Dieses Jahr bringt der erste Advent nicht nur ein neues Kirchenjahr, sondern auch einen neuen Bischof. Bevor sich Klaus Krämer vor der Bischofsweihe für einige Tage in ein Kloster zurückzieht, um sich auf die Weihe vorzubereiten, hatte er noch Zeit, mit „berufen“ zu sprechen, dem Magazin des Päpstlichen Werks für Geistliche Berufe in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Als „berufen“-Autor Felix Maier im vergangenen Sommer den Termin für das Interview mit Prälat Krämer vereinbarte, ahnte er noch nicht, dass er eines der ersten Interviews mit dem neuen Bischof führen würde.
Herr Prälat Krämer, zuallererst: Wie spricht man Sie in dieser Zwischenzeit zwischen Bischofsernennung und Bischofsweihe eigentlich korrekt an?
Bis zur Übernahme des neuen Amts bleibt alles so wie bisher.
Zwischen Ihrer Wahl zum Bischof und der Bekanntgabe lagen fast zwei Wochen. Wie erging es Ihnen in diesen Tagen? Es drang ja keinerlei Information an die Öffentlichkeit…
Das war in der Tat eine ganz besondere Zeit – auf der einen Seite lag darin eine gewisse Spannung, auf der anderen war es auch eine geschützte Zeit der Ruhe vor dem Sturm.
Verraten Sie, wer die erste Person war, der Sie die Neuigkeit persönlich überbracht haben?
Als erstem habe ich es meinem Vater gesagt, der da gerade auf der Intensivstation im Stuttgarter Marienhospital lag.
Im Nachgang zur Bekanntgabe im Rottenburger Dom stand Ihr Handy im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ein ungewollter Gimmick, oder?
Manche haben gemutmaßt, es sei eine geschickte Inszenierung gewesen. Ich hatte aber in der Hektik schlicht vergessen, das Handy aus meiner Jackentasche zu nehmen. Und dann machte es aufgrund der vielen gleichzeitigen Nachrichten Geräusche, die ich so auch noch nicht kannte.
Mit „einer etwas zitternden Stimme“ haben Sie die Wahl zum Bischof angenommen. Gibt es etwas, das Ihnen mit Blick auf das neue Amt besonders Sorge bereitet?
Ich erahne die Größe der Herausforderungen und weiß natürlich um die Begrenztheit meiner Kräfte und Möglichkeiten …. das hat mich in diesem besonderen Augenblick auch mit einer gewissen Demut erfüllt.
…und besondere Freude oder Gelassenheit?
Mit Freude hat mich die unerwartet große Zustimmung erfüllt und die Erfahrung, dass mir sehr viele ihre Unterstützung und ihr Gebet zugesagt haben.
Wie haben Sie die Diözese in der Vakanz, also der Zeit ohne Bischof, erlebt? Nehmen Sie Aufbruchsstimmung wahr?
Zunächst ist eine Vakanz natürlich eine Zeit des Wartens, in der wichtige und zukunftsweisende Entscheidungen aus gutem Grund nicht fallen können. Und doch gehen viele Dinge weiter. In den zurückliegenden Wochen haben wir das Projekt „Räume für eine Kirche der Zukunft“ mit neun Regionalkonferenzen in verschiedenen Regionen unserer Diözese begonnen. In den Workshops habe ich eine große Bereitschaft gespürt, sich den nicht geringen Herausforderungen zu stellen und nach klugen pastoralen Lösungen zu suchen. Das stimmt mich sehr zuversichtlich.
In den vergangenen Monaten haben Sie als Ständiger Vertreter des Diözesanadministrators vermutlich einen breiten Einblick in viele Bereiche der Diözese und der Verwaltung gewinnen können. Nicht die schlechteste Ausrüstung für die neue Aufgabe als Bischof, oder?
Durch meine bisherigen Tätigkeiten habe ich viele Einblicke in ganz unterschiedliche Bereiche unsere Diözese gewonnen: Zum einen durch die Leitung der Hauptabteilungen Weltkirche, Ausbildung der pastoralen Berufe und Kirchliches Bauen. Als Kanzler der Diözesankurie habe ich mit dem Kernbereich der Diözesanverwaltung eng zusammen gearbeitet. Dies hat sich durch das Amt des Ständigen Vertreters nochmals erheblich erweitert. Ich denke, dass das eine gute Grundlage für die kommenden Aufgaben ist.
Gibt es Begegnungen aus den vergangenen Monaten der Vakanz, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Die neuen Aufgaben haben es mit sich gebracht, dass ich mich in intensiven Gesprächen mit vielen Verantwortlichen auf den aktuellen Stand gebracht habe. Das waren für mich sehr wertvolle Begegnungen. In lebendiger Erinnerung habe ich die Kundgebung gegen Rechtsextremismus am Eugen-Bolz-Gedenktag im Januar, die wir als Diözese zusammen mit der Stadt Rottenburg durchgeführt haben. Die große Zahl der Teilnehmenden aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen und die intensiven Gespräche, die sich am Rande ergeben haben, waren für mich sehr beeindruckend.
Sie waren zuvor für den Katholikentag 2022 in Stuttgart zuständig. Wie blicken Sie auf dieses Ereignis zurück?
