Martin Roth ist Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Militärseelsorger bei der Bundeswehr in Rostock. Im Interview zum Thema "Trauer" berichtet er, wie ihm diese bei seinem Dienst für die Soldatinnen und Soldaten begegnet, welche Besonderheiten es bei der Militärseelsorge gibt und wie er deren Rolle in den kommenden Jahren sieht.
Herr Roth, Sie sind katholischer Militärdekan in Rostock und stammen aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Wie ist heute noch Ihre Verbindung in den Süden?
Dank der sozialen Medien fühle ich mich einigermaßen über das Geschehen in der Diözese informiert. Bei drs.de schaue ich regelmäßig vorbei. Wegen der Entfernung zur Ostsee besuche ich nur alle paar Monate mal meine Heimat in Oberschwaben.
Wann geht es in Ihrer Arbeit für die Bundeswehr konkret um die Bewältigung von Trauer?
Immer wieder kommen Soldaten im Inland zu Tode, zum Beispiel durch Krankheit oder Unfälle. Wenn gewünscht, stehen wir Seelsorger den Angehörigen bei. Am Standort findet in aller Regel ein Gedenkappell statt, zu dem wir angefragt sind. Das gilt auch für die Auslandseinsatzgebiete der Bundeswehr. Bei einem Todesfall im Kosovo haben wir abends spontan ein Gebet angeboten. Es gab keine freien Plätze im Andachtsraum mehr.
Und wie können Sie dann helfen?
Rituale helfen, sich in besonderen Situationen zu verhalten. Ich denke da auch an unsere kirchlichen Gräberbesuche an Allerheiligen oder unser Gedenken am Volkstrauertag. In Mazar-e Sharif in Afghanistan habe ich erlebt, wie wichtig es den Soldaten war, sich zum Jahrestag eines Gefallenen gemeinsam am Ehrenhain zu versammeln.
An welcher Stelle würden Sie das Thema ‚Trauerarbeit‘ verorten, wenn es danach geht, ihre Aufgaben der Nachfrage entsprechend zu sortieren?
Wenn Soldaten ein Gespräch mit mir suchen, geht es auch um dieses Thema ‚Trauer‘. Sei es, dass ein Angehöriger verstorben ist, oder auch Trauer mehr im übertragenen Sinn: etwa um den Verlust einer Beziehung.
Beim Thema ‚Trauer‘ kommt als erstes der Verlust eines Menschen in den Sinn. Gibt es in Ihrer Tätigkeit noch andere Zusammenhänge, in denen Ihnen ‚Trauer‘ begegnet? Einen Bereich nannten Sie ja eben schon.
Ja. Lebensziele, privat oder beruflich, können sich unerwartet auflösen. Es kann sehr schwer werden, wenn eine Beziehung zerbricht. Oder wenn eine Erkrankung verhindert, dass ein junger Soldat weiterhin aktiver Fallschirmjäger sein kann.
Und wie können Sie dann reagieren?
Da unterscheidet sich die Militärseelsorge nicht von der Seelsorge etwa in den Gemeinden. Die ratsuchende Person darf erzählen und wir versuchen, durch aktives Zuhören beizustehen. Schon diese Erfahrung ist für viele eine Erleichterung. Wenn ein Soldat es wünscht, begleite ich ihn bei einem schwierigen Gespräch, etwa mit dem Kompaniechef.
Welche Rolle spielt der Glaube aus Ihrer Sicht im Aufbau einer Gemeinschaft bei der Bundeswehr, und wie kann er in schwierigen Momenten Halt geben?
Die Mehrzahl der Soldaten in Mecklenburg-Vorpommern gehört keiner Religion an. Es ist nicht selten, dass ein Soldat fragt: ‚Ich bin nicht in der Kirche. Darf ich trotzdem mit ihnen reden?‘ ‚Ja, gerne!‘, antworte ich dann. Unser Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck hat es kürzlich so formuliert: ‚Seelsorge in der Bundeswehr ist für uns das Angebot einer Seelsorge an alle, die mit uns in Kontakt treten wollen und die erfahren wollen, dass uns jede und jeder willkommen ist.‘ Ich bin überzeugt, dass der Glaube uns dafür Hoffnung und Zuversicht gibt.
Sie waren dieses Jahr im Einsatz im Libanon, einem Krisen- und Kriegsgebiet. Spielte Trauerarbeit dort eine besondere Rolle und falls ja, unter welchen Gesichtspunkten?
