MED kompakt, Medizinethischer Informationsdienst Nr. 03/28.03.2008, S. 1-6.
Unzulässiger Kompromiss
Bioethik-Experte Bischof Fürst fordert Ende des Imports embryonaler Stammzellen
Wenige Tage vor der für den 11. April vorgesehenen Abstimmung über eine Novellierung des Stammzellgesetzes hat der Bioethik-Experte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Gebhard Fürst, ein Ende des Imports embryonaler Stammzellen gefordert.
„Menschliches Leben, gerade auch embryonales Leben, darf niemals in irgendwelchen Güterabwägungen zur Disposition gestellt werden“, sagte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Interview mit MED kompakt. Für die embryonale Stammzellforschung aber würden embryonale Menschen getötet. „Meine Kritik im Zusammenhang mit der Stichtagsregelung richtet sich daran, dass Embryonen überhaupt erzeugt werden, um dann der Reproduktionsmedizin und der embryonalen Stammzellenforschung zur Verfügung zu stehen“, sagte Fürst. Es werde auf Dauer auch nicht bei der Verschiebung des Stichtages zum Import embryonaler Stammzellen bleiben. „Und das heißt ja, dass die Erzeugung embryonaler Menschen im Ausland geradezu provoziert und gefördert wird, um die Forschungs- und Wirtschaftsinteressen hierzulande zu befriedigen.“
Der Bischof widersprach entschieden dem Eindruck, dass die katholischen Kirche bei gesellschaftspolitisch relevanten Themen wie Stammzellenforschung an Bedeutung verliere. Er verkenne allerdings nicht den heutigen Wertepluralismus und die wirtschaftlichen Interessen im Hintergrund der Stammzelldiskussion. „Das macht die Rolle der Kirchen schwieriger. Und Politik muss auch kompromissfähig sein – die entscheidende Frage ist, wo Kompromisse unzulässig werden“, sagte Fürst.
„Der Zweck darf nicht alle Mittel heiligen“
Interview mit Bischof Dr. Gebhard Fürst zur möglichen Änderung des Stammzellgesetzes und zur gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen
MED kompakt: Im Deutschen Bundestag werden derzeit zwei Themen diskutiert, die ethische Fragen am Anfang und am Ende des menschlichen Lebens aufwerfen. Diskutiert wird über eine Novellierung des Stammzellgesetzes und eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen. Wir haben den Eindruck, dass die Haltung der katholischen Kirche in beiden Fragen zwar zur Kenntnis genommen wird, aber offensichtlich nicht die Mehrheit der Abgeordneten zu überzeugen vermag. Verliert die Kirche an Bedeutung bei gesellschaftspolitisch relevanten Themen?
Bischof Dr. Gebhard Fürst: Nein, dem widerspreche ich entschieden. Die christlichen Kirchen betrachten den Menschen als Ebenbild Gottes – unverfügbar, mit einer nicht zu überbietenden personalen Würde. Dieses Menschenbild ist die Wurzel abendländischer Humanität. Und es muss für eine Gesellschaft und eine Politik normativ sein, die den Anspruch auf Humanität erheben. Dies wird umso wichtiger, je mehr eine rein materialistische Sicht des Menschen und des Lebens Geltung beansprucht. Ich verkenne allerdings nicht den heutigen Wertepluralismus und die wirtschaftlichen Interessen im Hintergrund der Stammzellendiskussion. Das macht die Rolle der Kirchen schwieriger. Und Politik muss auch kompromissfähig sein – die entscheidende Frage ist, wo Kompromisse unzulässig werden.
MED kompakt: Horst Seehofer hat in der Debatte über eine Änderung des Stammzellgesetzes am 14. Februar gesagt, dass in der Frage des Umgangs mit menschlichen Embryonen nur die katholische Kirche in sich schlüssig argumentiere. Trotzdem kommt auch er – wie viele andere kirchlich gebundene Abgeordnete – zu dem Schluss, dass die Grundlagenforschung an embryonalen Stammzellen notwendig ist, um heute noch nicht beherrschbare oder nicht heilbare Krankheiten überwinden zu können. Ist diese Ethik des Heilens unethisch?
Bischof Fürst: Selbstverständlich ist eine Ethik des Heilens nicht unethisch, dies zu behaupten wäre unmenschlich und absurd. Aber sie darf auch nicht verabsolutiert werden. In dem Wort „heilen“ steckt das Wort „Heil“. Eine Ethik des Heilens wird „heillos“, wenn medizinische Fortschritte dadurch erzielt werden, dass nicht einwilligungsfähige Menschen instrumentalisiert, geschädigt oder gar getötet werden. Das ist bei der embryonalen Stammzellenforschung der Fall, wo embryonale Menschen „verbraucht“, getötet werden – um medizinischer Heilsversprechen willen, deren Realitätswert übrigens durchaus nicht zweifelsfrei ist. Aber selbst wenn solche Zweifel nicht bestünden: Menschliches Leben, gerade auch embryonales menschliches Leben, darf niemals in irgendwelchen Güterabwägungen zur Disposition gestellt werden.
