Herr Kohr, steigende Kirchenaustrittszahlen, Kirche und Missbrauch, Kirche und (fehlende) Gleichberechtigung – warum soll sich heute ein junger Mensch für einen Beruf in der Kirche entscheiden? Was kann Kirche als Arbeitgeber bieten?
Kohr: Mit den genannten Stichworten sind Herausforderungen benannt, mit denen sich die Kirche in den kommenden Jahren wird tiefgehend beschäftigen müssen. Die Kirche der Zukunft wird anders aussehen als die Kirche der Gegenwart. Das klingt für manche bedrohlich, kann aber, gerade auch für kommende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein Ansporn sein. Sie werden mittendrin stehen in dem Prozess, Kirche zukunftsfähig zu machen. Da braucht es viel Kreativität, Mut, Glaubenskraft und Gründergeist. Dinge, die von der Kirchenleitung auch zugelassen und frei gesetzt werden müssen. Darüber hinaus sind die Berufe in der Kirche immer schon welche gewesen, die eine Sinnperspektive bieten. Pastorale Arbeit hat in sich Sinn und ist nicht nur Mittel zum Zweck. Und in Deutschland verdient man dabei auch noch ganz gutes Geld, das einem ein gutes Leben für sich und auch für eine Familie ermöglicht.
Spüren Sie in der Berufungspastoral gestiegene Vorbehalte oder auch Vorurteile gegenüber einem Beruf in der Kirche?
Kohr: Die kirchlichen Machtstrukturen und die fehlende Gleichberechtigung sind tatsächlich – insbesondere für Frauen und Laien – ein Vorbehalt, der dazu führt, dass junge Menschen länger darüber nachdenken, ob sie in der Kirche arbeiten wollen. Da werden auch die dahinter liegenden theologischen Begründungen nicht mehr akzeptiert, wenngleich sie durchaus kognitiv verstanden werden. Zugleich sind auch viele junge Menschen von der Botschaft des Evangeliums bewegt, brennen für die Idee eines solidarischen, gelingenden und die eigenen Grenzen akzeptierenden Lebens. Und viele haben auch gute Erfahrungen mit Kirche und Menschen in der Kirche gemacht, sei es in Jugendverbänden, in der Schule oder auch in der örtlichen Kirchengemeinde. Das motiviert auch heute, sich auf den Weg zu einem Beruf in der Kirche zu machen.
Sie sagen, weder Kirche noch Gesellschaft kann auf Theologinnen und Theologen verzichten. Weshalb?
Kohr: Eine Kirche ohne theologische Reflexion ist nicht vorstellbar. Glaube muss immer übersetzt, erklärt und in pastorale Praxis verantwortlich übertragen werden. Und auch für die Gesellschaft kann die Theologie als kritisches Korrektiv ihren Dienst leisten. Sie kann erinnern, dass nicht alles verwertbar, berechenbar und organisierbar ist, sondern dass es auch eine Perspektive für das Gebrochene, das Gescheiterte und Unperfekte braucht. Gerade auch in der ökologischen Krise, in der wir uns befinden, wird es auf eine neue spirituelle Grundhaltung ankommen, die deutlich macht, dass wir Menschen nicht die Herren der Welt, sondern vielmehr ein auf den Rest der Schöpfung angewiesener Teil des Ganzen sind.
Sind Berufe der Kirche und Tätigkeiten in kirchlichen Einrichtungen auch für junge Menschen geeignet, die den katholischen Glauben nicht von Kindesbeinen an gelebt und erlebt haben?
Kohr: Sie sollten es auf alle Fälle sein! Vielfach sind sie es noch nicht in ausreichendem Maße. Wir lernen erst was es heißt, auch hier in einem „missionarischen“ Zeitalter zu sein, in dem Menschen erst später in ihrer Biographie auf den Glauben aufmerksam und neugierig werden. Wir versuchen jedoch in unserer Berufungspastoral dem Rechnung zu tragen, in dem wir individuelle Wege eröffnen und begleiten. Zugleich haben wir beispielsweise mit dem Orientierungsjahr und dem Sprachenjahr am Ambrosianum sowie dem „FSJ pastoral“ einladende Erfahrungsräume, die Menschen offenstehen, die solche Erfahrungen noch nicht mitbringen.
Die Fragen stellte Manuela Pfann
Zur Person:
Jörg Kohr studierte in Tübingen, Rom und Regensburg Katholische Theologie und Politikwissenschaften; seine Doktorarbeit verfasste er im Fach Politische Philosophie und Ideengeschichte. Nach der Ausbildung zum Pastoralreferenten und einer Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg war er bis 2015 im pastoralen Dienst in der Seelsorgeeinheit Oberes Nagoldtal. Seit 2009 ist Kohr zusätzlich Lehrbeauftragter für Philosophie am Ambrosianum, seit Dezember 2017 ist er stellvertretender Leiter der Diözesanstelle Beruf der Kirche. Zuletzt war Kohr maßgeblich an der Konzeption des neuen Orientierungsjahres „Ambrosianum College“ beteiligt.
Weiterführende Informationen gibt es unter: