Kirche am Ort

Kirche im multikulturellen Stadtteil

Die Kinder mit kurdischen Wurzeln sitzen an einem Holztisch und lesen. Im Hintergrund stehen Regale voll bunter Bücher.

Helin (11) und Berat (9) haben in der mehrsprachigen Bücherei in MOMOs WELT bereits ihre Lieblingsbücher - Foto: DRS/Waggershauser

Die mehrsprachige Bücherei im Familienzentrum MOMOs WELT fördert die Integration und zeigt Kirche von einer anderen Seite.

Noch ist die Gruppe der Frauen überschaubar, die an diesem sonnigen Märznachmittag an einem der Tische im Café Platz genommen haben. Es hat sich vermutlich noch nicht herumgesprochen, dass das Familienzentrum MOMOs WELT in der Ravensburger Weststadt nach der Coronapause seit einer Woche wieder geöffnet ist. Die elfjährige Helin und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Berat sind bereits durch eine Tür im hinteren Teil des eingeschossigen Gebäudes verschwunden. Sie genießen es, die kleine Bücherei zusammen mit der Leiterin Elisabeth Bodenmüller heute für sich zu haben.

"Ich lese am liebsten 'Die drei ??? Kids' und 'Gregs Tagebuch'", verrät Berat. Seine Schwester bevorzugt Otfried Preußlers 'Die kleine Hexe'. Beide sitzen am Kindertisch und sind in ihre Bücher vertieft. Nach ihrer Herkunft gefragt, antworten sie gleichzeitig mit "Italien". Etwas später kommt auch ihre Mutter Sebiha Tas dazu und klärt auf. Ihre Kinder seien in Italien geboren, sie sei aber Kurdin und stamme aus der Türkei. Seit 2015 wohne die Familie nun in der Domäne Hochberg, jenem Teil der Weststadt, der um die Jahrtausendwende mit vielen geförderten Sozialwohnungen gebaut wurde.

Mit Begegnung und Büchern Deutsch gelernt

"Als ich am Anfang hierher gekommen bin, habe ich kein Deutsch gesprochen", gesteht Sebiha Tas. Im Nachbarschaftstreff der katholischen Kirchengemeinde Zur Heiligsten Dreifaltigkeit, der damals noch in einer Wohnung mitten im Viertel untergebracht war, lernte sie schnell andere Frauen kennen - und mit ihnen die Sprache. Helin und Berat lesen alle Bücher auf Deutsch. Die heute 33-Jährige profitierte aber von der Mehrsprachigkeit der Bücherei. "Oben steht es auf Deutsch und unten die Übersetzung auf Türkisch", erklärt sie und zeigt die Seite eines zweisprachigen Bandes. In den Regalen stehen auch Druckwerke in russischer und in englischer Sprache.

Ein Roman, der in allen vier Sprachgruppen nicht fehlen darf, ist Michael Endes 'Momo'. Er ist Namensgeber für das 2018 eingeweihte Familienzentrum am Rande der Domäne Hochberg. In MOMOs WELT erhielten eine erweiterte bestehende Kita, der Nachbarschaftstreff und die mehrsprachige Bücherei ein neues Zuhause. MOMO steht dabei in Ravensburg für menschenfreundlich, originell, multikulturell und offen. In der Trägerschaft der Kirchengemeinde sollen niederschwellige Angebote helfen, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft sich in der Weststadt beheimatet fühlen, erklärt Pastoralreferentin Angelika Böhm.

Neubaugebiet als neue Herausforderung

"Anfangs lag hier der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei 75 Prozent", erinnert sich die Geistliche Begleiterin im Familienzentrum an den Beginn des Jahrhunderts. Die meisten Zugezogenen kamen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, ein größerer Teil war türkischer oder kurdischer Herkunft. Es gab auch Griechen, Polen und Rumänen. Als die Stadt 2005 die Sozialarbeit im Viertel einstellte, beschloss der Kirchengemeinderat von Dreifaltigkeit, ein Café als niederschwelligen Treffpunkt anzubieten, Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, zu fördern und eine mehrsprachige Bücherei einzurichten. "Das haben wir alles bis heute durchgehalten", freut sich Angelika Böhm.

Hinter der Kinderecke lächelt Papst Franziskus vom Einband eines Kochbuchs und das Konterfei von Hans Küng konfrontiert mit der Frage 'Wozu Weltethos?'. Diesen theologisch-spirituellen Bereich der Bücherei möchte Angelika Böhm in nächster Zeit ausbauen. Im Blick hat sie dabei die Menschen, die in den letzten Jahren gegenüber MOMOs WELT neu gebaut haben. "Im Hofgut lebt mehrheitlich eine gutsituierte deutsche Mittelschicht", weiß die Theologin. Ihr Ziel ist es, dass das Familienzentrum mit der Bücherei nicht nur geografisch die Schnittstelle zwischen diesem Quartier und der multikulturellen Domäne Hochberg bildet, sondern dass sich dort die unterschiedlichen Menschen begegnen können.

Attraktives Ehrenamt

Während das Café und die Bücherei noch unter den Folgen der Coronapause leiden, aber nach den Osterferien wieder richtig durchstarten wollen, wirkt sich auch der Krieg in der Ukraine auf MOMOs WELT aus. "Zu uns kommen Frauen mit ukrainischen und mit russischen Wurzeln", bestätigt Büchereileiterin Elisabeth Bodenmüller. Sie bekomme mit, dass es selbst innerhalb russischer Familien Spaltungen gebe - die einen für, die anderen gegen Putin. In der Einrichtung sollen aber weiterhin alle willkommen sein, wünscht sie sich.

Welche Literatur angeschafft werden soll, da ist Elisabeth Bodenmüller besonders bei den für sie fremden Sprachen auf Mithilfe der Migrantinnen und Migranten angewiesen. Die Seniorin kümmert sich seit 2017 um die mehrsprachige Bücherei. Angelika Böhm habe sie damals angesprochen, nachdem die Gründerin und ehemalige Kirchengemeinderätin Melanie Besenfelder gestorben war. "Ehrenamtliche für so eine Arbeit zu finden ist immer noch aufwendig, aber viel weniger als beispielsweise Verantwortliche für die Sakramentenvorbereitung", verrät die Pastoralreferentin im Blick aufs ganze Familienzentrum. Denn: "Wenn Kirche sich so in die Gesellschaft einbringt, dann ist sie attraktiv."

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