MED kompakt: Vor 30 Jahren kam Louise Brown auf die Welt. Sie ist der erste Mensch, der durch extrakorporale Befruchtung im Reagenzglas entstand. Seitdem sind weltweit etwa dreieinhalb Millionen Menschen auf diese Weise gezeugt worden. Vielen Ehepaaren konnte geholfen werden. Warum halten Sie die Methode der assistierten Reproduktion dennoch für einen Sündenfall?
Bischof Fürst: Der Zweck darf nicht alle Mittel heiligen, sei er noch so ehrenhaft und für Menschen hilfreich. Bei der extrakorporalen Befruchtung werden überzählige Embryonen erzeugt, die nicht benötigt werden. Sie werden kryokonserviert oder – gegen alle gesetzlichen Bestimmungen und trotz aller Beteuerungen – auch vernichtet. Die Zerstörung embryonaler Menschen wird von vornherein systematisch in Kauf genommen. Das ist der Sündenfall. Ich frage allerdings auch, was wir uns als Menschen letztlich antun, wenn der wunderbare Zusammenhang von Zeugung und Weitergabe neuen Lebens auf einen technischen Prozess reduziert wird; wenn Retortenbabys im Extremfall bis zu fünf Elternteile haben können – mit allen späteren menschlichen Problemen. Ich frage mich, warum nicht das Adoptionsrecht reformiert wird, um lebenden Kindern zu Eltern zu verhelfen. Stattdessen werden auf technischem Wege für kinderlose Erwachsene Kinder produziert.
MED kompakt: Bei der assistierten Reproduktion bleiben Embryonen übrig, die für eine Übertragung in die Gebärmutter nicht mehr gebraucht werden. Was spricht dagegen, diese Embryonen für die Stammzellforschung zu nutzen, wenn sie ohnehin dem Sterben anheim fallen?
Bischof Fürst: Diese Frage impliziert eine Verkehrung der Zusammenhänge. Meine Kritik im Zusammenhang mit der Stichtagsregelung richtet sich ja daran, dass Embryonen überhaupt erzeugt werden, um dann der Reproduktionsmedizin und der embryonalen Stammzellenforschung zur Verfügung zu stehen. Die Stichtagsregelung für den Stammzellenimport ging von dem Sachverhalt aus, der in dieser Frage enthalten ist. In der jetzigen Diskussion wird aber deutlich, dass von Seiten bestimmter Vertreter der Forschung gefordert wird, dass der Import überhaupt fortgesetzt wird. Es wird nicht bei der Verschiebung bleiben, dessen bin ich mir sicher. Und das heißt ja, dass die Erzeugung embryonaler Menschen im Ausland geradezu provoziert und gefördert wird, um die Forschungs- und Wirtschaftsinteressen hierzulande zu befriedigen.
MED kompakt: Angenommen die Forschung an embryonalen Stammzellen würde eines Tages zur Entwicklung von Therapien heute nicht heilbarer Krankheiten wie Morbus Alzheimer und Parkinson führen. Wie sollte ein aufrechter Katholik mit den Erfolgen dieser Forschung umgehen?
Bischof Fürst: Das ist eine sophistische Frage; jede Antwort kann nur in Aporien führen. Dennoch: Ein aufrechter Katholik sollte wie jeder aufrechte Mensch seinen tiefsten Gewissensüberzeugungen treu bleiben. Dürfen auf unethische Weise zustande gekommene Heilmittel angewandt werden? Darf ich einen Nutzen aus einer bösen Tat ziehen? Das ist doch die Frage. Verlassen wir die Ebene der Annahmen und halten uns an die Fakten: Die Heilungsversprechungen haben sich bis heute nicht bewahrheitet. Auch viele seriöse Fachwissenschaftler sind skeptisch. Andererseits hat der restriktive Embryonenschutzgesetz in Deutschland dazu geführt, dass in der Forschung mit adulten Stammzellen inzwischen beträchtliche Fortschritte erzielt worden sind. Ich werde auch von Molekularbiologen und Medizinern in meiner entschiedenen Forderung bestätigt, alle Anstrengungen auf diesen Forschungsbereich zu richten – mit großer Aussicht auf Erfolge, und ohne embryonale Menschen töten zu müssen.
