Es riecht nach Holz und Punsch in dem alten Stall in Grimmelfingen bei Ulm, den Martin Mayer zur Werkstatt umgebaut hat. Dort ist es frisch – aber dank des warmen Lichts einiger Lampen trotzdem sehr behaglich. Im Hintergrund läuft entspannte Musik. Auf der Werkbank stehen Holzstücke; Bohrer, Schrauben und Sägen liegen auf Regalen und Ablagen.
Im Herzen der Urne
Etwas Sinnhaftes tun
Mit seiner Schreinerhose voller Sägespäne ist er in seinem Element – trotzdem war das dem Holzkünstler nicht genug. „Irgendwann während meiner Schreinerlehre dachte ich, im Leben muss es mehr geben als Möbel,“ schmunzelt er. Und auch im Holz selbst sieht er mehr, als er in seiner Ausbildung gelernt hat: „Der Schreiner macht Holz symmetrisch. Es hat aber lebendige Formen, kann verrückt und asymmetrisch sein. Und Impulse geben für unsere Zeit und Menschen, die mehr suchen, als was sie in ihrem kleinen Leben finden.“ Darum sei er dann Pfarrer geworden: „Ich wollte etwas Sinnhaftes tun.“
Zum ersten Mal konnte er Holzkunst und Spiritualität als Jugendpfarrer in Rot an der Rot verbinden – für die Gottesdienste der Kar- und Ostertage fertigte er einen neuen Osterleuchter an. Wenig traditionell, dafür mit tiefer Symbolik: Die Osterkerze stand in einer Baumwunde.
Erste Urne für Freundin eines Schülers
Dem Streben nach Sinnhaftigkeit blieb er treu, auch als er 2015 Entlassung aus dem Klerikerstand beantragte, um zu heiraten. Er begann, als Religionslehrer an einer Berufsschule zu arbeiten – dabei brachte ihn ein tragischer Vorfall dazu, sich eingehender mit Urnen zu beschäftigen. Mayer unterhielt sich – wie am Ende jedes Schuljahres – mit jedem seiner Schülerinnen und Schüler einzeln. „Wir sprechen über Noten, aber auch, wie es ihnen in ihrem Leben so geht,“ erzählt Mayer. Einer seiner Schüler offenbarte ihm dabei seine Verzweiflung: „Er sagte: ‚Meine Freundin liegt im Sterben.‘“ Der Schüler fragte ihn, ob er mit ihr sprechen könne, um ihr Trost zu geben. Die junge Frau verstarb schließlich im Herbst 2019. Ihre Familie bat Mayer, die Trauerfeier und eine Urne aus Holz für sie zu gestalten.
„Die Trauer der Familie hat mich sehr berührt. Verbliebene brauchen eine Verbundenheit, eine Hoffnung. Und das gelingt besser mit etwas zum Anfassen, einem fühlbaren Halt.“ Deswegen nahm er das Kernstück des Holzteils, das für die Asche aus dem Holzteil herausgesägt wird – und machte ein Kunstwerk daraus. „Ich habe Apfelholz genommen und das Innere als Herz gestaltet. So kann das Herzstück Teil des Alltags sein.“
Ästhetik wichtig beim Umgang mit Tod und Trauer
Mayer nimmt einen Urnenrohling, der aus dem gleichen Apfelholz gemacht ist. Das Loch hat er schon hineingebohrt – jetzt schleift er das Innere aus, dabei fliegen die Späne. Einige seiner fertigen Urnen stehen auf einer Werkbank daneben. In den geschwungenen Formen sowie den feinen Maserungen und geschliffenen und geölten Holz fällt die Einzigartigkeit des Holzes auf – so einzigartig wie die Menschen, für die sie gemacht sind. Die natürlichen Färbungen unterscheiden sich: die Maserpappel schimmert golden, die Elsbeere rötlich. „Die Ästhetik ist beim Umgang mit Tod und Trauer sehr wichtig,“ findet der 50-Jährige. „Angehörige wollen ihre Verstorbenen so gut wie möglich würdigen. Und mit dem gestalteten Kernstück eine Verbindung spüren.“ Auch die Nachhaltigkeit seiner Materialien tragen zum Gesamtbild bei.
Für die neue Urne rollt er Filz aus, misst es ab und schneidet es, sodass er das Innere des Holzstücks damit auskleiden kann. „So ist es für die Asche weich. Das ist emotional wichtig.“
Umgang mit dem Tod gehört zum Alltag
Sich so viel mit dem Thema Tod zu beschäftigen, ist für ihn nicht immer einfach. „Normalerweise kann ich das mit einem fröhlichen Alltag gut vereinbaren. Wenn ich aber in der Schule als Schulseelsorger gerufen werde – sei es wegen eines Schülers oder eines Kollegen – dann bin ich oft sprachlos.“ Mit seiner Frau spreche er oft über den Tod. „Vielleicht hilft uns das zu akzeptieren, dass es irgendwann mal so sein wird. Und dann vielleicht nicht ganz so weh tut.“
Er prüft, ob der Deckel perfekt sitzt. Insgesamt braucht er für eine Urne zehn bis zwanzig Stunden. Die jetzigen Exemplare kosten zwischen 700 und 1700 Euro, so Mayer: „Ich möchte aber damit anfangen, Urnenmodelle für einen preislich niedrigeren Sektor zu gestalten.“
Warum sich Menschen für eine Urne anstatt eines Sargs entscheiden, hat der Ansicht des Theologen nach, mehrere Gründe: Die religiöse Bindung nehme ab; oft wollten Eltern ihren Kindern keine Arbeit machen. „Zwei ältere Damen sind vor Kurzem auf mich zugekommen. Eine ist Ende achtzig, die andere Mitte neunzig,“ erzählt Mayer. Die eigene Urne aussuchen? Klingt ein bisschen gruselig – hat aber Vorteile: „Sie gestalten das Werk mit. Dann trägt das Holzstück noch mehr Symbolik und ist für die Hinterbliebenen anders mit Leben gefüllt.“
Auch andere Kunstwerke aus Holz
Mayer gestaltet auch andere Kunstwerke aus Holz – viele davon stehen weiter hinten in dem alten Stall. Dort ist es dunkler – nur ein paar Kerzen erleuchten sanft flackernd die hölzernen Stücke. Kleine Kerzenhalter, große ausgehöhlte Bäume mit Lichtern, Weihnachtssterne, Kreuze, Holzteile, die gedreht werden können und Wandlungen einer Beziehung ausdrücken.
Momentan bewegen ihn Urnen aber besonders, sagt er, als er den Rohling aus Holzapfel nochmal in die Hand nimmt: „Mit ihnen kann ich bei einer Trauerrede noch mehr Brücken schlagen und den Menschen etwas geben: Mit meinen Worten, der Symbolik der Form, der Holzauswahl. Das ist etwas Einmaliges.“
Wer sich Martin Mayers Werke selbst ansehen oder ihn kontaktieren möchte, findet mehr auf seiner Webseite. Im Frühjahr wird es auch einige Ausstellungen von ihm geben: Die erste vom 13.2.-25.3. in der Friedenskirche in Neu-Ulm zum Thema „Zwischen Krippe und Grab - fürchte dich nicht!“, eine weitere eröffnet am 1. April im Schnaitheimer Jagdschlösschen. Beim Katholikentag in Stuttgart können Sie einige seiner Kunstwerke im Bereich „Schulpastoral“ im Mädchengymnasium St. Agnes zum Thema „Tod und Trauer im Lebensraum Schule“ ansehen.