Von Juni bis August 2024 war ich zum zweiten Mal als Militärseelsorger im UNIFIL-Hauptquartier in Naqoura. Der Ort liegt direkt an der Grenze zu Israel. Die Hisbollah führte täglich Angriffe auf Israel durch, etwa mit Raketen. Und Israel antwortete mit gezielten Luftschlägen. Es war schon bedrückend zu erleben, dass die jahrelange Präsenz von Tausenden in der UN-Mission UNIFIL nicht dauerhaft Spannungen in der Region abbauen konnte. Das ist auch Trauerarbeit. Im Oktober begann dann der Bodenkrieg.
Was sind ganz generell die Besonderheiten, die es für Sie bei der Seelsorge für Trauernde gegenüber dem zivilen Bereich zu beachten gibt?
Weite Entfernungen und Trennungen. Im Auslandseinsatz ist ein Soldat über Monate nicht mit Angehörigen zusammen. Das Internet funktioniert gut in den Feldlagern. Bei der Marine mitten auf dem Meer natürlich nur eingeschränkt. Soziale Medien können nicht dauerhaft persönliche Kontakte ersetzen. Im Inland sind viele Soldaten Wochenendpendler. Von Montag bis Freitag arbeiten und leben sie am Standort. Das Wochenende fahren sie mitunter hunderte Kilometer.
Arbeiten Sie auch mit Angehörigen anderen Konfessionen zusammen beziehungsweise stehen Sie auch Ihnen bei Trauer oder Verlust bei?
Ja, wir arbeiten auch mit der evangelischen und der jüdischen Seelsorge zusammen. Wir wechseln uns in den Begleitungen der Auslandseinsätze ab. Alle Bundeswehr-Angehörigen könne sich an uns wenden. In den Einsatzgebieten treffen wir auch Seelsorger anderer Nationen. In Mali etwa kam ein spanischer Soldat bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Bei der Trauerfeier in Koulikoro haben auch wir Deutsche teilgenommen, und ich stand bei meinem spanischen Kollegen.
Welche Unterschiede in der Bewältigung von Trauer nehmen Sie generell wahr?
Das ist schwer in Worte zu fassen. Es ist anders, ob ein Angehöriger stirbt oder etwa ein Kamerad im Auslandseinsatz gefallen ist. Trauerrituale, wie auch der Umgang mit dem Tod, ändern sich. Das ist keine Besonderheit innerhalb der Bundeswehr, sondern eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung.
Inwieweit ist es in einer militärischen Organisation überhaupt möglich, der Bewältigung von Trauer den ihr gebührenden Platz zu geben?
Eine spanische militärische Trauerzeremonie finde ich emotional. Jede Armee hat eigene entsprechende Rituale, etwa dass Soldaten den Sarg des Verstorbenen tragen. Gerade in einer Armee wird der Trauerbewältigung ausreichend Platz eingeräumt. Ich denke da auch an den Wald der Erinnerung bei Potsdam.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Rolle der Militärseelsorge in den kommenden Jahren, und welche Impulse möchten Sie selbst in Ihrer Arbeit setzen?
Militärbischof Dr. Overbeck betont immer wieder: ‚Die Militärseelsorge ist da, wo die Soldatinnen und Soldat sind.‘ In den vergangenen Jahren haben wir viele Einsatzgebiete der Bundeswehr und Schiffe der Marine seelsorglich begleitet. Wir sehen zurzeit, dass ein Angriff auf Nato-Länder in Europa nicht nur ein militärstrategisches Gedankenspiel ist, sondern zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Das übt auch die Bundeswehr. Eine Brigade wird in Litauen stationiert werden. Da werden sich auch viele ethische Fragen stellen. Wir werden dort im Land ein eigenes katholisches Pfarramt errichten.
Die wachsende Zahl bewaffnet ausgetragener Konflikte, die durch den Bundeskanzler nach dem Angriffs Russlands auf die Ukraine ausgerufene ‚Zeitenwende‘, steigende Verteidigungsausgaben oder auch die Forderung des Bundesverteidigungsministers nach „Kriegstüchtigkeit“ verändern die Bundeswehr und ihre Aufgaben. Wie beeinflusst all das Ihre Aufgaben als Seelsorger und macht Sie diese Entwicklung, die auch viele Ängste weckt, selbst traurig?
Die Aufgaben der Bundeswehr werden größer. Wann kann der Einsatz militärischer Gewalt gerechtfertigt sein? Und wie kann ein gerechter Friede erreicht werden? Das alles ist momentan kaum zu beantworten. Soldaten jeden Alters beschäftigen sich mit diesen Fragen. Und wie stellen wir uns als Seelsorger in dieser Situation auf? Manche Fragestellungen erinnern mich an die 80-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im geteilten Deutschland. Ja, jede Veränderung ist auch ein Trauerprozess und macht auch mich traurig.