Kirche und Gesellschaft brauchen gute Theologen

Am 7. Dezember feiert das Seminar Ambrosianum in Tübingen 60-jähriges Bestehen

Im Jahr 1958 in Bad Cannstatt als Seminar für Männer, die nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung Priester werden wollten, gegründet, öffnete sich das Ambrosianum 1970 auch für Interessentinnen an einem kirchlichen Beruf und zog 1983 ins Kolleg St. Josef nach Ehingen. Rektor Dr. Jörg Kohr (43) erklärt im Interview, wohin sich das Seminar – seit 2009 in Tübingen – in diesen 60 Jahren entwickelt hat und worin die heutigen Herausforderungen bestehen. 
Herr Kohr, Sie leiten seit einem Jahr als Rektor das Ambrosianum in Tübingen. Was ist das heute für eine Einrichtung? 
Jörg Kohr: Das Ambrosianum ist ein „propädeutisches Seminar“. Propädeutik bedeutet einfach „vorher unterrichten", also eine Vorbereitung, in unserem Fall auf das nach dem Ambrosianum beginnende Studium. Seit dem Jahr 2017 geschieht dies bei uns in zwei Programmen. Im "Ambrosianum Sprachenjahr" bereiten sich junge Menschen auf ein Studium der Katholischen Theologie vor. Sie lernen die dafür geforderten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein und werden in Disziplinen wie Philosophie und Theologie eingeführt. Im neuen Programm, dem "Ambrosianum College" können die Kursteilnehmer/innen ein breit angelegtes Studium Generale absolvieren, auf diesem Weg ihr Studienfach finden und sich zugleich auf die Welt der Universität ganz praktisch vorbereiten. Ein Angebot, das es unter einem kirchlichen Dach wohl nur hier in der Diözese und in Tübingen gibt. Am Ende des Jahres sind alle Kursteilnehmer/innen um viele Erfahrungen reicher, haben wichtige Freundschaften geknüpft. Sie haben hoffentlich auch eine gute Erfahrung mit Kirche gemacht, die sich für junge Menschen einsetzt, um sie wirbt, ohne sie jedoch zu etwas zu überreden, das sie nicht auch von innen heraus bejahen. 
Im Jahr 1958 wurde das Ambrosianum in Bad Cannstatt für angehende Priester gegründet. Heute geht nicht nur deren Zahl, sondern auch die der Theologiestudierenden insgesamt zurück. Wie stellt sich das Ambrosianum dieser Situation? 
Kohr: Natürlich ist das Ambrosianum immer noch eine Einrichtung, in der junge Männer auch ihre Berufung zum Priesteramt entdecken können. Heute leben hier jedoch Männer und Frauen, angehende Priester wie Laientheologen, Menschen, die innerhalb und solche, die außerhalb der Kirche das Evangelium durch ihre Berufung leben wollen, zusammen. Wir sind der Überzeugung, dass die Kirche und auch die Gesellschaft insgesamt nicht auf gut ausgebildete Theologinnen und Theologen verzichten kann. Von daher versucht das Ambrosianum für junge Menschen einen Erfahrungsraum zu eröffnen, in dem spürbar wird, wie viel Sinn das Evangelium stiftet und wie attraktiv Theologie und vielleicht dann auch ein Beruf in der Kirche sein kann. Dabei versuchen wir auch auf junge Menschen zuzugehen und ihnen dieses Jahr anzubieten, als ein Jahr, in dem sie frei und offen ihren Weg suchen und finden können. 
Sie haben die Einrichtung selbst als Schüler und als Dozent erlebt und sind nun in der Leiterrolle. Wie hat das Ambrosianum Ihre Persönlichkeit geprägt? 
Kohr: Für mich waren die Jahre im Ambrosianum 1994 bis 1995 eine sehr prägende Zeit. Sie haben mich damals sehr bestärkt, das Studium der Theologie und Politikwissenschaft aufzunehmen. Vor allem die Menschen, die mir in diesem Jahr begegneten, waren eine Quelle der Inspiration: Lehrer, spirituelle Begleiter und Kurskolleginnen und -kollegen. Existenzielle Fragen wurden dort ganz ernsthaft, angstfrei und auf Augenhöhe diskutiert und ein ganz lebendiger, sympathischer Glaube wurde gelebt. Mit vielen verbindet mich bis heute eine tiefe persönlich Freundschaft. 
Fallen Ihnen ehemalige Ambrosianer ein, die innerhalb und außerhalb der Kirche Karriere gemacht haben? 
Kohr: Da gibt es eine ganze Reihe, die in unterschiedlichen Bereichen von Wissenschaft, Pastoral, Kultur und Gesellschaft ihre Frau und ihren Mann stehen. Darunter sind Bischöfe und kirchliche Würdenträger, einige Professoren und Ärzte – also viele echte Führungskräfte. Doch letztlich geht es im Sinne des Evangeliums ja stets um eine "Karriere nach unten", die hinein führt in den tieferen Sinn des Lebens, in den Dienst am Nächsten und in eine Existenz, die sich auf das Evangelium bezieht. Dass die Ehemaligen des Ambrosianums ein beeindruckendes Netzwerk darstellen, das ist uns auch rund um das Jubiläum bewusst geworden. Deshalb haben wir kürzlich die "Amici Ambrosiani", den Förderverein für das Ambrosianum Tübingen gegründet. Mit diesem Verein möchten wir die Beziehungen und Austausch von derzeitigen und damaligen Ambrosianerinnen und Ambrosianern weiter fördern. 
Person
Jörg Kohr studierte Katholische Theologie und Politikwissenschaft und promivierte zum Doktor der Philosophie. Der 43-Jährige leitet seit einem Jahr als Rektor das Propädeutische Seminar Ambrosianum und ist stellvertretender Leiter der Diözesanstelle Berufe der Kirche. Jörg Kohr ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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