine Freundin sind die einzigen Bezugspersonen. Corona hat Franziska noch einsamer gemacht. Sie geht nur selten an die frische Luft, wenn es ihr gesundheitlich etwas besser geht. Dabei hält sie zu allen Menschen großen Abstand. Eine Covid-Infektion wäre für sie tödlich, ist sie überzeugt. Die Frau um die 60 braucht jetzt einfach jemanden zum Reden.

"Telefonseelsorge", meldet sich Alois Nuber am anderen Ende. Der Ehrenamtliche hatte sich an diesem Tag für den Dienst eingetragen und nimmt Franziskas Anruf in den Räumen der Einrichtung entgegen. Für beide Seiten ist Anonymität garantiert, weshalb der Name der Ratsuchenden erfunden und der des Beraters geändert wurde. Als Franziska zu erzählen beginnt, erkennt Nuber ihre Stimme. Der Zufall hatte sie vor einigen Wochen schon einmal zusammengeführt. Damals berichtete die Anruferin, wie sehr es sie belastet, wenn Ex-Mann und Freundin die Lebensmittel nur vor die Tür stellen - ohne direkten Kontakt.

Sie wollte einfach gehört werden

Heute fühlt sich Franziska wieder besonders alleine. Ihre Freundin will sie nicht schon wieder am Telefon belästigen. Nuber hört aufmerksam zu, fragt nach, will verstehen. Sie kommen auch auf die Fernsehsendungen zu sprechen, die die wieder ansteigenden Infektionszahlen der Corona-Pandemie analysieren und diskutieren. Im Gegensatz zu anderen Anrufern sei Franziska zwar seelisch belastet, aber nicht psychisch erkrankt, erklärt Nuber hinterher. "Sie hat auch nicht gejammert, sie wollte einfach nur gehört werden", ergänzt der Seelsorger. Nach über einer Stunde ist Franziskas Redebedarf gestillt. Sie bedankt sich herzlich und legt auf.

Während der Lockdowns fielen viele Beratungsangebote in Präsenz weg. Dafür klingelten die Apparate der Telefonseelsorge Oberschwaben-Allgäu-Bodensee um elf Prozent häufiger als vor der Pandemie, wie die Statistik verrät. Wobei nur wenige Corona als direkten Anlass für den Anruf angaben. "Es war aber der Grundton bei vielen anderen Gesprächen, die ohne Corona ähnlich gelaufen wären", beobachtete Nuber. Fehlende Kontakte, Konflikte in der Familie oder die diffusen Ängste von Menschen mit psychischen Erkrankungen hätten sich in dieser Zeit jedoch verschärft und manche aus der Bahn geworfen.

An den schwierigen Anrufen kann man wachsen

Alois Nuber macht seinen Dienst am Telefon. "Von der 14-jährigen Schülerin bis zur 90-jährigen Oma rufen alle an", beschreibt er den Altersquerschnitt. Jüngere nähmen zunehmend über Chat oder E-Mail Kontakt auf, weiß er. Nuber ist einer von über 95 Ehrenamtlichen, die in der hiesigen Telefonseelsorge mitarbeiten. Für ihn wie für fast alle anderen sei im Frühjahr 2020 klar gewesen, dass sie nach Einführung von Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen weitermachen, obwohl etliche altersmäßig zur Risikogruppe gehören. Die regelmäßigen Supervisionen und Fortbildungen verlagerten sich in dieser Zeit ins Internet und die Telefone wurden beim Dienstwechsel desinfiziert.

Alois Nuber empfindet sein Ehrenamt als sehr sinnvoll. Nach einem Großteil der Gespräche gehe er zufrieden nach Hause. "Und an den schwierigen Anrufen kann man wachsen", fügt er hinzu. Träger der Telefonseelsorge Oberschwaben-Allgäu-Bodensee sind die katholischen Dekanate Allgäu-Oberschwaben, Biberach, Friedrichshafen und Saulgau, die evangelischen Kirchenbezirke Biberach und Ravensburg sowie beratend der evangelische Bezirk Lindau. Der Dienst steht aber allen Menschen offen und die Kirchenzugehörigkeit wird nicht thematisiert. Wer sich für eine Mitarbeit interessiert, kann sich wie Nuber in einem zweijährigen Kurs ausbilden lassen, der im Januar 2022 neu startet.

Mitarbeit bei der Telefonseelsorge Oberschwaben-Allgäu-Bodensee

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