Randale

"In unvorstellbarer Weise eskaliert"

Am Samstagabend kam es in der Stuttgarter Innenstadt zu heftigen Ausschreitungen. In einem Interview äußert sich Stadtdekan Christian Hermes dazu. Foto: Stadtdekanat Stuttgart

Foto: Stadtdekanat Stuttgart/Nordmann

Am Samstagabend kam es in der Stuttgarter Innenstadt zu heftigen Ausschreitungen. In einem Interview äußert sich Stadtdekan Christian Hermes dazu.

Herr Hermes, Sie leben als katholischer Stadtdekan und Pfarrer von St. Eberhard direkt an der Königstraße in Stuttgart. Wie haben sie die Randale in der Nacht zum Sonntag erlebt?

Die Sommernächte in Stuttgart sind immer laut, aufgeheizt, voller Krach, Alkohol und Gewalt. Und es ist in der Tat so, dass ich am Wochenende nur mit Gehörschutz überhaupt schlafen kann. Insofern habe ich nur gehört, da sind Geräusche draußen. Ich war geschockt, als ich morgens die Nachrichten gehört und dann gesehen habe, wie die Innenstadt aussieht. Unvorstellbar. Wie viele andere auch, konnte ich mit bis dato nicht vorstellen, dass ein solcher Mob so ausrastet, einen Teil der Innenstadt kleinschlägt und Läden plündert.

Haben die Domkirche und das Haus der Katholischen Kirche was abgekriegt?

Wir haben Glück gehabt. Es lagen vor der Domkirche auch Pflastersteine herum und es gab eine wirklich beunruhigende Blutspur auf der Straße am Haus der Katholischen Kirche vorbei. Wir hatten nicht nur in Silvesternächten Vandalismus an der Kirche und am Haus, aber dieses Mal haben wir keine Treffer abbekommen.

Was fordern sie, damit solche Ausschreitungen nicht nochmal passieren?

Naja, wir haben ja schon seit vielen Jahren ein Problem mit einer Partyszene, die sich am Wochenende im Schlossgarten und rund um den Schlossplatz versammelt, um einen drauf zu machen. Damit sind ausdrücklich nicht die Clubs gemeint, die jetzt von manchen fälschlich an den Pranger gestellt werden.

Was für Leute sind das?

Das sind junge Menschen aus Stuttgart und dem weiteren Umkreis, junge Männer, die Mädchen beeindrucken wollen, die sich hier versammeln und Saufgelage und Müllorgien veranstalten. Viele Tonnen Müll muss die Stadtreinigung jedes Mal zusammensammeln, und an jedem Wochenende sieht es aus wie die Sau. Ich wundere mich ein bisschen, wenn Kommunalpolitiker jetzt von dem fast mediterranen Flair schwärmen, der im Schlossgarten an Sommernächten herrsche. Wer sowas sagt, der war offenbar schon lange nicht mehr da.

Das Problem ist also bekannt?

Wir haben hier einen Kriminalitäts-Hotspot. Das kann man auch in den Statistiken der Polizei nachlesen. Wir haben in der Innenstadt sehr viele Alkohol- und Drogendelikte, Eigentumsdelikte, gewaltsame Übergriffe – und jetzt ist die Situation aus vielen verschiedenen Gründen in einer Weise eskaliert, die nicht zu erwarten war, aber die eben auch nicht aus dem Nichts kommt.

Wie lässt sich da gegensteuern?

Meine Forderung wäre, dass wir jetzt wirklich nochmal deutlich machen, welche Regeln hier gelten, was Party in Stuttgart bedeutet – und was es nicht bedeuten kann. Es sind alle willkommen, die den Frieden und das gute Zusammenleben schätzen, auf das wir in Stuttgart zu Recht stolz sind. Es ist uns völlig wurscht, ob ein Mensch aus Balingen oder aus Afghanistan kommt. Wir sind stolz darauf, dass Integration und friedliches Zusammenleben in Stuttgart seit vielen Jahrzehnten gut gelingt und wir lassen uns dies von ein paar aufgeheizten Halbstarken nicht kaputtmachen.

Was kann man Ihrer Meinung nach konkret machen?

Politik und Sicherheitskräfte müssen jetzt einen Weg finden, Ausschreitungen zu unterbinden, das ist deren Zuständigkeit. Allein polizeiliche Präsenz wird aber nicht ausreichen, es gehört auch ein großes Bündel sozialpädagogischer begleitender Maßnahmen dazu. Ich frage mich: Was haben diese Leute eigentlich für eine Erziehung genossen? Woher rührt dieses Machogehabe? Was ist denn da im Elternhaus schiefgelaufen? Was läuft falsch im Kopf, dass Menschen in einem solchen Hass auf Polizisten losgehen und wahllos Geschäfte verwüsten? 

Sie denken an einen ganzheitlichen Lösungsansatz?

Solche Gewaltausbrüche sind ein größeres gesellschaftliches Problem. Man kann nicht davon ausgehen, mit einfachen Maßnahmen morgen alles wieder in den Griff zu bekommen. Repression allein ist auch keine Lösung. Es braucht ganzheitlichere Ansätze, aber das sage ich nun seit vielen Jahren. Und deshalb bitte ich auch darum, dass die Politik jetzt nicht so überrascht tut. Wenn man über Jahre hinweg zulässt, dass jedes Wochenende Sauf- und Lärmorgien stattfinden, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Gleichgültigkeit gegenüber einem öffentlichen Raum zunimmt – und damit auch die Bereitschaft, weitergehende Straftaten zu begehen.

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