Inzwischen ist der 24-Jährige auch Mitglied im Kirchengemeinderat der katholischen Gemeinde im Stuttgarter Westen. „Für die Menschen, mit denen ich in der Gemeinde zu tun habe, war die Veränderung meines Geschlechts kein Problem. Ich habe mich bei den Ministranten und auch im Kirchengemeinderat immer gut aufgehoben gefühlt“, sagt Jonas Müller.
Für Jonas Müller war es ein längerer Prozess: Nach dem Coming-out zuhause und gegenüber seinen engsten Freunden kam 2018 das Coming-out in der Gruppe der Oberministranten. „Es ging nicht mehr anders. Für einige meiner engsten Freunde war ich zuhause schon Jonas und in der Ministrantengruppe noch Laura.“ Deshalb weihte der Stuttgarter zunächst die anderen Oberministrantinnen und –ministranten und den Pfarrer ein und dann bei einem Ausflug auch die jüngeren Mädchen und Jungen.
Gemeinschaft war wie ein sicherer Hafen
„Die Kinder waren kurz überrascht, haben nach dem Grund gefragt und dann war es kein Thema mehr“, erzählt Jonas Müller. Natürlich habe es eine Weile gedauert, bis keinem mehr die Anrede mit Laura herausgerutscht sei. „Aber ich habe ja selber auch eine Weile gebraucht, meine Veränderung anzunehmen. Klar, dass dann andere auch Zeit brauchen.“
Die Kirche und vor allem die Gemeinschaft der Ministrantinnen und Ministranten waren für Jonas Müller all die Jahre wie eine Familie, ein sicherer Hafen, wenn es in seiner eigenen Familie schwierig war. Im Kreis der Ministranten konnte er über seine Transgeschlechtlichkeit offen sprechen, über die Hormontherapien und die Veränderungen an seinem Körper und in seinem Leben. „Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich diese Gemeinschaft nicht gehabt hätte.“
Ich hatte immer die Gewissheit,
dass es gut ist, wie Gott mich geschaffen hat.
Jonas Müller
Wie aber passen die Erfahrungen von Jonas Müller mit der engen Sexualmoral der katholischen Kirche zusammen? „Entscheidend war für mich immer, wie werde ich behandelt und aufgenommen und nicht, was steht im kanonischen Kirchenrecht. Und meine Erfahrungen in St. Elisabeth sind positiv, auch als ich vor zwei Jahren in den Kirchengemeinderat gewählt worden bin“, so der 24-Jährige, der jetzt vor allem die Belange der Jugendlichen in das Gremium einbringt. Gerade in schwierigen Zeiten hat sein Glaube ihm immer geholfen: „Ich hatte immer die Gewissheit, dass es gut ist, wie Gott mich geschaffen hat.“
Bei den Ministranten ist Jonas Müller weiterhin dabei, auch wenn er im Sonntagsgottesdienst nicht mehr so oft ministriert. Mit Bedauern stellt er fest, dass die Gruppe nach mehr als zwei Jahren Corona stark ausgedünnt ist. „Dadurch, dass im vergangenen Jahr die Erstkommunionvorbereitung nur online stattfinden konnte und es keine Präsenztreffen gab, in denen wir uns vorstellen konnten, kamen nur zwei neue Ministranten dazu, in einem normalen Jahr sind es 15.“
Pfarrer Laub ist glücklich über die Offenheit der Gemeinde
Jonas Müller weiß auch, dass sich die negativen Schlagzeilen der vergangenen Monate auswirken. „Natürlich gibt es Eltern, die ihre Kinder nicht mehr in die Ministrantengruppe schicken.“ Jonas Müller und seine Freunde aber wollen weitermachen. Freitags mit den Gruppenstunden, mit den regelmäßigen Ausflügen und auch mit der längeren Freizeit einmal im Jahr. Werner Laub, stellvertretender Stadtdekan und leitender Pfarrer der Gesamtkirchengemeinde Stuttgart-West, ist froh über das Engagement des jungen Mannes und er ist auch glücklich über die Offenheit der Gemeinde. „Es hat schon seinen Grund, warum wir die Regenbogenflagge aufhängen.“
Einen Bereich aber gibt es, in dem sich Jonas Müller klar von der Kirche abgrenzt. Der 24-Jährige ist mit Überzeugung und Engagement Jugend- und Heimerzieher in einer Wohngruppe in den Neckarvororten. „Für mich mit meiner Transidentität ist klar, dass ich nicht bei einem kirchlichen Arbeitgeber beschäftigt sein möchte. Die damit verbundenen Unsicherheiten sind viel zu groß. Die katholische Kirche muss dringend ihr Dienstrecht ändern.“