Der Katholikentag, den wir während der Corona-Zeit unter fast kaum noch vorstellbaren Bedingungen vorbereitet hatten, war zum Ende der Pandemie eine erste Möglichkeit zur direkten Begegnung von vielen Menschen und Gruppen. Für dieses positive Zeichen, für die vielen gelungenen Veranstaltungen und die gute Atmosphäre, die diese Tage in Stuttgart geprägt haben, bin ich im Nachhinein sehr dankbar.
Viele Menschen werden sich jetzt fragen, wie Sie theologisch denken. Ihre Doktorarbeit haben Sie über die Gottebenbildlichkeit des Menschen in der Theologie des Thomas von Aquin verfasst. Hat diese Arbeit Ihren Blick auf den Menschen beeinflusst?
Thomas von Aquin arbeitet eindrucksvoll heraus, wie der Mensch in allen seinen Wesensschichten grundlegend auf Gott bezogen ist. In der lebendigen Beziehung zu Gott können alle in ihm angelegten Möglichkeiten zur Entfaltung kommen. Das ist eine großartige Vision, die Impulse bis in unsere Gegenwart geben kann.
Gab es in den vergangenen Monaten ein theologisches Buch, das Sie richtig gefesselt oder überrascht hat?
Das Buch des Utrechter Pastoraltheologen Jan Loffeld („Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“) hat mich aufhorchen lassen, weil es die säkulare Realität, in der wir stehen, in ungewohnter Klarheit ins Wort bringt. Wir werden in Zukunft vieles, was uns bislang selbstverständlich schien, ganz neu denken müssen.
Was zum Beispiel?
Eine besondere Herausforderung besteht für mich darin, die zentralen Inhalte unseres Glaubens in einer Sprache auszudrücken, die Menschen verstehen können, die mit unseren Traditionen nicht mehr vertraut sind.
Dass Sie „kein Charismatiker“ seien, wurde kurz nach der Bekanntgabe Ihrer Ernennung in einem Kommentar behauptet. Fühlen Sie sich von dieser Beschreibung treffend charakterisiert?
Ich bin sicher kein Mensch, der die große Bühne sucht, um sich darauf wirkungsvoll in Szene zu setzen. Ich denke aber, dass ich meine verschiedenen Charismen in das neue Amt einbringen und auch nicht verstecken werde.
Sie sind ja gebürtiger Stuttgarter, haben u. a. in München, Freiburg und Tübingen studiert, später in Aachen gelebt. Sind Sie ein Stadtmensch?
Ich fühle mich in der Tat in großen Städten sehr wohl. Ich schätze die Vielfalt und vor allem das kulturelle Leben. Auf der anderen Seite kann ich aber ebenso die Reize der Natur und den ruhigeren Rhythmus der ländlichen Regionen genießen.
In den nächsten Monaten wird wohl auch Ihre Freizeit knapp sein. Wie verbringen Sie trotzdem freie Stunden am liebsten?
In freien Stunden liebe ich es zu lesen, Musik zu hören und natürlich auch etwas Sport zu treiben. Der Ausgleich tut mir sehr gut.
Gibt es besondere Orte, die Ihnen geistliche Kraftquellen sind?
Ich schätze geistliche Orte, die einen Raum der Stille und der inneren Einkehr bieten. So habe ich vor, die Tage vor der Bischofsweihe bei den Missionsbenediktinern in St. Ottilien zu verbringen.
Stand heute hätten Sie ca. 15 Jahre als Bischof vor sich. Was geben Sie einem Berufsanfänger eines kirchlichen Berufs mit auf den Weg, der vielleicht 40 Jahre Berufsleben vor sich hat?
Wir können heute nicht wissen, wie unsere Kirche in 40 Jahren aussehen wird. Wer aber auf festem Grund steht, braucht die Zukunft nicht zu fürchten. Von daher kann ich allen, die am Anfang ihres Weges stehen, nur ans Herz legen, vor allem in die geistlichen Fundamente zu investieren.
2021 sprachen Sie im Interview mit „berufen“ von „neuen Wegen und Formen, die auf neue Weise ausstrahlen und Menschen ansprechen werden“. Was könnten solche Formen im Jahr 2024 konkret sein?
Aktuell sehe ich ein großes und ehrliches Ringen darum, wie eine synodale Kirche ganz konkret aussehen kann – ob das der synodale Weg und seine Umsetzung bei uns in Deutschland ist oder die weltkirchliche Diskussion in Zusammenhang mit der Bischofssynode im Oktober in Rom. Es scheint mir sehr wichtig für die Zukunft der Kirche zu sein, dass wir zu Gesprächsformaten kommen, in denen wir die aktuellen Herausforderungen und Probleme klar ansprechen können und es uns dabei zugleich gelingt, unseren Glauben und das Hoffnungspotential, das in ihm steckt, miteinander zu teilen.
Was wünschen Sie sich für die Diözese in den nächsten Jahren und Jahrzehnten?
Wir erleben zur Zeit einen großen Umbruch in Kirche und Gesellschaft. Vieles wird anders werden, auch wenn wir heute noch keinen klaren Umrisse erkennen können. Ich wünsche mir in unserer Diözese eine gemeinsame Suchbewegung aller Männer und Frauen, denen das kirchliche Leben und das christliche Zeugnis in unserer Zeit am Herzen liegt. Wenn wir den Mut haben, gemeinsam neue Wege zu gehen, wird unsere Kirche eine gute Zukunft haben.
Zum Schluss: Worüber können Sie herzhaft lachen?
Über mich selbst!
Das Interview führte Felix Maier, Magazin "berufen".