Kirche der Zukunft

Kirche wird zum Begegnungsraum

Vor Kirche und modernem Kirchturm sitzen Menschen an Biertischgarnituren und auf Palettenmöbeln.

Die Öffnung der Kirche St. Sebastian in Aichstetten lockte zahlreiche Besucher:innen an - Foto: Patricia Engling

Kirche soll nach erfolgreicher Testphase als lebendiger, offener und multifunktionaler Ort weiterwachsen – Abschlussveranstaltung am 27. November.

Anfang August startete in der Kirche St. Sebastian in Aichstetten (Kirchengemeinde Tigerfeld/Aichstetten) die Testphase im Modellprojekt „Kirchliche Räume zu Dritten Orten weiten“ – wir berichteten. Nach einem Sommer voller Begegnungen, Gespräche und Ideen ist Zeit für ein Resümee.

Ein Kirchenraum in Bewegung

Hintergrund der Teilnahme am Modellprojekt ist ein drängendes Thema: Die Anzahl der Gottesdienste und deren Teilnehmer:innen wurden in den letzten Jahren immer weniger und für die Renovierung der Aichstetter Kirche fehlen die finanziellen Mittel. Das Modellprojekt, getragen vom Land Baden-Württemberg und den vier großen Kirchen in ökumenischer Zusammenarbeit, bietet die Chance, neue Wege der Nutzung und Finanzierung zu erproben – und dabei herauszufinden, wie Kirche im ländlichen Raum auch künftig lebendig bleiben kann. „Unsere Idee war es, trotz knapper Kassen, aber mit umso mehr Herzblut, Identifikation und Engagement, die Kirche durch einfache Änderungen bei der Möblierung eindrücklich zu verändern, den Raum neu erfahrbar zu machen und dadurch das in die Jahre gekommene Sakralgebäude für alle Menschen vor Ort neu, anders und vor allem erweitert zu öffnen“, fasst Diözesanbaumeister Dr. Thomas Schwieren die Projektidee zusammen.

Für acht Wochen wurde die Kirche am Ortsrand von Aichstetten zum offenen Erfahrungsraum. Kirchenbänke wichen flexiblen Stuhlreihen, Vorhänge auf der Empore schufen eine provisorische Abtrennung als Besprechungsraum, selbst hergestellte Palettenmöbel luden auf dem Vorplatz der Kirche zum Verweilen ein und ermöglichten auch spontane Begegnungen. Die an die Kirche angrenzende Aussegnungshalle wurde zur Bewirtungsstätte mit mobilem „Küchele“. So entstand Raum – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Vielfalt erleben – Menschen begegnen

Mit verschiedenen Veranstaltungen zeigte der Sommer in Aichstetten eindrucksvoll, wie vielfältig ein Kirchenraum genutzt werden kann. 

Veranstaltungen in der Testphase

3.8. Eröffnungsfest: Gottesdienst mit dem Chor Lichtblick, anschließend Mittagessen und Begegnung

4.8. Church Summer rund um´s Aichstetter Kirchle: Nachmittag mit Spiel und Spaß für Kinder, Jugendliche und Interessierte in Kooperation mit dem Jugendreferat Reutlingen 

17.8. Sonntagsgottesdienst mit Prof. Dr. Bernd Hillebrand, mitgestaltet vom Kirchenchor Tigerfeld-Aichstetten, im Anschluss Frühschoppen und Begegnung 

8.9. Filmabend in der Kirche: Überraschungsfilm mit Getränken, Knabbereien und Begegnung 

16.9 Vortrag mit Pfr. Sigmund F. J. Schänzle: Kirchliche Räume und ihre Bedeutung. „Kirchenräume / Kirchenträume“

24.9. Jugendseelsorgekonferenz der Dekanate Reutlingen-Zwiefalten und Rottenburg

28.9 Eucharistiefeier/Erntedank mit Kinder-Musical „Himmel und Erde": Abschluss der Testphase, anschließend Bewirtung durch den Kirchenchor Tigerfeld-Aichstetten

„In den acht Wochen der Testphase haben wir getestet, wie der Kirchenraum sich öffnen kann: als Festhalle, Ort zum Spielen und Basteln, Kino, Lernort, Bühne, Feier- und Gebetsraum, Treffpunkt für Jung und Alt“, berichtet Gemeindereferentin Patricia Engling. „Aus Erntedank und Eröffnungsfest, aus Filmabend und Kindermusical, aus Gottesdienst und Konferenz hat sich ein lebendiges und zukunftsfähiges Geflecht von Möglichkeiten ergeben.“

Man habe die Sehnsucht nach Begegnung in den Gesichtern der vielen wiederkehrenden und neuen Gesichter deutlich gesehen, fasst Patricia Engling zusammen. „Durch die Veranstaltungen im Sommer haben wir mehr Menschen erreicht als im gesamten Jahr 2024 – darunter auch einige, die sonst selten in die Kirche kommen.“

Erkenntnisse aus der Testphase

Aus der Testphase sind sechs Raumkonzepte entstanden, die den Facettenreichtum der Erfahrungen beschreiben: der festliche, offene, traditionelle, gesellige, bildende und darstellende Raum. 