MED kompakt: Wenn wir Sie richtig verstanden haben, beginnt aus Ihrer Sicht das volle Menschsein bereits mit der Verschmelzung von Samen und Eizelle und nicht erst mit der Nidation, wie es andere Auffassungen nahelegen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ist diese Ansicht aber auch in der katholischen Theologie nicht unumstritten gewesen. So hat der bedeutende katholische Theologe Karl Rahner 1962 ausgeführt: „Auch aus dogmatischen Definitionen der Kirche ist nicht zu entnehmen, dass es gegen den Glauben wäre, wenn man annähme, dass der Sprung in die Geist-Person erst im Lauf der Entwicklung des Embryo geschieht.“ Was spricht dagegen, die Einnistung in die Gebärmutter als Akt der Beseelung des Embryos zu begreifen?
Bischof Fürst: Ich verehre Karl Rahner als einen der größten Theologen des 20. Jahrhunderts. Wenn ich das Zitat aus dem Jahr 1962 richtig lese, dann stellt er keine These auf, sondern sieht lediglich in den lehramtlichen Äußerungen der Kirche keinen Anhaltspunkt für eine entsprechende Festlegung. Das mag sein. Wissenschaftlich ist es heute unbestritten, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein Mensch in der Gesamtheit seiner individuellen genetischen Ausgestaltung entstanden ist. Ein einmaliges Individuum. Ein embryonaler Mensch. Eine Person im Werden. Jeder andere für das Entstehen eines personalen Menschen festgelegte Zeitpunkt ist willkürlich und kann beliebig zur Disposition gestellt werden.
MED kompakt: Wenden wir uns noch den medizinischen Möglichkeiten am Lebensende und der Selbstbestimmung durch Patientenverfügungen zu. Teilen Sie die Einschätzung in dem Gesetzentwurf von Joachim Stünker und 200 Abgeordneten aus SPD, FDP, Linken und Grünen, dass viele Menschen fürchten, „ohne Möglichkeit der Einflussnahme einem hochtechnisierten und unpersönlichen Gesundheitsbetrieb ausgeliefert zu sein, indem der Sieg über den Tod ungeachtet der Qualität des erhaltenen Lebens als Ziel definiert wird“?
Bischof Fürst: Ja, ich teile diese Einschätzung. Die Möglichkeiten einer hoch entwickelten Medizin haben schon lange den von Rilke formulierten Wunsch nach einem von Gott geschenkten „eigenen Tod“ außer Kraft gesetzt.
MED kompakt: Welche Folgerung ist daraus zu ziehen?
Bischof Fürst: Die Entscheidung, bei einer tödlich verlau-fenden Erkrankung im Endstadium keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr vornehmen zu lassen, ist ethisch unbedenklich und menschlich zu respektieren – obwohl immer ein ärztlicher und menschlicher Raum der Gewissensentscheidung bleibt. Ungleich schwieriger ist es, wenn ein Mensch von einem für ihn unerträglichen Leiden erlöst werden will, obwohl dieses aktuell noch nicht zum Tod führt. Ich will die Tragik solcher Situationen keinesfalls gering reden. Darüber mag Gott allein urteilen. Die kommerzielle Ausbeutung solcher Leidenssituationen verurteile ich aber strikt. Ich fordere einen verstärkten Ausbau der Palliativmedizin, um unnötiges Leiden zu verhindern. Und ich fordere und fördere eine Intensivierung der Hospizarbeit, damit moribunden Menschen ein würdiges und möglichst leidensfreies Lebensende ermöglicht wird. Und ich frage, ob wir nicht menschlich verarmen, wenn wir Leiden und Hinfälligkeit nicht mehr als Bestandteile unserer Geschöpflichkeit annehmen können.
MED kompakt: Brauchen wir überhaupt ein Gesetz zur Regelung von Patientenverfügungen?
Bischof Fürst: Ich denke ja. Menschen müssen darauf vertrauen können, dass ihr letzter Wille im Hinblick auf ihr Sterben nicht missachtet und der Willkür anderer preisgegeben wird, wenn sie selbst nicht mehr entscheiden können. Es ist auch für Ärzte wichtig, dass sie sich in solch schwierigen Situationen auf eine gewisse Rechtssicherheit verlassen können. Allerdings bedarf es sorgfältiger Überprüfungsregelungen, um im Ernstfall größtmögliche Sicherheit bezüglich dieser Verfügung zu haben. Ich befürworte dabei vor allem den Weg, eine Vorsorgevollmacht für eine Person des Vertrauens auszustellen, damit diese schwerwiegenden Entscheidungen nicht auf einen Aktenvorgang reduziert werden, sondern in personaler Verantwortung bleiben. Kein Gesetz der Welt wird etwas daran ändern können, dass Menschen bei solch extremen Fragen immer auf ihr Gewissen zurück verwiesen sind. Das ist belastend. Aber es ist auch ein Ausdruck der Menschenwürde.