In einem an die Testphase anschließenden Workshop Anfang Oktober, zu dem der Kirchengemeinderat Tigerfeld/Aichstetten Ehrenamtliche, Vereine, Gemeindevertreter:innen, Nachbar:innen und alle Interessierten eingeladen hatte, wurde gemeinsam reflektiert: Was hat funktioniert, was fehlt noch – auch an Ausstattung und Infrastruktur –, und wie könnte es weitergehen? Wie können die sechs Raumkonzepte mit Geschichten, Bedürfnissen und Ideen gefüllt werden? Organisiert und durchgeführt haben den Workshop Gerald Klahr und Aaron Werbick vom Architekturstudio Prinzmetal, die das Projekt in Aichstetten begleiten. 

Wie Patricia Engling zieht auch Gerald Klahr ein positives Fazit der Testphase: „Die vielfältigen Nutzungsformen der Kirche wurden durchweg positiv und als bereichernd wahrgenommen. Besonders erfreulich finde ich, dass es gelungen ist, bestehende Spannungen, Ängste und Vorbehalte spürbar abzubauen und auch die Kritiker:innen des Projekts mitzunehmen. Die Gespräche über den Umfang möglicher Veränderungen verliefen respektvoll und das Verständnis für die teils gegensätzlichen Bedürfnisse – einerseits Flexibilität und Aufbruch, andererseits Geborgenheit durch die Wahrung von Formen – war auf beiden Seiten groß.“

Wie geht es weiter?

„Am Ende steht kein fertiger Plan, sondern ein gemeinsamer Entwurf: eine Vision davon, wie St. Sebastian als lebendiger, offener und multifunktionaler Ort weiterwachsen kann – zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen Ritual und Experiment“, hieß es in der Einladung zum Workshop. 

Inhaltlich stehen vor allem Fragen zur Infrastruktur, zum Außenbereich und zur flexibleren Nutzung der Kirchenbänke im Fokus. Darüber hinaus wird beraten, welche organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um die Menschen dazu zu ermutigen, selbst Veranstaltungen auf die Beine zu stellen – von Laien für Laien

„Langfristig wünschen wir uns als Kirchengemeinderat, dass Veranstaltungen auch ohne uns Hauptamtliche und Gremien geplant und umgesetzt werden. Die Kirche soll für alle offen sein und von allen genutzt werden können“, so Patricia Engling. „Auch externe Akteur:innen und Initiativen waren bislang noch nicht beteiligt – was bei einer relativ spontan organisierten, nur achtwöchigen Testphase während der Sommerferien kaum zu erwarten war“, ergänzt Gerald Klahr. 

Aus der im Workshop entwickelten Vision und ergänzt durch vielzählige Rückmeldungen über die Online-Umfrage, die bis Mitte Oktober lief, hat das Architektenteam von Prinzmetal nun eine Entwurfsplanung für die Kirche St. Sebastian entwickelt, die eine multifunktionale Nutzung der Räumlichkeiten ermöglicht. Die Ergebnisse und Vorschläge werden nun zunächst der Gemeinde präsentiert und zur Abschlussveranstaltung des Modellprojekts am 27. November in einer Zeitung veröffentlicht.

Dem motivierten Kernteam und der Kirchengemeinde ist jedenfalls klar: sie wollen den begonnenen Weg fortsetzen und die Kirche dauerhaft zu einem sozialen und offenen Treffpunkt entwickeln. 

Blick nach vorn

Abschlusstagung am 27. November

St. Sebastian hat in diesem Sommer gezeigt, was möglich ist, wenn man sich traut, Gewohntes zu verändern und Raum zu öffnen – für Menschen, für Begegnung, für Zukunft.

Neben der Kirche in Aichstetten haben noch vier weitere Modellgemeinden am landesweiten Modellprojekt „Kirchliche Räume zu Dritten Orten weiten“ teilgenommen. Entstanden sind dabei vielfältige Konzeptideen. Die bisherigen Ergebnisse, Erfahrungen und Methoden werden am Donnerstag, 27. November 2025, bei einem ganztägigen Fachtag im Kloster Heiligkreuztal und in der Kirche St. Sebastian Aichstetten vorgestellt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, teilzunehmen und sich inspirieren zu lassen, wir kirchliche Räume zu zukunftsweisenden Orten des Miteinanders werden können. Eine Anmeldung ist noch bis zum 13. November unter http://www.kpunktland-drs.de/dritte-orte möglich.

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